Alter Aluhut, neue Gefahr

natali
Illustrationen (C) Adobe Stock / Montage
Erst jetzt, in der Corona-Krise, wird vielen wirklich klar, wie gefährlich Verschwörungsideologien sind. Warum Rechtsextremismus und Antisemitismus von der Verschwörungs-Bubble nicht zu trennen sind, warum legitimer Protest aber zwangsweise untergehen und was man gegen Verschwörungsglauben tun kann – wir schaffen Abhilfe.
Das Corona-Virus kommt aus einem chinesischen Labor in Wuhan, sagt Donald Trump. Ob es von dort absichtlich oder unabsichtlich seinen Weg rund um die Welt angetreten habe, lässt er absichtlich offen. Aussage und Andeutung allein reichen ihm. Der US-Präsident ist damit oberster Verschwörungsmythiker, er stellt sich an die Spitze einer weltweit aufkommenden Welle von antisemitischen Protesten gegen die Anti-Corona-Maßnahmen, die allerorts ihre Thesen mit zunehmender Aggressivität auf die Straße tragen. Die Bilder der Demonstrationen in Wien, Berlin oder aus den USA ähneln sich: Die 5G-Technologie und Bill Gates verbreiteten das Virus, heißt es, dahinter stecke ein „tiefer Staat“, der die Weltordnung verändern und eine neue Diktatur errichten wolle, dunkle Mächte, Israel und die Juden wollten die Menschenrechte abschaffen, die Krise sei absichtlich herbeigeführt worden, um uns zu versklaven und um Geld zu scheffeln.

Bewaffnet in den Untergrund

Sieht man genauer hin, erkennt man: Die Demos selbst sind nur die Spitze des Eisbergs. Was Influencer auf Instagram aktuell abliefern, greifen etablierte Medien so gut wie gar nicht auf. Zwischen neuen Produkten und Styles rufen die Insta-Stars mit ihren Hunderttausenden Followern dazu auf, sich doch ein eigenes Bild zu machen, und sie erklären, dass alles, was zu Corona berichtet werde, lediglich „Meinungen“ seien – oder sie verbreiten gleich selbst aktiv solcherlei Verschwörungsmythen.

Demos selbst sind nur die Spitze des Eisbergs.

Zu ohnehin schon einschlägig bekannten Prominenten wie Xavier Naidoo gesellt sich der deutsche Bestseller-Autor und vegane Koch-Guru Attila Hildmann, der die Abschaffung der Demokratie durch Angela Merkel erwartet und im selben Atemzug ankündigt, sich bewaffnet in den Untergrund zurückzuziehen.

Selbst in burgenländischen Dörfern finden sich anonyme Postwurfsendungen, die die Corona-Verschwörung erklären: Wissenschafter*innen, die WHO, die Medien und alle westlichen Regierungen logen uns an, ist darauf zu lesen, und: „Wie viele Opfer kennen Sie persönlich? … Was fehlt, sind die vielen kranken Menschen!“

Antisemitische Urverschwörungstheorie

Auffallend dabei ist, dass in den Berichten über solcherlei Demos in Deutschland wie in Österreich teils großes Erstaunen über die Zusammensetzung des Publikums herrscht: eine Mischung aus Alternativen, Esoterikern, Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern über Liberale, die den Rechtsstaat verteidigen wollen – bis hin zu Rechtsextremisten. „Querfront gegen Corona“ nannte man sich bei den Demos im April in Wien,  als „Hygienedemos“ bezeichnet man sich in Deutschland.

Weder die Aggressivität dieser Verschwörungmythiker noch die krude Mischung der Demonstranten aber kommt aus dem Nichts – und auch an ihren Parolen ist nichts neu, wie im Krisentagebuch von Natascha Strobl bereits angesprochen wurde.

Doch wieso hängen Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien so eng zusammen? Warum geht es in der Szene gerade jetzt so viel um Bill Gates und 5G? Was macht antisemitisches Denken in der Corona-Krise aus? Und wie sollen wir damit umgehen, wenn so etwas im eigenen Umfeld auftritt?

Die banale Wahrheit ist: Der Kern des Antisemitismus war und ist immer ein Verschwörungsmythos.

Die banale Wahrheit ist: Der Kern des Antisemitismus war und ist immer ein Verschwörungsmythos. Das war schon im Mittelalter so, während religiöser, antisemitischer Pogrome. Überdeutlich wurde es im 19. und 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen des rassistischen Antisemitismus. Kern war und ist immer die Annahme, Juden würden im Hintergrund steuernd und sinister das Unheil über die Welt bringen. Mit der Fälschung und Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ lag um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert schließlich eine „antisemitische Urtheorie“ vor. Bis heute findet sie weltweit Verbreitung, in abgeänderter und angepasster Form. In fast jedem Verschwörungsmythos lassen sich ihre Spuren und Grundzüge nachweisen. Antisemiten sind vor allem eines nicht: erfinderisch. Nur die Art ihrer Erzählung ändert sich.

