Studieren ohne traditionelle Matura

In der „Arbeit&Wirtschaft 2/2011“ wurden die Ergebnisse einer Studie des öibf im Auftrag der AK Wien zur Situation von Berufsreifeprüfungs-AbsolventInnen im Hochschulbereich vorgestellt. Darin wurde sehr gut belegt, dass AbsolventInnen über diesen zweiten Bildungsweg erfolgreich ein Studium absolvieren. Zwar kann es je nach Studium fachliche Defizite in Mathematik oder in Fremdsprachen geben, durch das höhere Durchschnittsalter und die Berufserfahrungen hat sich diese Gruppe von Studierenden jedoch persönliche und methodische Kompetenzen, wie zum Beispiel Belastbarkeit, Zielstrebigkeit und Zeitmanagement,  angeeignet, die sie in die Lage versetzen, die mit dem Studium verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Erschwerend wirkt sich allerdings die finanzielle Situation aus: Sie sind aufgrund der Beihilfensituation meist zur Berufstätigkeit „verdammt“, um die Finanzierung der Lebenshaltungskosten zu gewährleisten. Die Folge ist, dass sich die Studiendauer in die Länge zieht. Um konsequent die Idee des lebenslangen Lernens in Österreich umzusetzen, braucht  es daher  unter anderem bessere finanzielle Rahmenbedingungen für  diese Studierenden.

Befragung durch Institut für Soziologie

Die AK Tirol hat 2011 das Institut für Soziologie der Universität Innsbruck beauftragt, eine Befragung von AbsolventInnen zur Berufsreifeprüfung  und zur Studienberechtigungsprüfung durchzuführen, um regionale Befunde für die Weiterentwicklung der Hochschullandschaft Tirols zu erhalten und zusätzlich alle nicht-traditionellen Zugänge zu den Hochschulen  zu vergleichen. Dazu gehören die Studienberechtigungsprüfung, die Berufsreifeprüfung oder bei Fachhochschulstudiengängen der Zugang ohne Matura durch eine „einschlägige berufliche Qualifikation“ (FHStG § 4 Abs. 2) in Verbindung mit Zusatzprüfungen. Befragt wurden insgesamt 576 Studierende und AbsolventInnen an allen Tiroler Hochschulen, die die Zugangsbedingungen einer Studienberechtigungsprüfung, einer Berufsreifeprüfung oder einer Zusatzprüfung für die Fachhochschule erfüllten.

Erfreuliche Befunde der Tiroler Studie

Vergleicht  man die Studienabbrüche an der Universität Innsbruck von Studierenden mit Matura an einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden höheren Schule mit denen der Studienberechtigungsprüfung bzw. Berufsreifeprüfung, so zeigt sich, dass letztere seltener abbrechen. Bei den Studienabschlüssen zeigen sich kaum Unterschiede. Damit wird das Vorurteil widerlegt, dass der zweite Bildungsweg ein Bildungsweg zweiter Klasse sei.
Im Zusammenhang mit der PISA-Studie bei 15-jährigen SchülerInnen wird bei weniger erfolgreichen Bildungssystemen auf den negativen Befund hingewiesen, dass der Bildungshintergrund der Eltern auf die Kinder vererbt wird. Bei der Tiroler Studie zu den AbsolventInnen der Studienberechtigungsprüfung und Berufsreifeprüfung ergab sich das erfreuliche Ergebnis: Studierende mit Studienberechtigungsprüfung  und Berufsreifeprüfung kommen doppelt so häufig aus einer niedrigeren Bildungsschicht (Eltern mit Pflichtschulabschluss) und nur halb so oft aus Akademikerfamilien wie Studierende mit traditioneller Matura.
Während etwa ein Viertel der Eltern (Väter 25,8 Prozent, Mütter 24,4 Prozent) aller Studierenden eine universitäre Bildung aufweisen, sind es bei den Studierenden, die über die Studienberechtigungs- oder Berufsreifeprüfung an die Universität gekommen sind, durchschnittlich unter zehn Prozent. Studierende mit Eltern, die nur über einen Pflichtschulabschluss verfügen, weisen einen Anteil von nur 12,7 Prozent aller Studierenden aus, bei den Studierenden mit Studienberechtigungsprüfung oder Berufsreifeprüfung ist dieser Anteil  22,9 Prozent. Die Möglichkeit des Weges an die Universität oder Fachhochschule über eine Berufsreifeprüfung bzw. Studienberechtigungsprüfung hat also einen deutlichen kompensatorischen Effekt, was die Unterrepräsentation von Kindern aus niedrigeren Bildungsschichten in den höchsten Bildungseinrichtungen anbelangt.

Internet:
Die Studie zum Download:
tinyurl.com/6adly3g
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Von Walter Hotter (Bildungsreferent der AK Tirol)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 05/2011.

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