Arbeit&Wirtschaft: Frau Kraus, nimmt Journalismus heute eine bedeutendere oder eine geringere Rolle bei der demokratischen Willensbildung ein? Ist die Macht der „vierten Gewalt“ verwässert?
Daniela Kraus: Da muss man zwischen Theorie und Praxis unterscheiden. Theoretisch sind Medien heute viel wichtiger als vor dreißig Jahren, weil so viel Lärm herrscht, dass es die Filterfunktion und die Bewertung von Information durch professionelle Medien braucht. In der Praxis aber nehmen Medien an Bedeutung ab. Erstens, weil es so viele andere Informationskanäle gibt, und zweitens, weil sie geschwächt sind.
Da muss man zwischen Theorie und Praxis unterscheiden. Theoretisch sind Medien heute viel wichtiger als vor dreißig Jahren, weil so viel Lärm herrscht, dass es die Filterfunktion und die Bewertung von Information durch professionelle Medien braucht. In der Praxis aber nehmen Medien an Bedeutung ab.
Daniela Kraus, Historikerin und Medienexpertin
Kritischer Journalismus steht aber nicht nur in Mittel- und Osteuropa, sondern auch in Westeuropa unter massivem Druck. Ist diese Krise der Medien in erster Linie eine ökonomische oder eine politische?
Das ist ein Teufelskreis, der durch die ökonomische Krise dominiert und ausgelöst wird. Weil die Medien durch die ökonomischen Krisen und die Marktverzerrung durch öffentliche Gelder ihre Rolle weniger gut wahrnehmen können, als sie das eigentlich müssten. Da ist natürlich auch viel selbst verschuldet. Das kann man nicht ausschließlich auf die Internetgiganten, auf Social Media und auf die Fördersituation schieben.
Zum Beispiel, dass man verpasst hat, auf die veränderten Konsumbedingungen zu reagieren?
In Österreich wurde viel zu spät und später als anderswo auf die Digitalisierung reagiert. Viele der Entwicklungen hätte man schon früher in den USA und in Deutschland sehen können. Vielleicht ist das so gekommen, weil der ökonomische Druck lange Zeit nicht so groß war, zumindest nicht als existenziell empfunden wurde. Der Markt reagierte verspätet – jetzt schlägt das umso heftiger ein. Was aber noch viel länger zurückliegt: das Versäumnis, zu kommunizieren und umzusetzen, was professionellen Journalismus ausmacht. Wer es nicht schafft, zu argumentieren, warum Journalismus sich beispielsweise von interessengeleiteter Kommunikation unterscheidet, und wenn sich zudem manche Medien nicht an die eigenen Regeln halten, dann verliert man seine Glaubwürdigkeit. Wenn sich manche nicht an Mindeststandards halten, wird es schwierig, dem Publikum zu erklären, warum es zu einem professionellen Medium greifen soll – und auch, warum es dafür zahlen muss.
Eine ökonomische Krise, auf die man verspätet reagiert: Das führt aber auch dazu, dass Personen in den Medienhäusern in zentrale Positionen kommen, die zuallererst auf Zahlen und den finanziellen Erfolg schauen – und der Inhalt eher zweitrangig wird. Richtig?
Das würde ich nicht ganz so sehen. Das Bewusstsein dafür, dass von den Medienkonsument*innen gewisse inhaltliche Leistungen erwartet werden, ist in den meisten Verlagsetagen schon vorhanden. Es gibt nach wie vor viele Herausgeber*innen, die Journalismus mit Herzblut betreiben.
Guter Journalismus ist personalintensiv und kostet Geld. Auf politischer Ebene müssen wir uns dringend das System der Medienförderung ansehen.
Es sei denn, es geht ohnehin nur darum, bedrucktes Papier unter möglichst viele Leute zu bringen, um Inserate und Förderungen lukrieren zu können. Ob diese inhaltliche Vormacht in den Häusern erhalten bleibt, ist eine andere Frage. Die Krise macht das nicht leichter.
In Österreich herrscht aber seit der Nachkriegszeit ein mehr oder weniger fatales Naheverhältnis zwischen Politik und Journalismus. Grund dafür ist die durch den Nationalsozialismus und dessen Terror hinterlassene Leere im Journalismus, gefolgt vom Proporz von Sozialdemokratie und Konservativen, und wohl auch das Fehlen eines historisch verwurzelten liberalen Lagers. Ulrich Brunner beschreibt in seinem aktuellen Buch „Lernen S’ Geschichte, Herr Reporter“ gut, wie sich auch Journalist*innen der Parteizeitungen nach und nach zu einem stärkeren Selbstbewusstsein emanzipiert haben. Dieses Selbstbewusstsein scheint nun aufgrund der unsicheren Jobsituation und internen Krisen stark dezimiert. Nutzt die Politik das aus?