Wenn also etwa Identitäre wie Martin Sellner davon sprechen, dass hinter der Fluchtbewegung 2015 ein „Konglomerat aus Politik, Journalisten, Medien und der Wirtschaft“ stecke, wird diese antisemitische Urtheorie ebenso deutlich wie bei der Leittheorie der Identitären, der „Neuen Rechten“ oder den „White Supremacists“: dem „großen Austausch“. Dass solche Gedanken, wenn man sie zu Ende denkt, zu Gewalt und Mord führen können, haben wir in den letzten Jahren vielfach erlebt. In Christchurch, in Halle, in Hanau.

Rechtsextreme Unterwanderung

Rechtsextreme Unterwanderung
Montagsdemos und Friedensmahnwachen wurden auch aktiv von der extremen Rechten besucht und beworben.

Wie erfolgreich Rechtsextreme und Antisemiten sind, legitime Kritik auf der Straße und Protestbewegungen aller Art zu unterwandern, und wie rasch eine Bewegung „kippen“ kann, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt gesehen. Als etwa nach der Finanzkrise 2008 die „Occupy“-Bewegung aus den USA nach Europa überschwappte, tauchten auf den Demos am Wiener Stephansplatz und in Interviews bald verschwörungsideologische Geldtheorien auf, bald waren antisemitische Aussagen zu hören und zu lesen. Aus dem radikalen Kern der „Wutbürger*innen“ entstanden, getrieben von einzelnen charismatischen Protagonisten, die Anfänge dessen, was heute unter Staatsverweigerer oder Souveränisten geführt wird. Dieses Milieu könnte heterogener nicht sein.

Montagsdemos und Friedensmahnwachen wurden auch aktiv von der extremen Rechten besucht und beworben. Dem Arbeit&Wirtschaft-Magazin liegt eine Serie von Fotos vor, die die oberösterreichische Polizei 2014 auf einer „Friedensmahnwache für eine menschenwürdige Welt“ am Linzer Hauptplatz aufgenommen hatte. Darauf zu sehen: Hinter einer kleinen Schar friedensbewegter Aktivist*innen vor der Bühne stand das Who’s who des oberösterreichischen Rechtsextremismus, darunter ehemalige Mitglieder des neonazistischen „Bundes Freier Jugend“. Wann immer es zu Krisen, zu Verwerfungen kommt, tritt diese Dynamik auf den Plan. Je instabiler, krisenhafter und komplexer diese Entwicklung, umso mehr schlägt die Stunde der Verschwörungsideologen.

Nach den Krisen der letzten Jahre und Jahrzehnte stellt die Corona-Pandemie nun den perfekten Nährboden für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen dar.

Nach den Krisen der letzten Jahre und Jahrzehnte stellt die Corona-Pandemie nun den perfekten Nährboden für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen dar. Zuerst noch tanzen und singen Hippies in München und Berlin das Virus weg, dann sind es Staatsverweigerer oder Neonazis, die sich ihren Demos anschließen. Das Thema eint zwei paradoxe Gruppen, und in der Weltanschauung wiegen – scheinbar plötzlich – die Gemeinsamkeiten mehr als die Unterschiede.

Antisemitismus beginnt immer mit einer Tendenz

„Wir haben Extremfälle, bei denen Leute eine Nacht lang YouTube-Videos durchsehen und danach mehr oder weniger verhetzt sind“, sagt Michael Blume. Beim Religions- und Politikwissenschafter und Beauftragten gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg laufen dieser Tage die Telefone heiß. Die zahlenmäßige Zunahme von Personen, die antisemitischem Gedankengut anhängen, macht ihm allerdings weniger Sorgen als die Radikalität derer, die ohnehin schon einschlägige Tendenzen gezeigt hatten. Durch die Corona-Krise kapsle man sich noch stärker ab, die Bedrohungssituation zeige – Stichwort Hildmann –, wie schnell es von der Verbreitung von Verschwörungsmythen zur Ankündigung von Gewaltbereitschaft gehen kann.

Wir haben Extremfälle, bei denen Leute eine Nacht lang YouTube-Videos durchsehen und danach mehr oder weniger verhetzt sind.

Michael Blume, Religions- und Politikwissenschafter

Blume bringt die aktuelle Entwicklung auf eine knappe Formel: „Tendenz – Verstärkung – Boost“. Antisemitismus beginne meist mit einer Tendenz, und die vielzitierten Echokammern des Netzes tragen zur Verfestigung der Einstellungen bei. „Und wenn dann noch ein so massives Ereignis wie Corona passiert, führt das zur Eskalation oder zur Radikalisierung“, erklärt er.

Wann welche Themen in der Szene dominant werden, hat damit zu tun, was medial diskutiert wird. Der Ausbau von 5G oder das Impf-Thema waren in der Verschwörungs-Bubble schon lange Thema, doch seit der Corona-Krise dominieren sie den Diskurs.

