Agnes Streissler-Führer, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der GPA-djp, sagt: „Es gibt viele Instrumente, um den Digitalisierungsgrad in Unternehmen zu messen, aber sie sind technologie-, nicht menschenzentriert.“ Dabei betrifft der Wandel wohl alle Mitarbeiter*innen eines Unternehmens. Was die Geschäftsführung an Digitalisierungsmaßnahmen beschließt – die Einführung eines Online-Shops oder Reservierungsportals, einer Software oder einer automatisierten Fertigungsstraße – trifft das ganze Team. Die Aufgaben der Mitarbeiter*innen verändern sich. Sie müssen Neues lernen. Und manch einer wird nicht mehr gebraucht.
Welche Konsequenzen digitalisierte Prozesse auf die Beschäftigten haben und wo es Handlungsbedarf gibt, wurde während des Lockdowns deutlich, als Homeoffice das „neue Normal“ war. Da viele Unternehmen vorhaben, Homeoffice weiter verstärkt einzusetzen, gilt es, genauer hinzusehen, denn es gibt auch Gefahren. So weist Agnes Streissler-Führer darauf hin, dass Unternehmen auf die Idee kommen könnten, sich durch Homeoffice und Desksharing Mietkosten zu sparen – und das kann zu einer Kettenreaktion führen: Da man im Homeoffice nicht so gut überprüfen kann, wann jemand arbeitet, könnte es zu einer Verschiebung vom Zeitlohn zum Leistungslohn kommen, also zu einer projekt- statt stundenweisen Bezahlung. Streissler-Führer: „Und wenn ich nur die Leistung abhole, muss ich die Leute dann anstellen? Dann würden alle zu neuen Selbstständigen, was sicher keine wünschenswerte Entwicklung wäre.“
Simon Schumich, Referent für Betriebswirtschaft bei der AK Wien, erzählt von der sogenannten „Screenshot-Überwachung“: „Man kennt das von Crowdworkern, wo sogar die Tastenanschläge kontrolliert werden können.“ Über Mikrotasking-Plattformen wie Clickworker oder Upwork werden Arbeitsaufträge, etwa Übersetzungen, vergeben. Dann wird getrackt, wer wie schnell arbeitet. Schumich: „Es ist auch möglich, zu bonifizieren oder malifizieren, also einer Person nächstes Mal weniger Entgeltleistung anzubieten.“ Ein Thema ist auch die Überwachung durch Handy-Ortung oder durch Registrierung, wer sich wann in ein System einloggt. Schumich weist darauf hin, dass es für solche Personenüberwachungen die Zustimmung des Betriebsrats oder von allen Beschäftigten einzeln braucht.
Homeoffice ins Gesetz
Ein Knackpunkt beim Homeoffice ist die Frage, wer für die Betriebsmittel wie Computer, Drucker, Schreibtisch, Handy und Co. aufkommen muss. Arbeitgeber haben die Fürsorgepflicht für einen gesunden Arbeitsplatz, während Dienstnehmer*innen die Treuepflicht gegenüber Arbeitgebern haben. Laut der Studie „Zeit- und ortsungebundenes Arbeiten“, die das Sozialforschungsinstitut IFES im Auftrag der AK Wien im April durchgeführt hat, wurde einiges, was die Mitarbeiter*innen im Homeoffice verwendet haben, nicht von den Arbeitgebern zur Verfügung gestellt. So nutzten 95 Prozent der Befragten eine Internetverbindung, aber nur neun Prozent wurde diese vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt. Ein Mobiltelefon verwendeten 86 Prozent, nur 54 Prozent eines des Arbeitgebers. Nur 13 Prozent bekamen den Drucker zur Verfügung gestellt, dabei druckten 51 Prozent zu Hause – 18 Prozent hätten einen benötigt. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Bürostühlen: 49 Prozent verwendeten einen ergonomischen Schreibtischsessel, und nur neun Prozent bekamen ihn vom Arbeitgeber.
[infogram id=“aandw-online-neue-arbeit-01-1h7v4pzvgdxj6k0?live“]Regelungen über die Ausstattung, die der Arbeitgeber fürs Homeoffice zur Verfügung stellt, hatten nur 42 Prozent der Befragten und Regelungen zur Nutzung privater Infrastruktur wie Handy oder Internetanschluss nur 35 Prozent. Dafür gab es bei 61 Prozent der Befragten eine Regelung zum Datenschutz und zu Datensicherheitsmaßnahmen.
