Jugend öffnet Grenzen

1953 stand Österreich noch unter der Kontrolle der vier Alliierten, die Hitler-Deutschland besiegt hatten, und war in vier Besatzungszonen geteilt. Über die Zonengrenzen zu reisen war nicht einfach und noch schwieriger gestaltete sich die Einreise nach und die Ausreise aus Österreich. Deshalb galten die ganz wenigen internationalen Großveranstaltungen, die bis zum Staatsvertrag 1955 in Österreich stattfanden, als Sensation – und das nicht nur im Inland. Nicht umsonst widmete das filmische Monatsmagazin des IBFG, des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften, dem Pfingsttreffen der Gewerkschaftsjugend in Salzburg 1953 einen langen Beitrag. Dieser zeigte zu Beginn, wie die Grenzbalken an der österreichisch-deutschen Grenze in Salzburg in die Höhe gingen, um die Fahrzeuge mit den Jugendlichen aus dem Nachbarland passieren zu lassen, mit dem Kommentar „Die Grenze öffnet sich …“.

Viel nüchterner als der Film berichtete darüber Alfred Ströer, der ÖGB-Jugendsekretär, der die Großveranstaltung organisiert hatte, im ÖGB-Tätigkeitsbericht.

… Unter den Teilnehmern haben sich rund 5000 Jugendgewerkschafter aus Deutschland, Belgien, Luxemburg, Italien, Triest und weitere 9000 … aus allen Teilen unseres Landes befunden. Die Teilnehmer sind zum Teil mit Sonderzügen, zum Teil mit Autobussen gekommen. Insgesamt sind 9 Sonderzüge und 130 Autobusse gezählt worden. … Die Tage in Salzburg sind mit sportlichen und künstlerischen Veranstaltungen ausgefüllt worden. Gleichzeitig haben die Teilnehmer Gelegenheit gehabt, die Sehenswürdigkeiten der Stadt Salzburg und ihre nähere Umgebung kennenzulernen. Außerdem sind Sonderfahrten nach Hallein, in das Seengebiet, nach Hellbrunn und Golling organisiert worden.

Am Abend des Pfingstsonntags hat in Salzburg eine große Kundgebung der Jugend, verbunden mit einem Fackelzug, der von zehntausenden Salzburgern begrüßt wurde, stattgefunden. Zu den Jugendlichen haben Landeshauptmannstellvertreter Payerl, Bürgermeister Pacher, der Untergeneralsekretär des IBFG, Hans Gottfurcht, Generalsekretär Nationalrat Proksch und der Leiter der Hauptabteilung Jugend des DGB, Willi Ginhold, gesprochen. Dabei ist der österreichischen Gewerkschaftsjugend von der deutschen Gewerkschaftsjugend als Zeichen der Verbundenheit eine Fahne übergeben worden. Die Unterbringung der Jugendlichen ist in einer riesigen Zeltstadt erfolgt, in der mehr als 700 Zelte gestanden sind.

Der im Bericht erwähnte Ausflug ins Salzkammergut war mit einer Gedenkfeier in der KZ-Gedenkstätte Ebensee verbunden. Alfred Ströers Appell, die Gefahr des Faschismus immer ernst zu nehmen und sich ihr entgegenzustellen, hatte für die Jugendlichen und die internationalen BeobachterInnen hohe Glaubwürdigkeit, denn sie wussten, dass er nicht einmal ein Jahrzehnt zuvor im Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror aktiv gewesen war.

 

Von Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 09/2012.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.