Arbeitszeitverkürzung: In der Kürze liegt die Würze – Interview mit Ökonom David Mum, GPA

David Mum zur Arbeitszeitverkürzung und zur Vier-Tage-Woche.
Markus Zahradnik
„In der Kurzarbeit haben viele Menschen weniger Stunden gearbeitet. Viele wollen auch nach der Krise nicht mehr auf das alte Arbeitszeitniveau hochfahren.“ Laut Mum bietet die Kurzarbeit ein gutes Momentum für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung.
Ohne Kurzarbeit wäre Österreich viel schlechter durch die Krise gekommen, jetzt muss über weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nachgedacht werden, diagnostiziert und fordert David Mum, Leiter der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA.

Arbeit&Wirtschaft: Seit März gibt es die Corona-Kurzarbeit, mittlerweile in mehreren Novellierungen. Welches Resümee können wir bis jetzt ziehen?
Mum: Wir können das Resümee ziehen, dass sich der wirtschaftliche Einbruch, den wir im zweiten Quartal erlebt haben, nicht eins zu eins auf dem Arbeitsmarkt widergespiegelt hat. Es ist die Wirtschaftsleistung eingebrochen, wir kennen die Zahlen vom Bruttoinlandsprodukt: Wir sind bis zu 25 Prozent unter der jeweiligen Vorjahreswoche gelegen. Die Beschäftigung ist aber wesentlich weniger zurückgegangen, als es ohne Kurzarbeit der Fall gewesen wäre.

Wir hatten am Höhepunkt über 1,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Man muss sich nur vorstellen: Ein großer Teil davon wäre sonst arbeitslos. Das ist also eine sehr sinnvolle Maßnahme, die uns hilft, durch dieses Jahr besser durchzukommen.

Zur Person
David Mum ist Leiter der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA und dort seit über zwanzig Jahren tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind soziale Sicherungssysteme, Verteilungsund Wirtschaftspolitik. Außerdem ist er ein begnadeter Gitarrist, besonders bei Nummern von Gitarrist Slash sowie seiner Band „Swoboda“.

Letztendlich wurde damit ja auch Kaufkraft gerettet. In Kurzarbeit fällt man auf 80 bis 90 Prozent des Einkommens, nicht auf 55 Prozent wie in der Arbeitslosigkeit.
Genau. Bei sehr niedrigen Einkommen ist die Nettoersatzrate 90 Prozent. Einkommen sind damit viel besser abgesichert als beim AMS. Über Monate auf 20 Prozent des Einkommens verzichten zu müssen wird zunehmend problematischer. Die Kurzarbeit ist schließlich eine Überbrückung und kein Dauerinstrument.

Das vollständige Interview zur Arbeitszeitverkürzung auf YouTube.


In welchen Branchen wurde die Kurzarbeit stärker in Anspruch genommen, in welchen weniger?
In der letzten Krise, der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09, war die Kurzarbeit ein Instrument, das vor allem in der Industrie eingesetzt wurde, weil sich dort die Wirtschaftskrise am stärksten ausgewirkt hat.

Damals waren es am Höhepunkt auch „nur“ 35.000 Betroffene.
Das war von den Dimensionen etwas ganz anderes als jetzt. Heuer geht die Kurzarbeit bis in den Verkehrsbereich, den Dienstleistungsbereich, weil die Betriebe vom Shutdown betroffen waren oder die Kunden ausgeblieben sind. Die Kurzarbeit wirkt heuer viel, viel breiter.

Was könnte an der aktuellen Kurzarbeitsregelung noch verbessert werden?
Man hat mit der Kurzarbeit gut reagiert und im März ein Modell geschaffen, das flächendeckend eingesetzt werden konnte. Bereits im Juni wurde nachgebessert. Es ist nämlich schon auch dazu gekommen, dass Unternehmen eine Überförderung bekommen oder Beschäftigte in Kurzarbeit mit 80 Prozent des Gehalts voll weitergearbeitet haben.

