„Vor einigen Wochen gab es noch manchmal Phasen, in denen ich aufgewacht bin und es allen zeigen wollte. Aber mittlerweile komme ich mir einfach lächerlich vor“, schreibt sie. Ihr Selbstvertrauen, davor schon angeknackst, ist nicht mehr vorhanden. Während der Krise zieht sie sich immer weiter zurück, im Sommer erkrankt sie noch dazu an Borreliose. Die soziale Isolation löst depressive Schübe bei ihr aus. Mittlerweile traut sie sich kaum noch, nach Stellen zu suchen. „Es wirkt alles so unwirklich. Man tut halt was, damit man sagen kann, dass man was tut.“ Die Krise ist wie eine Lupe, die all ihre Probleme und Sorgen vergrößert.
Man tut halt was, damit man sagen kann, dass man was tut.
Anna*
Anna ist damit nicht allein. Die letzten Monate waren mitbestimmt von Hiobsbotschaften über den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahlen stiegen zwischenzeitlich auf fast 600.000 Menschen an, die Anzahl der offenen Stellen sank auf einen Negativrekord, Unternehmen bauten mehr und mehr Stellen ab. Nach einem kurzen Luftholen und einer leichten Erholung kommen nun schwierige Monate auf uns zu, Monate, in denen die Saisonarbeitslosigkeit dazukommt. Aber wie erleben die Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die Krise?
Verloren in der Negativspirale
„Ich habe eigentlich schon gedacht, dass es einfacher ist.“ Zum ersten Mal in diesem Gespräch huscht ein Anflug von Unsicherheit über das Gesicht von Stefan*. Einen kurzen Moment wirkt der 28-Jährige verloren und verstummt. Er blickt hinunter auf die Tasse mit dem halb ausgetrunkenen Verlängerten. Neben ihm liegt sein Laptop, in dem seine Masterarbeit darauf wartet, vollendet zu werden. An den Tischen im phil, einer Mischung aus Bar, Kaffeehaus und Buchhandlung in der Wiener Innenstadt, sitzen junge Leute in Gruppen oder allein, die Dichte an MacBooks erreicht hier ein hohes Maß. Bevor die Geräuschkulisse des Lokals allzu dröhnend wird, setzt Stefan ein Lächeln auf und spricht weiter. „Mittlerweile bin ich wieder etwas zuversichtlicher. Vor einer Woche habe ich aber noch schwarzgesehen“, sagt er.
Mittlerweile bin ich wieder etwas zuversichtlicher. Vor einer Woche habe ich aber noch schwarzgesehen.
Stefan*
Erst im August hatte er seine Stelle an der Universität für Bodenkultur verloren. Der gebürtige Niederösterreicher studierte dort Lebensmittel- und Biotechnologie und war seit fünf Jahren unter anderem als Labortechniker angestellt. Die finanziell prekäre Situation des Instituts wurde durch die Corona-Krise weiter verschärft. Dass sein Vertrag nicht verlängert wurde, kam für ihn nicht überraschend. „Es wurde auch offen kommuniziert. Aber an eine kleine Chance für eine Verlängerung habe ich trotzdem immer geglaubt“, sagt Stefan. Daraus wurde nichts. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er jetzt arbeitslos.
Sein Job passte nicht nur optisch zu Stefan. Er wirkt mit seinen zerzausten Haaren und dem Vollbart wie die noch nicht ergraute Version eines zerstreuten Professors. Sobald er von der Arbeit im Labor erzählt, schwingt auch eine kaum verhohlene Leidenschaft für den Wissenschaftsbetrieb mit, der ihm jetzt fehlt. „Während des Lockdowns konnte ich zumindest Gedankenspielen nachhängen, wie ich meine Versuche am besten und ausgeklügeltsten aufbaue. Und im Mai konnte ich auch wieder regelmäßig ins Labor fahren“, sagt Stefan. Jetzt gibt es keinen Ort mehr, zu dem er in die Arbeit fahren kann.
