Keine selbstkorrigierenden Kräfte


Eduard März von der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien veröffentlichte 1959 eine Aufsatzsammlung zu den damals aktuellen Positionen der Wirtschaftswissenschaften und deren politischer Konsequenz – die Artikel waren zuerst zwischen 1956 und 1958 in der Arbeit&Wirtschaft erschienen. März arbeitete dabei auch heraus, welchen Bruch die Analysen von John Maynard Keynes mit den traditionellen Positionen der wissenschaftlichen „Orthodoxie“ bedeuteten, und zeigte die negativen Konsequenzen des Glaubens an die Selbstregulierungskräfte des Marktes auf, wie sie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre deutlich sichtbar geworden waren.

Zu Beginn der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre standen noch die meisten zünftigen Nationalökonomen – insbesondere in der anglosächsischen Welt – unter dem Eindruck einer … „passiven“ wirtschaftspolitischen Philosophie. … Einer solchen Auffassung entsprach auch die Haltung der meisten konservativen Regierungen …, die jede aktive Maßnahme zur Behebung der Arbeitslosigkeit ablehnten, mit der Begründung, dass dies die regenerativen Kräfte unterbinden müsste. Aber als die Krise unvermindert fortdauerte, begann man sich … mit (den) großen Fragenkomplexen zu beschäftigen, für die die Ereignisse damals so großes Anschauungsmaterial lieferten. … Die keynessche Analyse der kapitalistischen Wirtschaftsordnung führte … zu dem Schluss, dass das bestehende System keine wirklich wirksamen selbstkorrigierenden Kräfte besitze, von denen die gleichsam automatische Erhaltung des Gleichgewichtszustandes auf einem Niveau der Vollbeschäftigung erwartet werden dürfe. …

Keynes hat … dem Fatalismus, mit dem die westliche Welt dem Wüten der Wirtschaftskrisen zu begegnen pflegte, einen tödlichen Schlag versetzt. Nach dem Erscheinen der „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung“ 1936 war die bis dahin geltende Auffassung von der wirtschaftspolitischen Abstinenz des Staates nicht mehr hoffähig. … (Dabei ist der) Grundsatz ausgesprochen, dass der Schwerpunkt der staatlichen Beschäftigungspolitik nicht auf dem Gebiet der öffentlichen Kredit- und Geldpolitik zu suchen sei, sondern in das Gebiet einer zielbewussten Budget- und Steuerpolitik verlegt werden müsse.

Eduard März schrieb seine Aufsätze, als das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit sich gerade erst zu regen begann und der Sozialstaat in Mode war. Die neoliberale Entwicklung ab den 1980er-Jahren mit ihrem Ziel, den Staat den Marktinteressen unterzuordnen, konnte er nicht voraussehen. Aber er erkannte schon ohne jeden Zweifel, dass die Reichen und Mächtigen den Eingriff des Staates in den Markt nur zähneknirschend dulden würden, und er forderte Wachsamkeit.

Die Bourgeoisie findet sich mit dem Keynesianismus in einer Stimmung der Resignation ab. … (H)üten wir uns davor, die gewaltige Kraft der amerikanischen, englischen und deutschen Kapitalistenklasse zu unterschätzen, die keineswegs gesonnen ist, ihre sozialen Privilegien auf dem Altar der reinen Demokratie kampflos hinzugeben.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

Von Brigitte Pellar, Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/16.

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