Auch wenn auf dem „Tiroler Speck“ eine Österreich-Flagge zu sehen ist, kommt das Fleisch dafür noch lange nicht aus Österreich.
Wer nun glaubt, dass uns das in Österreich jedoch ohnehin nicht betrifft, der irrt gewaltig. Denn das hat uns der Skandal rund um den deutschen Fleischproduzenten Tönnies eindringlich vor Augen geführt. Auch wenn auf dem „Tiroler Speck“ eine Österreich-Flagge zu sehen ist, kommt das Fleisch dafür noch lange nicht aus Österreich. Die deutsche Fleischindustrie zieht mit ihrem Preisdruck auf die Schweinebauern und die Dumpinglöhne in den Schlachtfabriken den gesamten europäischen Marktwert für Fleisch nach unten. Die italienische Mafia hat Süditaliens und Spaniens Obst- und Gemüseplantagen, die ganz Europa mit ihrer billigen Ware beliefern, fest im Griff. Und die Handelsriesen verdienen sich daran eine goldene Nase und freuen sich, mit der Billigstproduktion ihre Monopolstellungen weiter ausbauen zu können.
Auf unseren Tellern landet Fleisch aus dem Ausland
Zwar wurden im Jahr 2018 von der österreichischen Landwirtschaft 911.600 Tonnen Fleischwaren produziert – doch nicht für unseren heimischen Markt. 502.660 Tonnen wurden ins Ausland exportiert. Und parallel wurden 368.684 Tonnen billiges Fleisch (vorwiegend aus Deutschland) nach Österreich importiert.
[infogram id=“aandw-online-lebensmittel-fleisch-1h7z2l37omog2ow?live“]Auf unseren Tellern landet also auch jede Menge deutsches Fleisch. Kein Wunder, denn in der Bundesrepublik wurden 2018 rund 657 Millionen Hühner und fast 57 Millionen Schweine geschlachtet. Dazu weitere viele Millionen Puten, Rinder und Schafe. Damit sich das für die Fleischkonzerne ordentlich rechnet, wird beim Lohn der Beschäftigten gespart. Die Arbeit wird vor allem von Osteuropäern verrichtet, die wiederum bis zu neunzig Prozent bei Subunternehmen angestellt sind – zu Stundenlöhnen bis unter fünf Euro. Das Entsendegesetz und der Mindestlohn werden zumeist mit den traurig berühmten Werkverträgen umgangen.
Was die Landwirtschaftsministerin verheimlicht hat
In Österreich wurde die Existenz solcher Werkverträge in Schlachtfabriken bisher von der zuständigen ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger vehement bestritten. Eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Karin Dollinger der SPÖ Salzburg zeigt, dass das nicht stimmt. Bei einer der größten Schlachtfabriken Österreichs in Bergheim bei Salzburg sind von 330 Beschäftigten nur 130 direkt bei der Firma Alpenrind angestellt. Weitere 200 Beschäftigte arbeiten als sogenannte „Selbstständige“ auf Werkvertragsbasis.
Für die Beschäftigten mit Werkverträgen gilt kein Mindestlohn, keine Höchstarbeitszeit und kein Wochenende. Sie haben keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder Arbeitslosengeld – und was nun durch Corona zu einem ernsten Problem für uns alle wird: Sie können sich keinen Krankenstand leisten.
Auch für sie gilt kein Mindestlohn, keine Höchstarbeitszeit und kein Wochenende. Sie haben keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder Arbeitslosengeld – und was nun durch Corona zu einem ernsten Problem für uns alle wird: Sie können sich keinen Krankenstand leisten. Denn selbst wenn sie sich über die Versicherung für Selbstständige auf eigene Kosten versichern, erhalten sie erst nach 43 Tagen Arbeitsunfähigkeit rückwirkend Krankengeld, in der Höhe von nicht einmal 30 Euro pro Tag.
Also lieber Obst und Gemüse statt Schnitzel?
Nun liegt es natürlich nahe, sich damit zu beruhigen, dass es bei Obst und Gemüse wohl besser aussehen und eine Ausweichmöglichkeit geben könnte. Aber auch da geht es leider nicht besonders appetitlich zu. Denn bis auf Äpfel, Birnen, Kirschen und Zwetschken ist annähernd jedes Obst in unseren Supermärkten importiert. Nicht anders sieht es beim Gemüse aus, auch da müsste man sich – würde man nur Produkte aus Österreich auswählen – mit heimischen Erbsen, Gurken und Wurzelgemüse zufriedengeben. Satt macht das nicht.
Bis auf Äpfel, Birnen, Kirschen und Zwetschken ist annähernd jedes Obst in unseren Supermärkten importiert. Nicht anders sieht es beim Gemüse aus.
