Wer versetzt hier wen?

In Zeiten, in denen Schlagworte wie Reengineering und sonstige (vorwiegend anglistische) Bezeichnungen für Umstrukturierungsmaßnahmen von Unternehmen einerseits, und solche wie „Privatisierung“ oder „Flexibilisierung“ andererseits nicht nur in aller Munde, sondern vielmehr schon Paradigmen des Weltwirtschaftssystems sind, kommen im Gefolge diesbezüglicher Maßnahmen, wie überhaupt der zunehmenden Mobilität des Kapitals (Stichwort „Globalisierung“), natürlich auch erhöhte Mobilitäts- und sonstige Flexibilitätsanforderungen auf einzelne ArbeitnehmerInnen, ja sogar ganze Belegschaften zu. Daraus resultieren nun natürlich vielfältigste rechtliche Problematiken und soziologische Fragestellungen, die ihre Wurzeln grundsätzlich im „kapitalismusspezifischen Transformationsprozess“ haben, d. h. der innerbetrieblichen Transformierung der auf dem Arbeitsmarkt von Unternehmen gekauften Arbeitskraft in tatsächlich verausgabte Arbeit.

Versetzungsproblematiken

Da es beim Abschluss des Arbeitsvertrages schlichtweg unmöglich ist, alle zukünftig notwendigen Arbeitsleistungen detailliert festzulegen, werden ArbeitgeberInnen deshalb bestrebt sein, durch unbestimmte Regelungen im Arbeitsvertrag prinzipiell eine flexible Einsatzbereitschaft der ArbeitnehmerInnen sicherzustellen; daraus resultieren vor allem Versetzungsproblematiken (hinsichtlich Arbeitsort – Arbeitszeit – Tätigkeitsinhalt). Für das Bundesland Salzburg untersuchten AK/ÖGB Salzburg diesbezüglich in einer Studie (mittels standardisiertem Fragebogen an die einzelnen Betriebsratskörperschaften, Gruppendiskussion und Interviews mit Betriebsratsvorsitzenden) für den Zeitraum 2007 bis 2010, ob der betriebsverfassungsrechtliche Versetzungsschutz des § 101 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) auch in der betrieblichen Realität zu befriedigenden Lösungen für derartige Versetzungsproblematiken führt. Dabei wurde besonderes Augenmerk auf die spannende Frage gelegt, wessen Interessen die Betriebsratskörperschaft im Rahmen ihrer diesbezüglichen Befugnisse wahrnimmt, nämlich die des einzelnen betroffenen Arbeitnehmers, der betroffenen ArbeitnehmerIn oder die der Belegschaft, zumal selbst die juristische Dogmatik diese Frage nicht eindeutig zu beantworten weiß.
Die Zielbestimmung der betrieblichen Interessenvertretung des § 39 Abs. 1 ArbVG ist bei der Ausübung der konkreten Mitwirkungsbefugnisse und damit auch des Versetzungsschutzes gemäß § 101 ArbVG zu beachten. Der dort normierte Interessenausgleich zum Wohle der ArbeitnehmerInnen und des Betriebes hat dabei einerseits den Betrieb als wirtschaftliche Grundlage für die Beschäftigten, und andererseits die Belegschaft als Kollektiv im Auge; bei manchen Entscheidungen kann eine Vorgehensweise zum Wohle aller ArbeitnehmerInnen des Betriebes damit auch gegenüber einzelnen ArbeitnehmerInnen eine gegen ihre Interessen gerichtete Handlung der Betriebsratskörperschaft als dem Vertretungsorgan der Belegschaft erfordern. Mit anderen Worten ist die dem Betriebsverfassungsrecht zugrunde liegende Konzeption der Interessenvertretung nach hier vertretener Ansicht eine kollektive und kann lediglich subsidiär Individualinteressen in den Fällen berücksichtigen, in denen die Interessen anderer Belegschaftsangehöriger nicht nachteilig berührt werden können oder die Individualinteressen mit den Interessen der Gesamtheit der Beschäftigten konform gehen.

