Impfstoff für digitale Kompetenzen

Schnell, sauber und ohne Mundschutzpflicht: Digitalisierung ist eine tolle Sache. Das Schlagwort kann aber auch einschüchtern – nämlich dann, wenn man es bisher nicht gebraucht hat, keinen Zugang hatte und nicht ­genau weiß, was das überhaupt alles soll. Drei Projekte zeigen, wie diese Hürden abgebaut werden können.
Elektronische Arbeitszeit-Erfassungssysteme sind praktisch und äußerst effizient – wenn man sie bedienen kann. „Ich bin so oft gerufen worden: ,Bitte hilf mir, ich muss den Urlaub eintragen!‘ Viele hatten panische Angst davor“, sagt Zsuzsanna Hernádi von magdas Social Business.

magdas hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit Jobhindernissen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber für die Mitarbeiter*innen in der Küche, im Housekeeping des Hotels und bei magdas Recycling gab es bei der Nutzung moderner Technologien anfangs enorme Berührungsängste, so Hernádi. Um die abzubauen, wurde das Projekt „ZukunftsFit“ ins Leben gerufen: „Hauptzielgruppe waren arbeitsmarktferne Mitarbeiter*innen, die sowohl im Arbeitskontext als auch im alltäglichen Leben einen eigenständigen Umgang mit modernen Kommunikationsmedien erlernen sollten.“

Themen wie ­Design Thinking oder ­Coding
dürfen nicht einer Elite von TU-­Absolvent*innen vor­behalten ­bleiben.

Helmut Stemmer, Vereinsvorstand Future Learning Lab

 

In EDV-Kursen und im persönlichen IT-Coaching, durchgeführt während der Arbeitszeit, wurden Basiskenntnisse am Computer und am Smartphone vermittelt. Und jetzt gibt es etwa hinter der Rezeption von magdas Hotel einen PC, den alle Mitarbeiter*innen nutzen können – und Vorarbeiter*innen und Führungskräfte in der Reinigung, die an anderen Standorten beschäftigt sind, bekommen recycelte Smartphones zur Verfügung gestellt, über die interne Kommunikationskanäle genutzt werden, berichtet Hernádi.

Chancengleichheit

Das Projekt, das im April abgeschlossen wurde, ist eine jener beispielhaften Initiativen, die vom Digitalisierungsfonds der AK Wien unterstützt werden. „In unseren Förderrichtlinien versuchen wir, Projektwerber*innen darauf hinzuweisen, dass uns Kriterien wie Chancengleichheit und Inklusion wichtig sind“, so Fridolin Herkommer. „magdas hat die Zusage bekommen, weil sehr viele dieser Punkte abgedeckt sind.“

Zsuzsanna Hernádi betreute bei magdas Social Business das Projekt „ZukunftsFit“: „Hauptzielgruppe waren arbeitsmarktferne Mitarbeiter*innen, die sowohl im Arbeitskontext als auch im alltäglichen Leben einen eigenständigen Umgang mit modernen Kommunikationsmedien erlernen sollten.“

Digital-Lab in Schulen

Eine ganz andere Zielgruppe erreicht der „EduMakerSpace Favoriten“, der vom Verein Future Learning Lab organisiert wird: An 14 Schulen im zehnten Wiener Gemeindebezirk – von Volksschulen über Neue Mittelschulen und Polytechnische Schulen bis zur AHS – wurden mobile und stationäre „MakerLabs“ eingerichtet, die jeweils zu einem für die Schule überschaubaren Budget von 1.000 Euro aus einem 3-D-Drucker, einem Vinyl- und Laserschneider, einem Schneidplotter und einer Thermopresse bestehen. Im Werkunterricht werden Lehrer*innen unterschiedlicher Unterrichtsfächer dabei unterstützt, diese Labs im Unterricht zu nutzen. Expert*innen, die den Umgang mit der Ausrüstung während des Prozesses erklären, stehen immer zur Seite, erklärt Vereinsvorstand Helmut Stemmer. Dass dieses Projekt gerade im zehnten Bezirk umgesetzt wird, „bevölkerungsmäßig die drittgrößte Stadt Österreichs“, so Stemmer, ist kein Zufall: Bezirksgrenzen stören hier nicht bei der Umsetzung von Ideen, dafür werden unterschiedliche Schultypen angesprochen – und gezielt auch Schulen, die von Schüler*innen aus Haushalten besucht werden, in denen ein Zugang zu Technik keine Selbstverständlichkeit ist. „Themen wie Design Thinking, Coding etc. müssen zu Kerninhalten aller Lehrpläne werden und dürfen nicht einer Elite von TU-Absolvent*innen vorbehalten bleiben“, so Stemmer.