Schlaflos
Er hat bald erkannt, wie bestimmend die Erwerbsarbeitslosigkeit ist – nicht nur für ihn selbst. „Es ist plötzlich immer Thema, wenn man wo hinkommt. In Gesprächen mit anderen ist ständig ein gewisser Unterton da“, sagt Stefan. Eigentlich hatte er damit gerechnet, schnell wieder eine Anstellung zu finden. Schließlich hat er eine solide Ausbildung und etwas Erfahrung. Doch auf die etwa dreißig Bewerbungen, die er in dieser kurzen Zeit verschickt hatte, kam bis jetzt keine Antwort. Nur auf Nachfrage erfuhr er von Absagen. Seine finanzielle Situation wird schwieriger, doch Stefan weiß um seine Privilegien – wenn es notwendig wäre, könnte er seine Familie um Unterstützung bitten. Aber es ist auch sein psychischer Zustand, der ihn belastet. Bis vor einem Jahr litt er unter Schlafstörungen, teilweise konnte er nicht mehr als zwei Stunden am Stück schlafen. Jetzt liegt er oft lange wach und merkt, wie sich die Sorgen ihren Weg bahnen und den Schlaf abwehren. Noch ist es nicht so schlimm wie damals, aber Stefan ist auch noch nicht lange erwerbsarbeitslos.
Träume von der Vergangenheit
Dass Arbeitslosigkeit Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat, musste auch Robert* erfahren. Im Februar dieses Jahres wurde eine schwere Depression bei ihm diagnostiziert. Im Café Tirolerhof in Wien, wo sogar die Spiegel mit Lustern behängt sind und die Kellner die Karten reichen, ohne die Gäste anzublicken, herrscht gedämpfte Ruhe. An den anderen Tischen sitzen ältere Herren, die Gesichter hinter Zeitungshaltern versteckt. Für Robert ist es auch ein Ort der Vergangenheit. Es war für den 59-Jährigen ein guter, zentral gelegener Treffpunkt. Damals, als es noch Treffen gab.
Äußerlich passt Robert gut in das Ambiente. Grau meliertes Haar, gebügeltes Hemd, dezente Armbanduhr. Ein Erscheinungsbild, das seine Vergangenheit widerspiegelt, nicht jedoch seine Gefühlslage. „Das Gefühl, nichts mehr zu können, geht einfach nicht weg. Ich versuche ja alles, aber mein Selbstbild bröckelt immer mehr“, sagt Robert. Während er von seiner Lage erzählt, wirkt es, als würde jemand gewaltsam seine Schultern zu Boden drücken.
Ich will nicht um jeden Preis irgendeine Stelle annehmen, nur um etwas zu machen.
Robert*
Robert, gebürtiger Steirer, konnte bis vor etwa neun Jahren ohne größere Probleme die Karriereleiter erklimmen. Er wurde als Quereinsteiger Pharmareferent und stieg bis zum Geschäftsführer für 15 Länder auf. Dort hielt er sich einige Zeit, doch irgendwann kam der nächste Merger und seine Position war weg. Es folgte eine kurze Anstellung und ein Ausflug in die Selbstständigkeit, der krachend scheiterte. Seit 2018 ist er durchgehend arbeitslos. Robert glaubt nicht daran, noch eine Arbeit zu finden. „Beim AMS haben sie gleich gesagt, dass sie nichts für mich tun können. Kurse bekomme ich keine mehr bezahlt, auch nicht, wenn ich etwas vorschlage“, sagt Robert. Um die 300 Bewerbungen hat er schon geschrieben. Auf die Hälfte bekommt er nicht einmal eine Antwort. Zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde er noch nie.
