Während sich die einen im Moment nichts sehnlicher wünschen, als gegen COVID-19 geimpft zu werden, meinen andere: niemals. Sich impfen zu lassen oder eben nicht, das müsse eine freie Entscheidung sein. Dem entspricht auch das bisherige Versprechen der österreichischen Regierung: Niemand, der dies nicht wolle, werde sich impfen lassen müssen, betonten Kanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober unisono.
Dennoch meint die Arbeitsrechtsexpertin Andras, dass Arbeitgeber künftig von Arbeitnehmer*innen einfordern könnten, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Den Arbeitgeber treffe die Pflicht, Gesundheit und Leben seiner Beschäftigten, aber auch von Kund*innen, Klient*innen oder Patient*innen zu schützen. Und der Schutz der Mehrheit überwiege hier das Interesse des Einzelnen.
Eine Impfung ist eine medizinische Behandlung und die darf mir niemand vorschreiben.
Martin Müller, ÖGB-Rechtsexperte
Werden damit in absehbarer Zeit – dann, wenn die Impfung auch hierzulande tatsächlich für alle, die sich impfen lassen wollen, zur Verfügung steht – Unternehmen und Betriebe also ihre Beschäftigten zu einer Impfung verpflichten können? Nein, meint ÖGB-Rechtsexperte Martin Müller: „Wir wissen derzeit nicht, ob die Impfung überhaupt Fremdschutz bietet.“ Für ihn geht damit das Argument der Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeiter*innen, aber auch Patient*innen oder Kund*innen ins Leere. „Eine Impfung ist eine medizinische Behandlung und die darf mir niemand vorschreiben.“ Es gibt hier nur eine Ausnahme: Schreibt der Gesetzgeber eine Impfung vor, dann kann und muss der Arbeitgeber auch darauf pochen.
Sonderfall Gesundheitsbereich
Im Gesundheitsbereich sei eine solche gesetzliche Regelung aber durchaus vorstellbar, räumt auch Müller ein. Eine solche gibt es zum Beispiel derzeit bereits in der Steiermark, wo man für eine Tätigkeit in einem Krankenhaus eine Impfung gegen Masern vorweisen muss. Die Frage ist also: Wird der Gesetzgeber hier für den Gesundheitsbereich eine entsprechende Impfpflicht gegen COVID-19 vorsehen? Und kann das dann nur für Beschäftigte mit Patient*innenkontakt gelten oder etwa auch für Verwaltungsmitarbeiter*innen? Solange dem nicht so ist, können sich auch in diesem Bereich Beschäftigte jedenfalls noch frei entscheiden.
Andras gibt allerdings zu bedenken, dass, selbst wenn die Impfung keinen Fremdschutz bietet, die Impfung derzeit das wichtigste Mittel im Kampf gegen die aktuelle Pandemie ist. Es sei inzwischen gesichert, dass die Impfung einem schweren Krankheitsverlauf vorbeuge, „und das allein ist schon ausreichend und ein riesiger Schritt, den ich machen kann, um meine Belegschaft, aber auch Kund*innen und Patient*innen zu schützen“. Es gebe derzeit noch kein wirksames Medikament gegen die Erkrankung. Den Betrieben stünden nur Tests zur Verfügung, die jedoch nur eine Momentaufnahme bieten. „Ich kann jetzt negativ getestet werden, das Virus aber dennoch in mir tragen und andere auch anstecken.“
Wiegt das Interesse des Einzelnen, sich nicht impfen lassen zu wollen, höher als das Interesse einer Gemeinschaft, nicht an diesem Virus im schlimmsten Fall sterben zu wollen?
Julia Andras, Rechtsanwältin
Am Ende des Tages gehe es also immer um eine Interessenabwägung. „Wiegt das Interesse des Einzelnen, sich nicht impfen lassen zu wollen, höher als das Interesse einer Gemeinschaft, nicht an diesem Virus im schlimmsten Fall sterben, jedenfalls aber nicht schwer daran erkranken zu wollen?“, fragt sie, „und wenn hier ein Arbeitgeber die Belegschaft durch die Impfung schützen möchte, dann wiegt das aus meiner Sicht schwerer. Der Einzelne kann sich dann immer noch nicht impfen lassen – aber dann kann er auch nicht weiter in diesem Betrieb arbeiten.“
Grüner Pass
Der Blick nach Israel, dessen Impfkampagne schon weiter fortgeschritten ist als jene in der EU und damit auch Österreich, zeigt: Dort können sich Menschen eine Woche nach der zweiten Teilimpfung einen Grünen Pass ausstellen lassen. Dieser verschafft Zugang zum Fitnesscenter, Theater, Hotel. Sollte es auch hierzulande in diese Richtung gehen, würde hier gleiches Recht für alle gelten: Wenn Kund*innen einen Impfnachweis erbringen müssten, würde das auch für Beschäftigte gelten. Gesundheitsminister Anschober erklärte dazu kürzlich, einen ähnlichen Weg zu gehen, werde derzeit auf EU-Ebene geprüft und diskutiert.
Aufhorchen ließ hier zuletzt auch Bundeskanzler Sebastian Kurz: Er möchte beim heutigen EU-Gipfel einen Grünen Pass für Geimpfte, Genesene und Getestete vorschlagen. Sollte es auf europäischer Ebene zu keiner Einigung kommen, kann er sich eine solche Lösung aber auch nur auf nationaler Ebene vorstellen.
„Noch sind wir nicht so weit“, betont allerdings Müller vom ÖGB. Und solange der Gesetzgeber hier keine neue Regelung vorsehe, gelte: Ob sich eine Person gegen das Coronavirus impfen lasse, sei eine freie Entscheidung.
Und im Bewerbungsgespräch?
Geimpft oder nicht geimpft zu sein ist kein Diskriminierungsmerkmal.
Martin Müller, ÖGB-Rechtsexperte
Niemand muss übrigens auch in einem Bewerbungsgespräch Auskünfte zu seinem Gesundheitszustand und damit auch zu seinem Impfstatus machen. Wenn der Bewerber bzw. die Bewerberin hier allerdings keine Angaben macht und der potenzielle Arbeitgeber sich daraufhin gegen diese/n Bewerber*in entscheidet, dann handelt es sich nicht um eine verbotene Diskriminierung. Das wäre der Fall, wenn eine Bewerbung abgelehnt wird, weil der Arbeitgeber niemanden beschäftigen möchte, der homosexuell ist. „Aber geimpft oder nicht geimpft zu sein ist kein Diskriminierungsmerkmal“, sagt Müller. Wer also künftig gebeten werde, einen Impfpass vorzulegen, und dies nicht tue, muss tatsächlich damit rechnen, nicht eingestellt zu werden.