Der Großteil des bei uns erhältlichen Obstes und Gemüses kommt aus Spanien oder Italien und wird dort unter furchtbarsten Bedingungen produziert. Ein Recherche-Team des Bayrischen Rundfunks zeichnete 2018 in der grandiosen Reportage mit dem Titel „Dreckige Ernte“ umfassend nach, wie schrecklich es auf europäischen Obst- und Gemüsefeldern zugeht: Hungerlöhne, kaputte Behausungen ohne fließendes Wasser und Strom, fehlende Schutzkleidung, wildes Hantieren mit Pestiziden, Krankheiten, Gewalt, Vergewaltigungen und undokumentierte Arbeit sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Ausbeutung von Flüchtlingen im Süden
Im spanischen Almeria findet sich die größte Anbaufläche der Welt. Hier reicht ein Zelt an das nächste, nur durchzogen von kleinen Wegen und schlechten Straßen. Dort ernten über 130.000 Arbeiter*innen unsere Tomaten, Zucchini, Paprika, Erdäpfel, Beeren, Zitrusfrüchte, Trauben usw.
[infogram id=“aandw-online-lebensmittel-obst-1hd12ymo71nx2km?live“]Viele von ihnen sind Flüchtlinge, sie kommen aus Afrika, Asien und Osteuropa. Beherrscht werden sie von der Mafia, die die Produktion schon lange fest im Griff hat. Ihr Lohn liegt bei 20 bis 40 Euro pro Tag. Wer das Glück hat, nicht versteckt und ohne Papiere arbeiten zu müssen, erhält mehr als jene, die formal eigentlich gar nicht in Europa sein dürften. Menschenhandel ist ein fixer Bestandteil, um ausreichend Arbeiter*innen für die Drecksarbeit verpflichten zu können. Sogar auf einer Borealis-Baustelle in Belgien wird wegen des Verdachts auf Menschenhandel ermittelt.
Dreckige Zeltstädte
Die Feldarbeiter*innen auf süditalienischen Zitrusfrucht-Plantagen müssen ohne Pausen für 25 bis 30 Euro pro Tag schuften, sie werden pro gefüllte Obstkisten bezahlt. Je mehr Kisten, desto mehr Geld. Weil es keine Infrastruktur gibt und sich die Arbeiter*innen bei ihrem Hungerlohn ohnehin keine Wohnung leisten können, leben sie in selbst gebauten Hütten und Zelten aus Sperrmüll direkt neben den Feldern. Sie haben kein fließendes Wasser, keinen Strom und keine Toiletten. Krankheiten grassierten dort schon vor Corona.
Weil es keine Infrastruktur gibt und sich die Arbeiter*innen bei ihrem Hungerlohn ohnehin keine Wohnung leisten können, leben sie in selbst gebauten Hütten und Zelten aus Sperrmüll direkt neben den Feldern. Sie haben kein fließendes Wasser, keinen Strom und keine Toiletten. Krankheiten grassierten dort schon vor Corona.
Der ständige Einsatz von hochgiftigen Spritzmitteln ohne Handschuhe oder Atemschutz führt zudem zu Verätzungen der Haut und Atemwege. Nun wütet dort auch noch das neue Virus, was nun auch bei der lokalen Bevölkerung zu Angst und Schrecken führt. Rund 700 Arbeiter*innen, die meisten aus Bulgarien, wurden nach dem Ausbruch eines Corona-Clusters vom Militär eingesperrt und unter Quarantäne gestellt. Die Arbeiter*innen, die sich nicht einsperren lassen wollten, brachen aus und zogen in einem Protestmarsch durch die Stadt, um auf ihre missliche Lage hinzuweisen. Von Anrainer*innen wurden sie daraufhin mit Steinen beworfen. In italienischen Fernsehberichten war zu sehen, wie italienische Einwohner die Autokennzeichen beschädigter Fahrzeuge bulgarischer Arbeiter*innen triumphierend in die Höhe hielten. Autoscheiben wurden eingeschlagen, ein Fahrzeug in Brand gesetzt. Nachrichtenagenturen berichteten auch über den Polizeieinsatz, der die Demonstrierenden zurück in ihre Quarantäne-Station drängte. Soldaten wurden eingesetzt, um eine Sperrzone durchzusetzen.
Was kann man dann eigentlich noch essen?
Eine gute Frage. Wer es sich nicht leisten kann, ausschließlich regional und bio zu kaufen, der kommt an diesen Waren aus dem Ausland nicht vorbei. Die Verantwortung dafür liegt vor allem bei den Supermarktketten, sie geben die Preise, Konditionen und Rabatte vor, die Lieferanten können meist nicht anders, als zuzustimmen. Supermarktketten tragen deshalb eine Mitschuld an der grausamen Situation auf den Feldern und in den Schlachtfabriken. Die volle Verantwortung dafür aber, dass wir uns alle nicht mehr sorglos unser Essen schmecken lassen können, trägt die Politik, die es verabsäumt, endlich zu handeln.