Laut Michael Gogola, Jurist bei der GPA-djp, sollte eine Definition von Homeoffice-Arbeitsplätzen als auswärtige Arbeitsstellen ins ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) aufgenommen werden. Damit ließe sich auch über die allgemeine Fürsorgepflicht hinaus klarstellen, dass die umfassende Verantwortung der Arbeitgeber für die Gesundheit und Sicherheit auch für Arbeitnehmer*innen im Homeoffice gilt. Bestimmungen hinsichtlich Raumgröße, Belichtung, Fluchtwegen etc., die im Homeoffice nicht realisierbar oder mit dem Schutz der Privatsphäre unvereinbar sind, würden nicht zur Anwendung gelangen, meint Gogola. Gesetzlich festgelegt werden könne auch, dass Arbeitgeber Ersatz leisten müssten, wenn private Arbeitsmittel verwendet würden. Die Höhe der Abgeltung könne per Betriebsvereinbarung fixiert werden.
Die Belegschaft im Boot
Wer Digitalisierungsprozesse plant, tut laut Fridolin Herkommer, Head of Digital Affairs bei der AK Wien, gut daran, die Belegschaft ins Boot zu holen: „Es lohnt sich, den Digitalisierungsprozess in Betrieben ganzheitlich unter Einbindung der Beschäftigten und ihrer Vertreterinnen und Vertreter anzugehen.“ Eine neue Software, ein neuer Algorithmus, neue Datensammel- und -auswertungssysteme zu implementieren sei zu kurz gegriffen: „Es braucht einen partizipativen Prozess, der insbesondere auch auf die Veränderung der Arbeitsprozesse und Tätigkeiten eingeht.“ Simon Schumich ergänzt: „Wenn man zum Beispiel zu viele neue technische Tools aufgedrückt bekommt, kann es sein, dass man nicht mehr in die normale Arbeitsroutine kommt.“ Es mache Sinn, sich die Software-Ergonomie gemeinsam anzuschauen und zu entscheiden, welche Software wirklich nötig ist. Wird neue Software von oben angeordnet, die Beschäftigte eher aufhält als unterstützt, rät Schumich zur Dokumentation, wie viel Zeit dafür aufgewendet wird, und notfalls zur Kontaktaufnahme mit dem Betriebsrat.
Auch Agnes Streissler-Führer ist überzeugt, dass der Erfolg von Digitalisierungsmaßnahmen von der Involvierung der Beschäftigten abhängt: „Je besser die Beschäftigten und der Betriebsrat eingebunden sind, desto erfolgversprechender ist die Digitalisierung, denn wenn ich etwas gegen die Beschäftigten mache, wird es nicht funktionieren.“ Wichtig sei, wozu die Digitalisierung eingesetzt werde: „Wenn ich sie nur zur Rationalisierung verwende, werde ich mich selbst vom Markt wegrationalisieren. Wir sehen das im Bankenbereich, wo jetzt einfach alles, was es schon gab, digital angeboten wird – und dann wundert man sich, wenn Start-ups oder Tech-Konzerne einem das Geschäft abgraben.“ Sinnvoll sei es, sich zu fragen, was die Kunden brauchen und welche Bedürfnisse man befriedigen könne, und sich neue Produkte zu überlegen: „Dann habe ich Bestand am Markt.“
Je besser die Beschäftigten und der Betriebsrat eingebunden sind, desto erfolgversprechender ist die Digitalisierung, denn wenn ich etwas gegen die Beschäftigten mache, wird es nicht funktionieren.