Soll-Vorgabe und Wirklichkeit

Diese hier so verstandene Soll-Vorgabe des Gesetzgebers sollte nun mit der gegenständlichen empirischen Untersuchung in Bezug auf die tatsächliche Wahrnehmung des Mitwirkungsrechtes der Betriebsratskörperschaft gemäß § 101 ArbVG kritisch hinterfragt werden. Gesamt wurden 803 Versetzungsfälle für die untersuchten drei Jahre rückgemeldet, wobei sich die meisten absoluten Versetzungsfälle auf die Branchen „Handel“, „Herstellung von Waren/Reparatur“, „Sozialversicherung“ und „Finanz- und Versicherungsdienstleistungen“ verteilten. Die relative „Versetzungsquote“ (d. h. Verhältnis durchschnittliche Versetzungsfälle pro Jahr : ArbeitnehmerInnenzahl) war in den Branchen „Callcenter“ (betroffen: Angestellte), „Handel“ und „Herstellung von Waren/Reparatur“ (betroffen: ArbeiterInnen) am größten (eine entsprechende Rücknennung ergab z. B. eine Quote in einem Callcenter von über 0,5: „übersetzt“ bedeutet dies, dass statistisch gesehen gut jede/r zweite Angestellte mit einer Versetzung pro Jahr rechnen musste!).
Die Fragestellung: „Wenn an die konkreten Versetzungen gedacht wird, welche Interessen hat die Betriebsratskörperschaft bei ihrer Interessenvertretungstätigkeit vertreten?“ erbrachte folgendes Bild: siehe Grafik. Die Grup-pendiskussion ergab dazu als übereinstimmenden Tenor, dass es für die Betriebsratskörperschaft eine sehr schwierig zu handhabende Problemlage darstellt, wenn sich Individualinteressen und Gruppeninteressen sowie (objektiv verstandene) Belegschaftsinteressen gegenüberstehen oder sogar widersprechen.
In diesen Fällen sprach sich die Betriebsratskörperschaft konkret dann nicht gegen Versetzungen (weg vom innegehabten Arbeitsplatz) der einzelnen ArbeitnehmerInnen aus, wenn diese „keine Teamplayer“ waren und sich die betroffenen Belegschaftsangehörigen gegen diese Personen wandten und (auch) die Betriebsratskörperschaft um Abhilfe ersuchten; war die Betriebsratskörperschaft hingegen der Ansicht, dass ein einzelner Arbeitnehmer, eine Arbeitnehmerin zu Unrecht beschuldigt wurde und Mobbingtendenzen seitens einer ArbeitnehmerInnen-Gruppe auftraten, setzte die Betriebsratskörperschaft dieses Gruppeninteresse dann nicht mit einem (objektiv verstandenen) Belegschaftsinteresse gleich und vertrat den einzelnen Beschäftigten.
Resümierend sprechen die Studienergebnisse zur Wahrnehmung des betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsschutzes sohin einerseits für eine primäre Orientierung an individuellen Belangen der zu versetzenden ArbeitnehmerInnen (was natürlich die Abgrenzung zum individualrechtlichen bzw. dienstrechtlichen Versetzungsschutz – auch seitens der Judikatur – erschwert), und andererseits für seitens der Betriebsratskörperschaft schwierig zu handhabende Interessenkonflikte, wenn die Interessenlagen auf der ArbeitnehmerInnenseite divergieren.

Warten auf Antwort aus dem BMASK

Konkreter Ausfluss der Studie war übrigens der anhand der Rückmeldungen hinsichtlich der Fragestellung nach einem „Handlungsbedarf des Gesetzgebers aus Sicht der Betriebsratskörperschaft“ seitens der Kammervollversammlung im Mai 2011 einstimmig verabschiedete Antrag einer „Verbesserung des betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsschutzes“ an das BMASK dergestalt, dass

  • auch reine Entgeltkürzungen dem Versetzungsschutz unterliegen;
  • „Kettenversetzungen“, d. h. die Aneinanderreihung kurzfristiger Versetzungen, geregelt werden;
  • die Nicht-Einhaltung der entsprechenden Informationspflicht verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert wird.

Auf die Antwort des Ministeriums darf man gespannt sein, wiewohl klar ist, dass eine gesetzliche Ausweitung und Befestigung dieses starken Mitbestimmungsrechtes nicht über Nacht erreichbar sein wird.

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Von Wolfgang Goricnik (Akademischer Wirtschaftsjurist der AK Salzburg)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.

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