AK im Gegenwind

Sind Sie dafür, dass die Kammer für Arbeiter und Angestellte als gesetzliche Interessenvertretung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestehen bleibt?“ Bereits die Frage, welche die Arbeiterkammern 1996 ihren Mitgliedern stellte, wies auf eine bedrohliche Lage für die Interessenvertretungen hin. Diese – in der Geschichte einmalige – Abstimmung war letztlich die Reaktion auf ein mehrjähriges Dauerfeuer, welches sich u. a. gegen die AK als Institution richtete.

Neoliberaler Zeitgeist

Ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre begannen sich – auch in Österreich – die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nachhaltig zu verändern. Privatisierung und Sanierung, als Folge von konjunkturellen Problemen und steigenden Defiziten, betrafen nicht nur die arbeitende Bevölkerung negativ.
Europaweit brach die Verankerung der Interessenvertretungen in der Bevölkerung nachhaltig ein. Solche strukturellen Probleme waren eng mit neuen politischen Herausforderungen verknüpft. Marktradikale Ideologen gewannen mit ihren Parolen gegen den Sozialstaat überall an Unterstützung. Die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen galten überall plötzlich als „Bremser“ und standen daher bald selbst im neoliberalen Fadenkreuz.
Mitte der 1990er-Jahre war das entsprechende Gedankengut bereits tief bis in die damals amtierende große Koalition vorgedrungen. So wollte etwa der amtierende ÖVP-Vorsitzende und Vizekanzler Erhard Busek 1994 keine erkennbare Aufgabe mehr für die Arbeiterkammern erkennen. Bereits zwei Jahre zuvor hatte Andreas Kohl bedauert, dass man Themen, die in Europa an sich mit neokonservativen PolitikerInnen wie Margret Thatcher verbunden waren, in Österreich einer anderen politischen Kraft überlassen hatte.

Haiders FPÖ ab 1986

Rechtsextremes Fundament, neoliberale Substanz und markgerechte Präsentation: So fasst der Wirtschaftswissenschafter Herbert Schui die Neuausrichtung der FPÖ unter Jörg Haider – also ab 1986 – zusammen. Während Haiders Partei damit in Europa zum Modellfall eines modernen Rechtsextremismus wurde, fungierten die Freiheitlichen in Österreich mit ihren Kampagnen gegen angebliche „Sozialschmarotzer“ zunächst vor allem als „Eisbrecher“ (Mölzer 1990) für neoliberale Positionen. Bereits die erste große Kampagne der „FPÖ neu“ – das „Antiprivilegienvolksbegehren“ (1987) – forderte aber auch ein Ende der AK-Pflichtmitgliedschaft. Nach dem relativen Misserfolg des Volksbegehrens (nur 250.000 unterschrieben) griff die FPÖ stärker innere Problemfälle der Interessenvertretungen auf.

Der Mann mit dem Taferl

Legendär wurde in diesem Zusammenhang etwa der Fall des steirischen AK-Präsidenten Alois Rechberger, dessen Spesen Jörg Haider 1989 anprangerte. Fünf Jahre später hielt Haider in der TV-Konfrontation mit Franz Vranitzky das „Taferl“ mit den Einkünften des AK-Direktors Kurt Zacharias in die Kamera. Grundverständnis und Zielsetzungen der FPÖ gegenüber AK und ÖGB blieben über die Jahre unverändert. Interessenvertretungen wie die AK wurden im Grunde schlicht als mafiöse Strukturen betrachtet. Für eine derartige Behauptung in der Öffentlichkeit wurde die FPÖ 1992 sogar rechtskräftig verurteilt.
1994 gingen nur noch 31 Prozent der Wahlberechtigten bei den AK-Wahlen zu den Urnen. Waren die traditionellen Interessenvertretungen überhaupt noch zeitgemäß? So lautete zumindest die Frage, welche inzwischen nicht nur von der FPÖ, sondern auch von liberalen Journalisten immer häufiger gestellt wurde. Gleichzeitig gelang es gerade den Freiheitlichen, erstmals massiv ArbeitnehmerInnenstimmen bei Wahlen auf sich zu ziehen. Dabei spielte nicht nur das sich allgemein verschärfende Klima in der „Ausländerfrage“ eine Rolle, welches die FPÖ optimal für ihre typische Art der entsolidarisierenden „Interessenvertretung“ nutzen und weiter schüren konnte. So schwächte die ausgabenseitige Budgetkonsolidierung 1995/96 – Stichwort: „Sparpakete“ – das Vertrauen in AK und ÖGB. Hinzu kamen hausgemachte Probleme. Wie die FPÖ hier methodisch vorging, bringt ein Kommentar zur Konsum-Krise auf den Punkt: „Jörg Haider hingegen war vor Ort. In der Pause der von ihm angezettelten Parlamentssitzung machte er Blitzbesuche in vier Konsum-Filialen im traditionellen Arbeiterbezirk Favoriten. Das Übliche: Herein mit dem ganzen Troß, ein paar Sprüche, eine Käsesemmel gekauft und wieder hinaus. Aber er war da. Hingegen hat sich, soweit sich das feststellen läßt, kein SPÖ-Vorsitzender, haben sich keine Generalsekretäre, keine Minister, auch keine Spitzengewerkschafter seit dem Ausbruch der Krise beim Konsum blicken lassen. Kein beruhigendes Wort für die Belegschaft, keine Geste.“ (Kurier, 22. März 1995).