Der erste Lockdown war für ihn fast positiv. „Ich bin wohl besser im Krisenmanagement als im Alltag“, sagt Robert. Doch der Alltag holte ihn bald wieder ein. Wenn er nicht gerade seine Frau in ihrem Geschäft unterstützt oder sich um seine sechsjährige Tochter kümmert, hat er genug Zeit, um sich über seine Situation den Kopf zu zerbrechen. Im Moment ist er wegen seiner Depression nicht aktiv auf Arbeitssuche, nach Stellen hält er trotzdem Ausschau. Perspektiven sieht er keine. „Ich weiß, dass es nach dem nächsten Lockdown nicht besser wird. Es wird noch weniger Jobs geben, und die Anforderungen werden noch höher sein.“
Bedingungsloses Grundeinkommen
Er hat aber jetzt schon Angst vor dem Druck, den das AMS auf ihn ausüben wird. Dabei will er vor allem eines: etwas Sinnvolles leisten. „Ich will nicht um jeden Preis irgendeine Stelle annehmen, nur um etwas zu machen.“ Von der Politik würde er sich wünschen, dass sie ihn nicht nur als „nutzloses Gesindel“ betrachtet. Sie soll Rahmenbedingungen schaffen, um Menschen wie ihm zu ermöglichen, etwas zu tun, was für ihn und für andere sinnvoll ist. „Die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist jetzt da“, sagt Robert.
Es ist nicht lustig, immer nur im Kreis herumzulaufen und dabei deppert zu werden.
Anna*
Anna ist derselben Meinung. Auch sie sieht darin eine Möglichkeit, den Menschen eine Last zu nehmen und ihnen zu Sinn und Zweck zu verhelfen. „Es ist nicht lustig, immer nur im Kreis herumzulaufen und dabei deppert zu werden“, sagt sie. Schlussendlich hat sich Anna dann übrigens doch noch zu einem Gespräch bereit erklärt. Das Niederschreiben habe ihr geholfen, einen distanzierteren Blick auf die letzten zehn Jahre zu bekommen, meint sie. Der Blick nach vorne bleibt ernüchternd. „Es ist einfach keine Perspektive vorhanden. Und Corona vervielfacht dieses Gefühl noch“, sagt Anna. Weinen musste sie bei unserem Gespräch nicht.
* alle Namen geändert.
Drei Fragen zum Thema
Simon Theurl ist Referent der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien sowie Lektor an der FH des BFI Wien. Er geht in seiner Arbeit unter anderem der Frage nach, wie sich die Corona-Krise aktuell auf die Situation von Arbeitssuchenden auswirkt.
Herr Theurl, was sind die größten Herausforderungen für Arbeitssuchende in der jetzigen Situation?
Vor allem für Menschen aus Branchen, die stark unter der Krise leiden, stellt sich erst mal die Frage nach der Einkommenssicherung. Wie können sie diese Zeit übertauchen? Die nächste Frage, die sich stellt, ist, welche Möglichkeiten es zur beruflichen Umorientierung in dieser Zeit geben wird, denn diese Krise ist auch ein Katalysator für den Strukturwandel, der aktuell im Industriebereich stattfindet.
Wie wird sich die Krise denn sonst noch auf den Arbeitsmarkt auswirken?
In absehbarer Zeit wird sich die Situation nicht verbessern. Die Langzeitarbeitslosigkeit steigt aktuell immer weiter, bei den Jugendlichen sind einige weniger in Lehrstellen gekommen, als sie gesucht haben – hier besteht die Gefahr einer verlorenen Corona-Generation. Und die Arbeitslosenzahlen werden sich generell auf einem höheren Niveau einpendeln.
Was kann man denn machen, um dem entgegenzuwirken?
Wir werden schauen müssen, wie man die vorhandene Arbeit besser verteilt. Gleichzeitig muss es aber auch Förderung und Schaffung von neuen Jobs geben. Aktionen wie die aktuelle Bildungsoffensive sind zwar gut, greifen aber zu kurz. Gerade größere Thematiken, wie etwa die Klimakrise, müssen bei Maßnahmen mitbedacht werden. Ich sehe hier einfach kein Gesamtkonzept, wie man dem begegnen will. Gleichzeitig sieht man hier aktuell auch ganz klar ein Versagen des Marktes – der Staat muss einfach wieder mehr als ökonomischer Akteur auftreten.