Agnes Streissler-Führer, Bundesgeschäftsführer-Stv. der GPA-djp
Digitalisierungsfitte Betriebsräte
Streissler-Führer initiierte 2017, nach Branchen geordnet, zwölf Konferenzen zur Digitalisierung. Die Betriebsrät*innen diskutierten über Digitalisierungsthemen in ihren Betrieben, über ihre Bedürfnisse, die der Belegschaft und über Arbeitsorganisation, die sich ebenfalls durch die Digitalisierung mehr in Richtung Projekt- und Netzwerkorganisation verändert. Dabei zeigte sich unter anderem ein Manko bei der Qualifizierung: „Schulungen, die auf ein bestimmtes System trainieren, gibt es wie Sand am Meer. Fundierte Bildung und Ausbildung gibt es sehr wenig.“ Fridolin Herkommer betont, dass nicht nur neue Berufsfelder wie IT- und Softwareentwicklung, Netzwerktechnik, IT-Security, Data-Analyse oder App-Entwicklung entstehen, für die oft ein Studium nötig ist, sondern dass auch Menschen, die etwa in einem Handwerk tätig sind, digitale Skills brauchen. Daher sollten auch in der Lehre und der Schulausbildung digitale Fähigkeiten vermittelt werden. Generell gibt es laut Herkommer noch wenig Digitalisierung in Klein- und Mittelbetrieben, wo oft nicht einmal eine Online-Terminreservierung möglich ist, aber auch im Gesundheitsbereich, in der Bau-, Metall- und Holzbranche, wo zum Beispiel Drohneneinsatz Sinn machen würde.
Als ein Ergebnis dieser Konferenzen entstand der „DigiCheck“, ein Online-Befragungstool für Betriebsrät*innen, das Mitte 2019 in einer Pilotversion vorgestellt wurde und derzeit mithilfe einer Förderung des Digitalisierungsfonds der AK Wien weiterentwickelt und verfeinert wird. Dabei werden zwölf Fragen beantwortet, zum Beispiel, ob es im Betrieb eine Digitalisierungsstrategie gibt, ob der Betriebsrat eingebunden ist, wie die Belegschaft zur technologischen Entwicklung steht, ob die Führungskräfte die Veränderung mittragen und die Arbeitsbedingungen in Betriebsvereinbarungen geregelt sind. Wer den Fragebogen ausfüllt, erhält eine erste Auswertung. Es ist auch möglich, die Fragen von der Geschäftsführung oder der Belegschaft ausfüllen zu lassen, um eine Bestandsaufnahme zu haben und sie für die Themen zu sensibilisieren.
Die richtigen Fragen stellen
In einem zweiten Schritt kann der Betriebsrat mit dieser Auswertung einen Termin bei dem oder der betriebsbetreuenden Sekretär*in vereinbaren, um wichtige Fragen und „Pain Points“ zu besprechen. Streissler-Führer fasst das Ziel dieser beiden Tools zusammen: „Unsere Betriebsrät*innen sollen insofern fit für die Digitalisierung werden, dass sie ihrem Management die richtigen Fragen stellen können, sodass die Digitalisierung allen zugutekommt.“ Noch gibt es keine auswertbaren Ergebnisse, da es wegen der Corona-Pandemie noch kaum Beratungen gab. Doch diese Tools dienen dazu, den Faktor Mensch zu berücksichtigen. Streissler-Führer: „Wir wollen wissen, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Menschen hat.“
Die Technik ist entgegen häufigen Behauptungen keinesfalls neutral, sondern immer Ergebnis eines andauernden Prozesses gesellschaftlicher Auseinandersetzungen – widersprüchlich und gegensätzlich. Warum wird was wie gelöst, welche Daten werden wie erhoben, wie gewichtet und von wem und zu welchem Zweck ausgewertet?.
Fridolin Herkommer, Leiter des Programms Arbeit im Digitalen Wandel der Arbeiterkammer Wien
In einer Welt der Daten und Algorithmen ist jedenfalls klar, dass auch die Arbeitswelt stark beeinflusst ist. Fridolin Herkommer meint: „Die Technik ist entgegen häufigen Behauptungen keinesfalls neutral, sondern immer Ergebnis eines andauernden Prozesses gesellschaftlicher Auseinandersetzungen – widersprüchlich und gegensätzlich. Warum wird was wie gelöst, welche Daten werden wie erhoben, wie gewichtet und von wem und zu welchem Zweck ausgewertet?“ Diese Fragen werden derzeit gesellschaftlich erörtert, und das kann im besten Fall zu einer demokratischeren und partizipativeren Welt führen. Herkommer: „Es gilt, die Arbeitswelt von morgen gemeinsam zu gestalten.“