Verbessern könnte man, dass wir nicht immer in Drei-Monats-Schritten mit der Kurzarbeit weitermachen, sondern dass wir – so wie in Deutschland – Kurzarbeit für mehrere Monate ermöglichen. Die Hoffnung von Anfang des Jahres, dass das nur ein paar mühsame Wochen werden, die können wir langsam abschreiben.

Die Agenda Austria, ein wirtschaftsliberaler, industrienaher Thinktank, bezeichnet die Kurzarbeit als „langfristig schädlich“. Die Kurzarbeit verhindere „Strukturveränderungen“ und die Regierung solle mit dem Jahreswechsel den Ausstieg aus der Kurzarbeit vorbereiten. Wie würden Sie diese Aussagen bewerten?
Na ja, die Agenda Austria muss schon auch sehen, dass wir jetzt nicht eine Bereinigungskrise haben, die auf Überspekulation und dergleichen zurückzuführen ist, sondern eine Krise, die sämtliche Branchen massiv betrifft. Da kann man nicht einfach sagen, dass die Kurzarbeit den Strukturwandel verhindert, weil wir Betriebe erhalten, die sonst keine Chance am Markt hätten. Diese Erzählung ist in der aktuellen Ausnahmekrise wirklich daneben.

Allgemein betrachtet ist die Kurzarbeit ein staatliches Instrument zur Reduktion der Arbeitszeit. Wir haben ja momentan nicht nur die Corona-Krise, sondern parallel die Klimakrise, und die Digitalisierung schreitet vielleicht noch schneller voran. Wäre das nicht eine gute Möglichkeit, die Kurzarbeit zu einem allgemeinen Modell der Arbeitszeitverkürzung auszubauen?
Was wir auf jeden Fall sehen: Wenn die Corona-Krise und diese Sondersituation vorbei sind, werden wir nicht in derselben Welt leben wie zuvor. Es wird bleibende Änderungen geben. Sie haben es angesprochen: In Richtung Digitalisierung haben sehr viele Menschen neue Routinen erlernt, es hat einen Digitalisierungsschub gegeben, der jetzt auch erst einmal mit guten Spielregeln versehen werden muss – was zum Beispiel Homeoffice betrifft.

In der Kurzarbeit haben viele Menschen weniger Stunden gearbeitet. Viele wollen auch nach der Krise nicht mehr auf das alte Arbeitszeitniveau hochfahren. Eine Studie der Uni Wien zeigt, dass 55 Prozent der Menschen dauerhaft weniger arbeiten wollen, 30 Prozent wollen gleich viel arbeiten. Auf dieses Bedürfnis sollte man eingehen.

Es gibt fast 500.000 Vollzeitbeschäftigte in Österreich, die ihre Arbeitszeit um mehr als fünf Stunden in der Woche reduzieren wollen.

Kann es nicht auch gesamtgesellschaftlich einfach notwendig sein?
Das insgesamte Arbeitsvolumen ist heuer zurückgegangen. Das wird auch im nächsten Jahr nicht gleich wieder auf Vorkrisenniveau zurückspringen. Das gilt auch für die Arbeitslosigkeit. Wir haben heuer knapp zehn Prozent Arbeitslosenquote, und die wird im nächsten Jahr nicht von selbst wieder zurückgehen. Es gibt also keinen besseren Zeitpunkt als den jetzigen, um zu sagen: Wir haben auf der einen Seite Hunderttausende Menschen, die Arbeit suchen, und auf der anderen Seite Beschäftigte, die gerne kürzer arbeiten wollen – dann sollte man beides ermöglichen.

