Unter Druck
Der erste aktive Kontakt zur Gewerkschaft war für die gelernte Industriekauffrau eine Einladung zu einem Rhetorikseminar durch einen Jugendvertrauensrat. Palkovich beschloss, sich zu engagieren, und wurde zu einer der JugendvertrauensrätInnen gewählt. Ein wichtiges Ziel war Mitsprache. Die Lehrlinge wechselten jedes halbe Jahr die Abteilung, um das Berufsbild zu erfüllen, eingeteilt wurde das von der Personalchefin. „Wir fragten stattdessen die Lehrlinge selbst, was sie interessiert und welche Abteilungen sie kennenlernen wollen“, erzählt die Wienerin. Diesen Vorschlag nutzte die Personalchefin als Basis für die Einteilung. „Sie hat ihn geprüft und so umgesetzt, wenn nichts dagegengesprochen hat.“ Im Unternehmen kam ihr gewerkschaftliches Engagement auf Dauer aber nicht gut an. Nach ihrer Ausbildung wechselte die damals 20-Jährige ins Wiener Jugendreferat im ÖGB und war dann vier Jahre Bundesjugendsekretärin der GPA-djp.
Seit 2004 ist sie „Wirtschaftsbereichssekretärin“, wie ihre offizielle Funktion heißt – und als solche ist sie Chefverhandlerin für die ArbeitnehmerInnenseite. „Das ist ein ehrenwerter Titel“, sagt sie und lacht. „Aber ich vertrete die Anliegen der Handelsangestellten und darf für sie in der ersten Reihe sprechen.“ Seit 2018 verhandelt sie neben dem Handels-KV auch jene für den „Verkehrsbereich Straße“. Dazu zählen etwa Spedition und Logistik, Güter- und Personenbeförderung. Die Beschäftigten beider Branchen stehen unter Druck. Die Arbeitgeber drängen auf eine Ausweitung der Arbeitszeit, etwa am Sonntag – wogegen die Gewerkschaft eintritt. Besonders stolz ist Palkovich, dass es im Verkehrsbereich gelungen ist durchzusetzen, dass ArbeitnehmerInnen sich am ersten Schultag ihres Kindes bezahlt freinehmen können.
Rauer Ton
Anita Palkovich tritt selbstbewusst auf, sie trägt hohe Schuhe – ganz bewusst. „Die verleihen mir eine gute, sichere Haltung“, sagt sie. KV-Verhandlungen folgen Ritualen. „Zu Beginn erklären die Arbeitgeber meist, dass das Geschäft nicht gut läuft bzw. sich die Konjunktur demnächst eintrübt. Sie versuchen ihre Wünsche nach Deregulierung und niedrigen Gehaltsabschlüssen zu rechtfertigen. Da heißt es: fokussiert unsere Forderungen verfolgen.“ Im Oktober 2019 setzten sie und ihr Handels-KV-Team auf eine neue Strategie: Bisher wurde die monetäre Forderung erst am Verhandlungstisch offengelegt. Diesmal richteten die GewerkschafterInnen den Arbeitgebern vorab aus, dass sie neben drei zusätzlichen Freizeittagen eine Gehaltserhöhung von 100 Euro fordern. „Man kann sich unter einem Geldbetrag mehr vorstellen als unter einer Prozentzahl. Wir hatten irrsinnig große Unterstützung.“ Die KV-Verhandlungen sollten schneller konkret werden. Im Jahr 2018 kam ein Abschluss erst nach fünf Runden zustande. Doch die Arbeitgeber reagierten auf die Forderungen verschnupft, sie seien „überzogen und weltfremd“. Der Ton war rau: So ärgerte Palkovich die Aussage von Arbeitgeberseite, dass Teilzeitbeschäftigte im Handel angeblich keinen Stress hätten. „Das war persönlich wirklich schwer auszuhalten.“
Die Verhandlungen stockten: Das Angebot der Arbeitgeber lag nur knapp über der Inflationsrate von 1,7 Prozent. Nach der dritten Gehaltsrunde führte die Gewerkschaft über 200 Betriebsversammlungen durch, was Bewegung in die Sache brachte: Mit 1. Januar 2020 stiegen die Gehälter für Handelsangestellte zwischen 2,2 und 2,5 Prozent, und es stehen zwei zusätzliche Freizeittage im KV.