Antenne vs. Virus

Die 5G-Verschwörung
Michael Blume, Religions- und Politikwissenschafter: „Die Antenne tötet dich nicht, aber das Virus kann dich töten.“

„Wir reden bei 5G, Elektrosmog und Handystrahlen wie auch bei Corona von Wirkungen, die wir nicht sehen können“, sagt Blume. „Um die Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit einer solchen Entwicklung einschätzen zu können, sind wir darauf angewiesen, Expert*innen und Wissenschafter*innen zu glauben.“ Nach dem Motto: „Die Antenne tötet dich nicht, aber das Virus kann dich töten.“

In dem einen Fall hätten Menschen, die an die Schädlichkeit von Handystrahlen glauben, das Gefühl, sie würden nicht geschützt. „Und im anderen Fall, also beim Corona-Virus, werden ihnen Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht auferlegt.“ In beiden Fällen argumentieren dies Expert*innen, also übergeordnete Instanzen, die in der Lage sind, die Dinge zum Guten oder zum Schlechten zu verändern.

Der Verschwörungsgläubige soll also etwas hinnehmen, von dem – seinen Theorien nach – andere etwas haben.

Der Verschwörungsgläubige soll also etwas hinnehmen, von dem – seinen Theorien nach – andere etwas haben.

Was tun?

Blume spricht von einem „libertären Antisemitismus“, dieser sei in der Lage, auch berechtigte Ängste und Anliegen zu kapern. „Der Staat nimmt mir meine Freiheit, ,die Juden‘ werden zu Gegnern der Menschenrechte.“ Der libertäre Antisemitismus schaffe es so, über das gemeinsame Feindbild alle Milieuunterschiede zu überwinden.

Verschwörungsmythiker und Antisemiten sind drauf und dran, sich in der Debatte um Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit durchzusetzen.

Verschwörungsmythiker und Antisemiten sind drauf und dran, sich in der Debatte um Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit durchzusetzen. Genau das macht sie gerade jetzt so gefährlich. Wer mit QAnon, 5G und Parolen wie „Wir sind das Volk“ nichts anfangen kann und aus Sorge um unsere Grundrechte in der Corona-Krise demonstrieren geht, kann sich faktisch nicht mehr von den Rechtsextremen, Antisemiten und Verschwörungsideologen abgrenzen. Das passiert im Netz ebenso wie bei Demos auf der Straße – nur dort wird es besonders offensichtlich.

Die Impfpflichtverschwörung
Der Ausbau von 5G oder das Impf-Thema waren in der Verschwörungs-Bubble schon lange Thema, doch seit der Corona-Krise dominieren sie den Diskurs.

Egal, ob im Netz oder im persönlichen Umfeld – den Betroffenen bloß Fakten hinzuknallen, auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu verweisen oder sie schlussendlich für dumm zu erklären, sei wohl der falsche Weg, erläutert Michael Blume. Vor allem dann, wenn der- oder diejenige bereits ein geschlossenes Weltbild aufweise. Viel effektiver sei es, die Position erst einmal hinzunehmen – und dann durch Fragen zu versuchen, die Verschwörungsgläubigen selbst zu einem Nachdenkprozess zu bringen. Persönliche Ansprache auf einer emotionalen Ebene: Nur so könne bei noch Erreichbaren ein solcher Prozess vielleicht überhaupt noch in Gang gesetzt werden. Von Konfrontationen im Netz rät Blume ab. Das sei im Gegenteil sogar kontraproduktiv und führe nur zu noch mehr Mobilisierung und Einigelung.

Die breite Öffentlichkeit aber, vor allem die Medien, lieferten sich in Summe der massiven Gefahr aus, die von Verschwörungsdenken ausgehe. Esoteriker und Staatsverweigerer wurden allzu lange als Spinner, Obskuranten und Verrückte dargestellt. Gegen Staatsverweigerer wurde die Politik erst aktiv, als Behörden, Richter*innen  und Staatsanwält*innen massiven Drohungen aus der Szene ausgesetzt waren.

Sobald ein Impfstoff gegen das Corona-Virus verfügbar ist, werden die Impfgegner noch stärker ins Zentrum der Diskussion rücken.

Erst mit der Debatte um die Impfgegner, die schließlich die Gesundheit aller bedrohen, begann sich das zu ändern. Sobald ein Impfstoff gegen das Corona-Virus verfügbar ist, werden die Impfgegner noch stärker ins Zentrum der Diskussion rücken. Es braucht offensichtlich die für jede und jeden Einzelne*n konkret fühlbare Bedrohung einer Krankheit, ja einer globalen Pandemie samt Wirtschaftskrise, damit die kritische Öffentlichkeit auch die Gefahr von Verschwörungsideologien tatsächlich erkennt.

Mehr dazu

Michael Blume twittert unter @BlumeEvolution und klärt in seinem Blog/Podcast auf Spektrum.de über das Thema auf.

Natascha Strobl im #Krisentagebuch über Verschörungsmythen.

Über den/die Autor:in

Werner Reisinger

Werner Reisinger ist Journalist, studierter Zeithistoriker und Politikwissenschafter. Seit 2005 war er als Redakteur und Gestalter für den ORF (ua. Club 2, Zeit im Bild, Im Zentrum) tätig, von 2015 bis 2019 Innenpolitikjournalist für die „Wiener Zeitung“. Aktuell berichtet er aus Wien unter anderem für das deutsche RND und die „Augsburger Allgemeine".

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