Dazu bietet die Kurzarbeit ein Momentum?
Die Kurzarbeit ist ein Instrument, damit in einer Sondersituation kürzer gearbeitet werden kann, aber nicht das Instrument, um zu sagen, die Menschen arbeiten dauerhaft kürzer und bekommen den Einkommensausfall vom AMS ersetzt. Wir müssen einerseits über eine generelle Arbeitszeitverkürzung reden, und andererseits gibt es Modelle, auch Fördermaßnahmen vom AMS, wie das Solidaritätsprämienmodell. Da geht es genau darum: Einige Kolleg*innen reduzieren die Arbeitszeit, und dafür wird jemand eingestellt und damit Arbeitslosigkeit reduziert.

Die Gewerkschaft GPA hat selbst ein Modell zur Arbeitszeitverkürzung entwickelt. Wie würde das genau funktionieren?
Wir haben eine Variante des Solidaritätsprämienmodells entwickelt. Kurz gesagt: Es finden sich ein paar Kolleginnen und Kollegen, die freiwillig ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, und wenn im Ausmaß dieser summierten Arbeitszeitreduktion eine Person eingestellt wird, die vorher arbeitssuchend war, dann bekommen die Kolleg*innen, die die Arbeitszeit reduziert haben, einen halben Lohnausgleich.

Um es an einem Beispiel festzumachen – wir nennen es das „90 für 80“-Modell: Wir wissen, viele Leute würden gerne vier Tage in der Woche arbeiten. Wenn vier Personen von fünf Tagen auf vier Tage in der Woche umstellen, also von einer 40-Stunden-Woche auf eine 32-Stunden-Woche umsteigen, dann werden in Summe 32 Stunden frei. Mit diesen freien 32 Arbeitsstunden kann eine bisher arbeitslose Person eingestellt werden. Dabei gibt es eben einen halben Lohnausgleich. Man arbeitet also vier statt fünf Tage, also 80 Prozent, und bekommt aber 90 Prozent des Gehalts.

Was sind die Unterschiede zum AMS-Modell?
Man muss aus unserer Sicht mehr Geld zur Verfügung stellen. Es gibt momentan nur eine Förderdauer von zwei, in Ausnahmefällen drei Jahren. Wir wollen, dass diese Förderdauer verlängert wird. Es sollte auch eine gewisse Flexibilität geben bei der Ersatzarbeitskraft, die man einstellen muss. Im AMS-Modell muss es eine Person sein, die Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen hat, da sollten wir mehr Spielraum geben. Es geht jetzt auch darum, jungen Menschen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, den Einstieg zu erleichtern. Dazu brauchen wir aber das Parlament und die Regierung, damit die gesetzlichen Bestimmungen flexibler gemacht werden.

Es gibt fast 500.000 Vollzeitbeschäftigte in Österreich, die ihre Arbeitszeit um mehr als fünf Stunden in der Woche reduzieren wollen. Wenn nur ein Viertel oder ein Fünftel davon das „90 für 80“-Modell umsetzen würde, dann könnten wir damit 25.000 bis 30.000 Arbeitsplätze schaffen.

Wie viele Jobs könnten so geschaffen werden?
Wir glauben, dass darin ein enormes Potenzial liegt. Das Modell ist in der breiten Fläche noch nicht bekannt. Wir arbeiten daran, das Modell bekannter zu machen. Wir wissen aber schon aus Umfragen vor der Pandemie, aus den regelmäßigen Erhebungen der Statistik Austria: Es gibt fast 500.000 Vollzeitbeschäftigte in Österreich, die ihre Arbeitszeit um mehr als fünf Stunden in der Woche reduzieren wollen. Wenn nur ein Viertel oder ein Fünftel davon das „90 für 80“-Modell umsetzen würde, dann könnten wir damit 25.000 bis 30.000 Arbeitsplätze schaffen.

… ein großer Beitrag, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Ja, und wenn man jetzt nicht rechtzeitig arbeitsmarktpolitische Maßnahmen setzt, dann werden wir aus dieser Krise mit einer stark gestiegenen Langzeitarbeitslosigkeit herausgehen – eine der größten Ursachen für Armutsbetroffenheit. Wenn wir nicht gegensteuern, laufen wir in ein massives soziales Problem hinein.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erschien ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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