Ein Rapper aus Vorarlberg singt: „Wir sind Wutbürger, bringen Hass auf die Straßen!“ Ein Gruppe Lehrer*innen erzählt auf der Bühne von ihrem „Widerstand“ gegen die Maskenpflicht in der Schule. „Maulkorb“ nennt eine von ihnen den Mund-Nasen-Schutz, sie sagt: „Ich werde im Herbst das Gespräch mit meinen Schülern suchen.“ Familien mit Kindern, viele Ältere, viele alternativ gekleidet, sie sehen aus wie Hippies. Offensichtliche Neonazis sind nur wenige auszumachen.
Die Veranstalter hatten unter dem Motto „Querdenken“ zahlreiche Organisator*innen der großen Demos in Deutschland nach Wien gebracht. Unter ihnen Reichsbürger*innen, die sich bemühten, den „Sturm auf den Bundestag“ bei einer großen Demo in Berlin schön zu reden und den Zuhörer*innen weiß machen wollte, die Flagge des deutschen Reichs und die Preußische Fahne seien „keine Nazi-Fahnen“. „Gegner der Coronna- Maßnahmen“ würden sich in einer bunten Bewegung zusammenfinden, viele seien „von den Maßnahmen hart getroffen“, ist leider später auch in vielen Qualitätsmedien zu lesen – oft in Verbindung mit der Frage, wieso sich diese „Gegner“ nicht „von den Rechtsextremen abgrenzen“ würden. Wer so über diese „Bewegung“ denkt, macht einen entscheidenden Fehler.
Kleidung macht noch keinen Rechtsextremen
Dieser Fehler liegt darin, die „Querdenken“-Demos oberflächlich zu beobachten. Dabei ist es im Gegenteil notwendig, bei zwei Punkten genau zuzuhören und hinzusehen: Bei den Organisator*innen der Demos, und bei der Weltanschauung der allermeisten Leute, die bewusst auf solche Demos gehen. Unter den zahlreichen offensichtlich aus Deutschland stammenden Redner*innen auf der Bühne fällt vor allem ein gewisser Frank Radon auf, der leidenschaftlich die Harmlosigkeit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge erklärt. Das klingt anders als das, was Radon auf Demos sonst so erzählt: „Wir werden von pädophilen Satanisten, Freimaurern, Jesuiten und khasarischen Zionisten regiert“, behauptete er vergangenen November in Berlin. Radon ist eine bekannte Figur aus der antisemitischen Reichsbürgerszene. Martin Rütter, eine zentrale Figur der Demo am Karlsplatz und dort auch Moderator, arbeitet eng mit der „Fahnenzerreißerin“ Jennifer Klauninger zusammen – wegen des Vorfalls ermittelt übrigens die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Verhetzung, es gilt die Unschuldsvermutung.
45 Prozent der Befragten in Österreicher halten laut einer Studie den rechtsextremen Kampfbegriff „Lügenpresse“, den bereits die Nazis verwendeten, für „eher“ oder „absolut“ zutreffend.
In Österreich glauben 22 Prozent, das Corona-Virus sei eine „biologische Waffe“.
Umfragen in Deutschland zeigen erschreckende Zustimmungswerte zu Verschwörungserzählungen: Fast jeder Dritte ist laut Konrad-Adenauer-Stiftung anfällig dafür.
Am Tag nach der Karlsplatz-Demo kommen einige tausend Menschen auf den Platz der Menschenrechte, um gegen Hass und Ausgrenzung zu demonstrieren. Für Rütter allesamt Verfechter von Pädophilie. „Das sind Mörder, zum Teil“, sagt er in einem Video mit Klauninger. Ex-Politiker Rütter wurde 2017 wegen Verbreitung rechtsextremer Verschwörungsideologien aus der Team-Stronach-Abspaltung „Team Kärnten“ ausgeschlossen. Seine Mitstreiterin Klauninger organisierte 2015 Demos gegen „unkontrollierte Zuwanderung“.
Fakt ist also: Die „Bewegung“ der „Querdenker“ wird von altbekannten Rechtsextremen und Reichsbürgern geführt. Sie kommen vielfach aus dem „Wutbürger“-Milieu, traten dann vor allem im Sommer 2015 als Pegida in Erscheinung und haben enge Bezüge zu extrem rechten Parteien wie der AfD, der FPÖ oder deren Abspaltungen – siehe HC Strache. Ihre Themen wechseln, Corona wirkt als Brandbeschleuniger und als Kitt für verschiedene Strömungen. „Den einen Rechtsextremismus“ gibt es so nicht mehr: Es sind viele gleichzeitig auftretende Strömungen und Szenen, die sich überlappen.
Querdenken, der Extremismus der Mitte
Die Spitzen der „Bewegung“ sind sich der teils unterschiedlichen Motive der Gruppen bewusst – ebenso der gemeinsamen Motive: Ablehnung des „Systems“, der „Eliten“ sowie Verschwörungsideologien und eines naturalistischen Weltbilds. „Querdenken“ ist klassisch für den „Extremismus der Mitte“. Nach Corona wird dieses demokratiefeindliche Spektrum nicht einfach verschwinden, sondern andere Themen finden – wie schon in den vergangenen Jahren.
Fünf Elemente für rechtsextremes Denken
Diese Weltanschauungen können teilweise oder zur Gänze erfüllt werden. Dazu gehören u.a.:
- Schwarz-Weiß-Denken, Antimodernismus und ein naturalistisches Weltbild („natürliche Ordnung“)
- Ablehnung des demokratischen Pluralismus
- Völkisches Denken, Antisemitismus, Rassismus, Ethnopluralismus („Jedes ‚Volk‘ auf seiner Scholle“)
- Antifeminismus und reaktionäre Geschlechtervorstellungen, Männlichkeitskult
- Ungeklärtes Verhältnis zu Gewalt und/oder Gewaltbereitschaft, Militarismus
Augenscheinliche „Linke“ – Esoteriker*innen und andere „Alternative“ – träumen wie Rechtsextreme und Reichsbürger von einer „natürlichen Balance“. Der gegenüber stellen sie Staat und Politik, die – meist im Geheimen– „widernatürliche“ Veränderungen herbeiführen wollen, Einschränkungen durch Corona-Regeln oder einen (herbeifantasierten) „Impfzwang“. Das „betrogene Volk“, das aufsteht.
Wer sich einer solchen Demonstration anschließt, und frenetisch applaudiert, wenn von einer „Plan-demie“ geredet, ein „Krieg des Volkes gegen die Regierung“ gefordert und offen zum Gesetzesbruch aufgerufen wird, hat einen wichtigen Schritt auf dem Weg in den Rechtsextremismus also bereits getan.