Dilemma Niedriglöhne

Ein Gewerbebetrieb stellt einer Gemeinde eine Werkstätte zur Verfügung, damit die AsylwerberInnen, die dort in einer Unterkunft leben, etwas Nützliches tun können. Der Gemeinderat ist begeistert. Denn schließlich ist die nach Monaten des Nichtstuns wachsende Ungeduld der AsylwerberInnen deutlich spürbar. Die „Asylanten, die auf unsere Kosten leben“, bestimmen die Gespräche am Stammtisch. Was also wie tun, damit alles seine Richtigkeit hat und niemand zu Schaden kommt? In einer anderen Gemeinde gibt es harsche Diskussionen, schließlich hat der Bürgermeister den vier Gemeindearbeitern auf dem Bauhof gekündigt – ihre Arbeit erledigen jetzt Asylwerber aus der nahen Unterkunft. Beides sind fiktive Beispiele, die sich jedoch in ähnlicher Form oft in Österreich abspielen.

Eingeschränkt
Die „gemeinnützige Arbeit“: Sie steht im Mittelpunkt der Debatten um die Integration von Flüchtlingen, seit dem sommerlichen Vorstoß des Innenministers aber auch um die Zukunft der Mindestsicherung. Tatsächlich ist sie eine der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten für AsylwerberInnen, während des Asylverfahrens einer Beschäftigung nachzugehen. Ihr Arbeitsmarktzugang ist ja sonst sehr eng, aktuell stehen ihnen nur Saisonbeschäftigungen in Tourismus und Landwirtschaft offen, für die sie zudem eine Beschäftigungsbewilligung brauchen. Selbst diese Jobs gibt es für sie also nur dann, wenn keine beim AMS vorgemerkte Arbeitskraft dafür verfügbar ist. Jugendliche können wenigstens eine Lehre in einem der sogenannten Mangelberufe absolvieren. Kein Wunder, dass nur rund 400 von rund 85.000 AsylwerberInnen so arbeiten bzw. ausgebildet werden.
Auf freiwilliger Basis können Flüchtlinge aber zu „gemeinnützigen Hilfstätigkeiten für Bund, Land und Gemeinde“ herangezogen werden. Sie verdienen dabei einen „Anerkennungsbetrag“, ohne dass es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis mit einem steuer- und abgabenpflichtigen Einkommen handeln würde. Nach den Vorstellungen von Innenminister Wolfgang Sobotka sollen „20 Wochenstunden gemeinnützige Arbeit“ zudem eine Voraussetzung für den Bezug von Mindestsicherung werden – wohlgemerkt ohne den Zusatz „freiwillig“. 
Arbeit als ein zentrales Element von Integration stellt niemand in Abrede. Asylsuchende brauchen Vorbereitung dafür – Spracherwerb, berufliche Ausbildung, Anerkennung bzw. Anpassung ihrer beruflichen Qualifikationen sind da entscheidend. Damit sieht es in Österreich aber eher düster aus. Deutschkurse gibt es für sie in den allermeisten Gemeinden nur ehrenamtlich, von Kompetenzerhebungen oder gar beruflichen Ausbildungen für AsylwerberInnen ganz zu schweigen. Es wird sich wohl auch nichts Maßgebliches daran ändern, dass der Arbeitsmarkt für Asylsuchende weitgehend abgeriegelt ist, zumindest deutet nichts in der politischen Debatte darauf hin.
Bleibt also die „gemeinnützige Arbeit“ als einzige Möglichkeit, den AsylwerberInnen einfach Tätig-Sein zu ermöglichen. Ihnen Kontakte zu anderen Menschen und der österreichischen Alltagskultur, Sinn und Erfolgserlebnisse zu vermitteln, ein wenig mehr Würde, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung durch die möglichen Zuverdienste zur Grundversorgung zu erlauben – eben all die notwendigen integrationsfördernden Faktoren zu nutzen, die mit Arbeit verbunden sind. Das Problem dabei: Es gibt keine Rechtssicherheit, was denn nun „gemeinnützige Arbeit“ ist. Die Verurteilung eines „Nachbarschaftshilfe-Projekts“ in Vorarlberg nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSDB-G) in Vorarlberg ist dafür ein deutlicher Beleg.

