Pflege als wichtigste Aufgabe

Foto (C) Markus Zahradnik
Pflegeeinrichtungen zählen ebenso wie mobile Dienste zur sozialen Infrastruktur eines Staates. Gerade in diesem Bereich brennt der Hut – dessen ist man sich seit vielen Jahren bewusst.
Zahlen, so lautet eine weitverbreitete Meinung, haben nicht die Kraft zu emotionalisieren. Doch diese Zahl macht wohl jene, die eine zu pflegende Person in der Familie haben, wütend: 75.700. So viele Menschen werden bis 2030 in der Pflege benötigt – zusätzlich zu den derzeit 127.000 Beschäftigten. Das hat die Gesundheit Österreich GmbH im Auftrag des Sozialministeriums in der Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich errechnet. Um diesen Bedarf erfüllen zu können, ist ein weiter Weg zurückzulegen.

Pflegekräfte sind mit ihrer Arbeit und dem Klima zwar grundsätzlich zufrieden, wie eine Umfrage der AK Anfang 2019 zeigte, doch ihre Arbeitsumstände sind so widrig, dass viele ausbrennen und den Beruf verlassen. Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik in der Arbeiterkammer Wien, sagt: „Die Situation der Pflegekräfte in Österreich ist hoch dramatisch. Sie machen Akkordarbeit und haben keine Zeit, den zu Pflegenden Zuwendung zu geben.“ Es sei Alltag, dass Dienstpläne nicht eingehalten werden: „Die Pflegekräfte werden permanent daheim angerufen und müssen einspringen. Sie brennen am laufenden Band aus.“ Von Missständen will Rosoli zwar nicht sprechen, aber sie sieht große Herausforderungen in der Pflege. Das drängendste Thema sei der Personalnotstand, Rang zwei belegt ihr zufolge der fehlende Ausbau von Pflegedienstleistungen, insbesondere der mobilen Pflege. Platz drei ist die Finanzierung.

Mehr als 460.000 Menschen beziehen in Österreich Pflegegeld.

Michaela Guglberger, Sekretärin für den Fachbereich Soziale Dienste der Gewerkschaft vida, bringt die Perspektive der zu Pflegenden ein, die wegen Zeitmangels ihrer BetreuerInnen zu wenig gefördert werden: „Es darf nicht sein, dass Menschen Dinge, die sie vielleicht noch tun könnten, aus Zeitmangel der Pflegekräfte nicht mehr tun.“ Die vida fordert für Pflegekräfte eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Guglberger: „Pflege ist ein schwerer Job. Der psychisch und physisch hohe Druck und die Dienstplaninstabilität wird noch mehr Menschen aus dem Beruf vertreiben.“ Eine 35-Stunden-Woche ermögliche mehr Freizeit und Regeneration, was den Pflegeberuf auch, unter anderem für Quereinsteiger, attraktiver machen würde.

Eine 35-Stunden-Woche ermögliche mehr Freizeit und Regeneration, was den Pflegeberuf auch, unter anderem für Quereinsteiger, attraktiver machen würde.

Sozialminister Rudolf Anschober hat die Pflege zur wichtigsten Aufgabe seines Ministeriums erklärt. Eine Pflegelehre etwa soll für mehr Pflegekräfte sorgen. Doch der Haken ist, dass Jugendliche erst ab einem Alter von 17 Jahren Menschen pflegen dürfen. Vorher sollen sie, so die Idee der Regierung, theoretisch ausgebildet werden. Weiters wird im Regierungsprogramm eine Pflegeversicherung erwähnt. Gewerkschafterin Guglberger vermisst Konkretes: „Es steht nicht wirklich dabei, wer das finanzieren soll: Wenn die Pflegeversicherung privat finanziert werden soll, können wir uns fürchten.“ Eine staatliche Versicherung, etwa über die AUVA, werde die Pflege auch nicht retten.

Steuerfinanziert

Für AK und vida muss Pflege steuerfinanziert sein. AK-Expertin Rosoli plädiert dafür, die übrig gebliebene Milliarde aus dem letzten Regierungsbudget in die Pflege zu investieren. Sie hält Erbschafts- und Vermögenssteuern für eine gute Möglichkeit, um auch weiterhin genug Geld für die Pflege zu haben – nämlich etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. AK und vida fordern zudem eine Pflegegeldreform, um den Dschungel der Förderungen etwa der Bundesländer zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Außerdem sollte sich die Höhe des Pflegegeldes nicht nur nach den Defiziten der Betroffenen richten, sondern vor allem darauf abzielen, ihre Fähigkeiten zu fördern.

Wir wissen ganz viel, wie wir die Pflege besser machen könnten, aber zahlen will es niemand. Wir sehen die Verantwortung jetzt beim Sozial- und beim Finanzminister.  

Silvia Rosoli, Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik in der Arbeiterkammer Wien

Die Task-Force „Pflegevorsorge“ aus dem Regierungsprogramm, in der alle Stakeholder aus Bund und Ländern über Angebots- und Bedarfsplanung in der Pflege diskutieren werden, begrüßen vida und AK. Auch die „Community Nurses“, zentrale Ansprechpersonen, die Hausbesuche machen, sieht etwa Silvia Rosoli als positiv an. Anderes, wie etwa dass 24-Stunden-PflegerInnen, die jetzt schon hoch belastet sind, mehrere Haushalte betreuen können sollen, hält sie für gefährlich, genauso die Pflege am Bauernhof. Rosoli resümiert: „Wir wissen ganz viel, wie wir die Pflege besser machen könnten, aber zahlen will es niemand. Wir sehen die Verantwortung jetzt beim Sozial- und beim Finanzminister.“

Von
Alexandra Rotter
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/20.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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