Nicht, dass ich uns hier Parteizeitungen zurückwünsche: Aber damals war den Leser*innen klar, was Sache ist, das brachte auch Transparenz mit sich. Das manchmal nach wie vor bestehende Naheverhältnis ist den Leser*innen heute nicht mehr so klar. Die Nähe zwischen Politik und Medien hat aber auch andere, simple Gründe: In Wien spielt sich das gesamte Geschehen auf ein paar wenigen Quadratkilometern ab. Da ist es schwer, Distanz zu halten. Der Arbeitsmarkt ist klein und wird immer kleiner. Hinzu kommen Fluktuationen zwischen der parteipolitischen Sphäre und dem Journalismus. Wir gehen damit schlampig um: All das wird viel zu wenig angesprochen und diskutiert. Das halte ich für das größte Problem. Hier hilft nur die viel zitierte Diversität in den Redaktionen. Nicht nur was Minderheiten und Journalist*innen mit Migrationshintergrund angeht, sondern auch was die soziale und geografische Herkunft angeht. Und es war fatal, das „Objektivitätsdiktum“ so hochzuhalten. Nicht nur bei uns. Dass man sich zum Beispiel das, was die Sozialwissenschaften Intersubjektivitätstheorie nennen, nie genauer angesehen hat. Das ist sicher auch ein Versäumnis der Ausbildung. Das wäre eine ihrer großen Aufgaben, nämlich zu klären: Wie gehe ich mit meiner eigenen Haltung, Herkunft, meiner persönlichen Meinung und meinem Zugang um? Wie lebe ich Distanz und wie lebe ich Transparenz? Wann sollte ich mich als Journalist*in mit meinem Zugang, meiner Haltung transparent machen, und wie stelle ich das an?
Wieso ist das „Objektivitätsdiktum“, anders als im angelsächsischen Raum, wo man mit politischer Haltung, die ja jede*r Journalist*in hat, viel offener umgeht, so dominant geblieben in Österreich?
Ich kann nur spekulieren: Vielleicht war das auch eine Gegenreaktion auf die Parteimedien und die Politisierung von Journalismus direkt nach dem Krieg. Dass man dahin einfach nicht mehr zurückwollte. Zudem ist Medienpolitik in Österreich nicht sehr strukturiert. Vielfach beschränkt sie sich auf die Frage: Wessen Gunst kauf ich mir und wen setze ich in welche Position? Jetzt findet die Deklaration auf Twitter, in einer Blase, statt. Das bekommen aber die Medienkonsument*innen gar nicht mit. Ich bin nicht unbedingt zufrieden mit der Art und Weise, wie die Frage von Haltung nun aufbricht: Die, die polarisieren, kriegen mehr Platz. Das finde ich problematisch. Es geht uns als Journalist*innen ja trotzdem darum, dass wir faktenbasiert und möglichst ausgewogen so viel Information wie möglich liefern, damit die Leser*innen eigene Entscheidungen treffen können. Dass man das aus einer weltanschaulichen Position heraus macht, das gehört transparent gemacht. So aber rückt die Meinung selbst in den Vordergrund. Polarisierung führt sicher nicht zu mehr Glaubwürdigkeit.
Zudem ist Medienpolitik in Österreich nicht sehr strukturiert. Vielfach beschränkt sie sich auf die Frage: Wessen Gunst kauf ich mir und wen setze ich in welche Position?
Eine These: Die enorme Polarisierung, die die türkis-blaue Bundesregierung der Gesellschaft gebracht hat, wirkt sich auch auf die Medien aus. Zeitungen suchen noch stärker die Nähe von Parteien, sei es von regierenden Parteien oder der Opposition. Politiker*innen treten mit ihren Recherchen, beispielsweise in den Untersuchungsausschüssen, an einzelne Journalist*innen heran und arbeiten noch enger mit ihnen zusammen. „Litigation-PR“ nennt man das. Das gibt kleineren Start-up-Projekten die Möglichkeit, sich zu positionieren. Richtig?