Rechtsunsicherheit
Wer nach einer rechtlichen Definition sucht, findet sie im Steuer- und nicht im Arbeitsrecht. Gemeinnützige Arbeit verfolgt demnach Zwecke, die „der Allgemeinheit“ dienen. Sie ist also ganz normale, dem Arbeitsrecht und den Kollektivverträgen unterliegende Arbeit. Nur dient sie nicht den Profitinteressen eines Arbeitgebers, sondern der Förderung des Gemeinwohls. So kann etwa Arbeit im Gesundheits- und Pflegebereich, in der Sozialarbeit oder im Umweltschutz „gemeinnützig“ sein, ohne dass die volle Geltung des Arbeits- und Sozialrechtes in Frage stünde.
Im Grundversorgungsgesetz (GVG-B) wird weder der Begriff „gemeinnützige Hilfstätigkeiten für Gebietskörperschaften“ definiert noch die Höhe des sogenannten „Anerkennungsbetrages“, also der Bezahlung für solche Tätigkeiten – er ist lediglich kein steuer- und abgabenpflichtiges Einkommen. In ihrem „Integrationspaket“ vom 20. Juni 2016 hat die Bundesregierung einen Katalog von derartigen Arbeiten angekündigt. Denn Gemeinden und engagierte BürgerInnen brauchen Rechtssicherheit: Welche Arbeit können sie den von ihnen betreuten AsylwerberInnen ohne rechtliche Risiken anbieten? Dafür ist aber ein solcher Katalog wohl nicht geeignet. Denn es ist unwesentlich, ob eine Verwaltungsbehörde eine Tätigkeit als „gemeinnützig“ im Sinne des GVG-B bezeichnet und damit aus dem Geltungsbereich des Arbeitsrechtes herausnimmt. Wird sie in persönlicher Abhängigkeit, also unter Ausübung eines Weisungsrechtes erledigt, liegt ein Arbeitsvertrag vor – Gemeinnützigkeitserklärung des Integrationsministers hin oder her.

Eigener Rechtsrahmen?
Das Beste wären mit Sicherheit rasche Asylverfahren und ein leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen. Doch neben der Katalog-Idee gäbe es noch eine andere „Second-best“-Lösung: die Schaffung eines eigenen Rechtsrahmens für derlei Tätigkeiten. Voraussetzung dafür ist eine klare politische Haltung: Aus integrationspolitischen Überlegungen wird ein kleiner Teil des Arbeitsvolumens in Österreich AsylwerberInnen zur Verfügung gestellt – in Form der „gemeinnützigen Tätigkeiten für Gebietskörperschaften“. Es braucht die Bereitschaft, eine eigene Kategorie von Arbeit außerhalb der kollektivvertraglich geregelten Arbeitswelt zu schaffen und dabei der besonderen Lebenslage von Asylsuchenden Rechnung zu tragen.
Ein solcher rechtlicher Rahmen für „gemeinnütziges Tätigwerden“ von AsylwerberInnen sollte folgende Elemente enthalten:
Es handelt sich um Tätigkeiten zur „Förderung des Gemeinwohls“, die von Gemeinden, Gemeindeverbänden (wie z. B. Abfall- oder Sozialverbände), Ländern und dem Bund organisiert werden.
Es handelt sich um Tätigkeiten, die unter Anleitung, in gemischten Teams (also auch mit anderen ArbeitnehmerInnen) und in Teilzeit ausgeübt werden.
Die Tätigkeit soll tunlichst in Verbindung mit einer Ausbildung stehen – z. B. in Kombination mit Deutschkursen, einfach um Sprachpraxis zu fördern.
Durch die Tätigkeit von AsylwerberInnen darf sich der Beschäftigtenstand der Kommune oder anderer Anbieter nicht verringern.
Der „Anerkennungsbetrag“ bis zur Höhe der Geringfügigkeitsgrenze wird nicht auf die Grundversorgung angerechnet.
Eine Unfallversicherung für die Asylsuchenden ist zwingend vorgesehen.
Die Kommunen können sich einschlägig erfahrener Nichtregierungsorganisationen beim Management dieser Tätigkeiten bedienen – insbesondere bei gemeindeübergreifenden Aufgabenbereichen.
Das würde „gemeinnützige Beschäftigung ohne Geltung des Kollektivvertrages“ auf die AsylwerberInnen beschränken. BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung (und das sind auch Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte) wären davon nicht betroffen. Bei all dem muss man sich allerdings klar vor Augen halten: Dieser Rahmen ist auch die Schaffung eines Niedriglohnsektors für eine bestimmte Gruppe. Diese Niedriglohnarbeit bliebe aber auf AsylwerberInnen und auch bei ihnen zeitlich beschränkt. Denn Niedriglohnarbeit wird rasch zur Niedriglohnfalle. Jedenfalls verhindern die „Ein-Euro-Jobs“ in Deutschland eher einen Wechsel in kollektivvertraglich entlohnte Beschäftigung, als dass sie ihn erleichtern. Zudem würde die bestehende Beschäftigung von GemeindearbeiterInnen nicht gefährdet – ihr Ausbau ist wegen des budgetären Druckes auf die Kommunen ohnehin kaum zu erwarten.

Pragmatische Lösung
Kurzum: Es wäre einfach ein pragmatischer Weg, AsylwerberInnen sinnvolle und von der Gemeinschaft, in der sie leben, anerkannte Arbeit zu ermöglichen – und zwar ohne die Konkurrenz beim Wettlauf von Arbeitsuchenden um zu wenige Arbeitsplätze anzuheizen. Und alle Beteiligten hätten hohe Rechtssicherheit. Mit anderen Worten: Der Rahmen könnte der Integrationspolitik einen Ausweg aus dem Dilemma weisen, das mit den Stammtisch-Argumenten „Die leben nur auf unsere Kosten und tun nichts“ sowie „Die nehmen uns ja nur die Arbeit weg“ gut beschrieben ist.

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Von Gernot Mitter, Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/16.

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