Gescheiterter Versuch FGÖ

Gleichzeitig waren und blieben die Widersprüche und Probleme der FPÖ, sich tatsächlich organisatorisch unter ArbeitnehmerInnen zu verankern, offensichtlich. Vordergründig strebte sie seit 1986 eine stärkere Position in den Gremien an; durch die weitere Beteiligung bei AK-Wahlen oder der Forderung nach Fraktionsstatus im ÖGB. Parallel dazu testeten die Freiheitlichen in den 1990er-Jahren immer wieder das Feld für eigene, blaue „Interessenvertretungen“ ab. Entsprechende Ansätze mündeten allerdings im Fiasko. Das galt vor allem für den Versuch mit der Gründung „FGÖ“ (1998) eine Konkurrenz zu AK und ÖGB schaffen zu wollen. Statt den erwarteten 100.000 Personen, folgten nur knapp 6.000 Menschen dem Ruf einer „Gewerkschaft“, welche per Bittbrief verschiedene UnternehmerInnen um finanzielle Unterstützung gebeten hatte und Kollektivverträge als unwichtig erachtete. Tatsächlich war die FGÖ-Gründung damit auch der gescheiterte Versuch, die inzwischen erfolgreiche AK-Mitgliederbefragung 1996 mittels einer neuen Organisation offensiv zu beantworten.

Gute Vernetzung hat gegriffen

90 Prozent der abstimmenden Mitglieder sprachen sich bei dieser Abstimmung für die Beibehaltung der AK als gesetzliche Interessenvertretung aus. Besonders bemerkenswert: Die über Jahre hindurch gesunkene Beteiligung bei AK-Wahlen wurde bei dieser Befragung ebenfalls durchbrochen. Zwischen 56,1 (Vorarlberg) und 79,1 (Tirol) Prozent der Basis beteiligten sich an dem speziellen Urnengang. Der damals amtierende AKNÖ-Chef Staudinger kommentiert die Hintergründe des Erfolges: „Die gute Vernetzung mit Gewerkschaft und Betriebsräten hat damals voll gegriffen.“ (60 Jahre AKNÖ, S. 85). Dass konkret die AK als Institution durch die massive Mobilisierung in den Betrieben einen wichtigen Etappensieg errungen hat, steht außer Zweifel. Entspannung war für die Interessenvertretungen allerdings auch in dieser Frage weiter nicht angesagt.
Mit Hubert Gorbach und Susanne Riess-Passer überlegten zwischen 2000 und 2006 nämlich erstmals (FPÖ-)Regierungspolitiker die Abschaffung von Gewerkschaften. Die FPÖ erwies sich bei allen Versuchen der Wenderegierung, den Einfluss der Interessenvertretungen zu schwächen, als Motor und strategischer Partner.

Wachsam bleiben

Mittels Urabstimmung aber auch den Kampfmaßnahmen 2003 gelang es ÖGB und AK zwar erneut, dieser Strategie der Delegitimierung entgegenzutreten. Die Drohung bleibt trotzdem aufrecht. Der freiheitliche Landeshauptmann Dörfler forderte erst unlängst nichts weniger als die Auflösung des ÖGB.
Gleichzeitig findet sich der Wunsch nach dem Ende der AK-Pflichtmitgliedschaft auch im aktuellen „Handbuch freiheitlicher Politik“. Chancen für eine Umsetzung kann es allerdings nur dort geben, wo ÖGB und AK Schwächen zeigen. Zu solchen gehören nicht nur die Gefahren, soziales Protestpotenzial rechten Demagogen zu überlassen. Auch der Umgang mit freiheitlichen Funktionären und deren Inhalten in den eigenen Reihen – also in AK und ÖGB – bedarf einer permanenten Beobachtung bzw. einer entschlossenen (Gegen-)Positionierung.

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Autor: John Evers, Leiter des Bereichs Bildungsabschlüsse, Basisbildung und & Beratung, Historiker und Erwachsenenbildner (John Evers erhielt für seine Studie zum Verhältnis der FPÖ zum ÖGB das Johann-Böhm-Stipendium und wurde mit dem Wissenschaftspreis der AK OÖ ausgezeichnet)

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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.

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