Das ist ebenfalls wieder eine Frage der Ressourcen. Wenige Medien haben eigene Investigativ-Teams. Die zentrale Frage ist aber eine ganz andere: das Fehlen eines Informationsfreiheitsgesetzes. Wer kein Recht auf einen Zugang zu Information der Behörden und Institutionen hat, wird abhängig von Informationen, die jemand zu geben bereit ist. Und dass da dann eine Intention dahintersteckt, ist klar. Also: Fehlende Transparenz führt ebenfalls zu Abhängigkeit von den Parteien. Das führt zu einem weiteren Punkt: Selbst- und Standesbewusstsein werden vernachlässigt. Dafür ist das Informationsfreiheitsgesetz ein gutes Beispiel. Es wird in der Berichterstattung wenig aufgegriffen, und es gibt auch recht wenige Journalist*innen, die sich dafür aktiv engagieren. Bei den Jüngeren tut sich da etwas mehr: Sie sind zum Beispiel stärker bereit, Kooperationen mit anderen Medien einzugehen, transmedial ein Thema zu recherchieren und Ergebnisse mit anderen Kolleg*innen zu teilen.
Das hat aber auch banale Gründe: Einerseits sichern Recherche-Kooperationen besser vor Interventionen, stärken nach außen und verleihen mehr Gewicht, andererseits ist auch hier wiederum Zeit- und Personalmangel der Grund.
Dann hat das einmal etwas Gutes (lacht). Im Ernst: Das Einzelkämpfertum, das wir seit jeher in Österreich kennen, ist auf dem Rückzug. Das ist gut so. Die jungen Leute, die sagen: „Ich will in den Beruf, weil er lustig ist und ich gerne reise“, werden weniger, die, die dafür brennen, werden wieder mehr.
Die Kritik an der türkisen Medienpolitik lautet zusammengefasst: Mit der Corona-Sonderförderung werde vor allem der ohnehin Kurz-treue Boulevard gefördert, den Qualitätsmedien aber ausgerichtet, man werde sich in Zukunft um ein reformiertes Förderungswesen bemühen – sodass diese sich gut überlegen, wie sie über die Regierung berichten. Gleichzeitig wird ein riesiger PR-Apparat aufgebaut, der selbst als Medienmaschine funktioniert und das kritische Potenzial der Medien aushöhlt. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Es ist wichtig, das im Kontext zu sehen: Überall, auch in Firmen, die nicht zur Medienbranche gehören, gibt es jetzt „integrierte Newsrooms“. Es ist der Versuch, die Medien insgesamt zu umgehen und direkt mit den Kund*innen zu kommunizieren. Es ist aber klar zu sehen, dass vor allem junge Konsument*innen das immer kritischer sehen. So betrachtet, liegt die Regierung Kurz genau im Zeitgeist – logischerweise sieht man das selbst als eine Professionalisierung. Dass die Regierungskommunikation zielgerichteter und weniger auf Diskurs ausgerichtet ist und stattdessen mehr auf den Versuch setzt, die Kommunikation zu steuern, ist, denke ich, offensichtlich. Aus Sicht der Concordia als Interessenvertretung macht das den Beruf einfach schwieriger. Ich höre aus den Redaktionen, dass die Dichte der Interventionen zu- und die Widerständigkeit in den Chefetagen eher abnimmt. Und der Grund dafür ist wiederum die ökonomische Schieflage: Wer abhängig ist, ist anfällig.
Überall, auch in Firmen, die nicht zur Medienbranche gehören, gibt es jetzt „integrierte Newsrooms“. Es ist der Versuch, die Medien insgesamt zu umgehen und direkt mit den Kund*innen zu kommunizieren. Es ist aber klar zu sehen, dass vor allem junge Konsument*innen das immer kritischer sehen.
Was können wir tun, damit Journalist*innen die Angst ablegen und selbstbewusster werden?
Es entstehen neue Projekte. Die Frage ist: Wie finden diese ihr Publikum? Es werden auch Zeitungen und Medien sterben – leider. Aufseiten der Medienfinanzierer und Herausgeber muss man mehr Energie darauf verwenden, die Produkte wieder direkt an die Konsument*innen zu verkaufen. Den Leser*innen muss klar sein: Guter Journalismus ist personalintensiv und kostet Geld. Auf politischer Ebene müssen wir uns dringend das System der Medienförderung ansehen. Wir haben die Diskussion über die Presseförderung schon geführt, da war ich noch nicht einmal in der Branche. Es sollte nur mehr gefördert werden, wenn damit der Bestand von journalistischen Arbeitsplätzen verbunden ist. Das ist wichtiger als in anderen Branchen. Dann muss der Faktor Innovation berücksichtigt werden. Damit ist nicht die technische Ebene gemeint, sondern neue Wege, die journalistischen Inhalte und Information an die Bürger*innen zu bringen.
Was die Journalist*innen selbst angeht: Die müssen viel, viel mehr strukturierten Austausch pflegen. Das tun viel zu wenige. Wenn eine PR-Veranstaltung als Hintergrundgespräch eines Politikers einfach so akzeptiert wird – dann bräuchte es eben eine gemeinsame Reaktion.