Gehen wir auf „DigiTour“

Auch hier geht es darum, jenen einen Zugang zu digitalen Technologien zu ermöglichen, die davon bisher ausgeschlossen waren. Schifteh Hashemi, die Projektleiterin von #diginclusion bei „arbeit plus“, erklärt das so: „Digitale Exklusion bedeutet, dass Menschen mit neuen Technologien nicht oder nur in geringem Ausmaß in Berührung kommen, aber auch, dass Dienstleistungen und Produkte entstehen, die für sie nicht (mehr) zugänglich sind.“ Menschen ohne Internetzugang und ohne Wissen über digitale Abläufe seien immer öfter vom sozialen Leben, vom Arbeitsmarkt und von vielen Dienstleistungen abgeschnitten, so Hashemi – vom Ticketkauf per Handy über die Online-Bewerbung bis zum Online-Banking. Hier braucht es Gegenstrategien, die zum einen technische Lösungen sein können, etwa ein Voice-over für gehörlose Menschen oder ein Tool, das sehschwachen Personen beim Erkennen von Videoinhalten hilft. Zum anderen sind es immer wieder Coachings und das Bereitstellen von Fortbildungsgelegenheiten, um digitale Kompetenzen zu vermitteln, wie das bei magdas umgesetzt wurde – oder auch beim Projekt „DigiTour“, das vom Team von „arbeit plus“, dem Netzwerk gemeinnütziger, arbeitsmarktpolitischer Unternehmen in Österreich, nach estnischem Vorbild entwickelt wurde.

Digitale Exklusion bedeutet, dass Menschen mit neuen Technologien nicht oder nur in ­geringem Ausmaß in Berührung kommen, aber auch, dass Dienstleistungen und
Produkte ­entstehen, die für sie nicht (mehr) zugänglich sind.

Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin „arbeit plus“

„DigiTour“ ist ein digital ausgestatteter Anhänger, mit Tablets und Workstations, der im Herbst 2020 in ausgewählten Wiener Bezirken haltmachen wird, um Menschen die Scheu vor digitalen Angeboten zu nehmen und sie spielerisch und interaktiv an diese heranzuführen – und zwar vor allem Frauen, ältere Personen und jene mit geringer formaler Bildung.

Dabei werden ganz unterschiedliche Themen vermittelt: Rund um Fragen um die Arbeitswelt, etwa Berufsorientierungsseiten oder Online-Gehaltsrechner, wurden hier viele bestehende Angebote zusammengetragen. Ein weiterer Punkt ist der sichere Umgang mit dem Internet, vom Fake-News-Check bis zur Warnung vor Kostenfallen, die Frage nach dem digitalen Fußabdruck – und wie Internetbanking funktioniert. Auf der für Smartphones optimierten Website diginclusion.at werden diese Angebote nach und nach auch online und mit YouTube-Tutorials verfügbar gemacht. Dass das Projekt durch die momentane Krise nicht so früh wie geplant stattfinden konnte, sondern erst ab September startet, sieht man bei „arbeit plus“ pragmatisch: „Es gab vorher eine große digitale Scheu, sowohl von Teilnehmer*innen als auch von Trainer*innen. Durch Corona haben wir jetzt einen Digitalisierungs-Boost, dem man nicht auskommt. Und das hat auch viele Vorteile.“

Drei Fragen zu digitaler Inklusion

Effizienzsteigerung und Optimierung schön und gut – aber was bringt die Digitalisierung den Beschäftigten? Fridolin Herkommer, Leiter des Programms „Arbeit im digitalen Wandel“ der AK Wien, hat Antworten.

Im Rahmen der Digitalisierungsoffensive will die AK bis 2024 150 Millionen Euro investieren. Worum genau geht es?

Fridolin Herkommer: Der Digitalisierungsfonds der AK hat das Ziel, digitale Techniken zu entwickeln, die von den Menschen ausgehen. Wir halten es für sinnvoll, wenn Beschäftigte auch im strategischen Prozess eingebunden werden – wie sich die Arbeitsabläufe und die Kommunikation im Betrieb verändern, was für Weiterbildungsprogramme daran anknüpfen. Inklusion bedeutet für uns, die Beschäftigtenperspektive einzubinden.

Wie kann das konkret aussehen?

Wir wollen sicherstellen, dass unterschiedliche Beschäftigungsgruppen und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden, und zeigen, wie Digitalisierung bei der Arbeitsmarktintegration unterstützt. Ein Beispiel ist etwa ein Tool, das mit der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen und dem Austrian Institute of Technology entwickelt wurde. Da können Videoinhalte durch einen Algorithmus mit Kontrast- und Farbverhältnissen indivi­duell so adaptiert werden, dass Sehschwache auch an Webinaren und Videokonferenzen teilnehmen können.

Wie wichtig sind Inklusionsaspekte bei den Förderrichtlinien?

Es gibt Bewertungskriterien, bei denen Inklusion eine Rolle spielt, aber wir machen keine genauen Vorgaben. Häufig werden digitale Technologien sehr erfolgreich eingesetzt, mit Argumenten wie Effizienz und Ressourceneinsparung. Wir wollen einen Gegentrend anstoßen und Beispiele finden, wie Digitalisierung auch genutzt werden kann, um ältere Personen zu fördern. Und dann sagen: „Schaut her, so kann es auch gelingen! An diesen Projekten könnt ihr euch orientieren.“

Über den/die Autor:in

Magdalena Miedl

Magdalena Miedl ist hauptberuflich geschichtensüchtig: Sie schreibt seit zwanzig Jahren über Film und andere Lebensmittel, als Kritikerin, Journalistin, freie Autorin und als Host ihres eigenen Podcasts.

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