Niederösterreich ist ein Land großer Vielfalt und zahlreicher Naturschönheiten. Doch im Rubrum Bruttoregionalprodukt (Statistik Austria 2011 für das Jahr 2008) liegt es im Ranking der Bundesländer mit 28.000 Euro (vor dem Burgenland) nur an achter Stelle. (Zum Vergleich BRP Wien: 44.700 Euro). Laut AK NÖ lag die Anzahl der Beschäftigten 2010 mit 0,14 Prozent noch unter den Werten des konjunkturell schlechten Jahres 2009, während sie bundesweit um 0,79 Prozent gestiegen war.
Große regionale Unterschiede
Niederösterreich? Hinter den blau-gelben Landesfarben treten große regionale Unterschiede zu Tage: Das Wald- ist anders als das Mostviertel, das Wein- gleicht nicht dem Industrieviertel und alle unterscheiden sich vom sogenannten Zentralraum um Wien. Auch innerhalb der einzelnen Regionen sind die Gegebenheiten der Bezirke differenziert zu betrachten. Mit der Broschüre „Meine Region Waldviertel: Zahlen Fakten 2010“, bietet die AK NÖ eine detaillierte Studie zur nördlichsten Region des Landes, aufgeteilt auf die Bezirke Gmünd, Horn, Waidhofen/Thaya und Zwettl. Die Broschüre liegt in fünf regionalen Ausgaben für alle genannten „Vierteln“ Niederösterreichs vor, die wesentliche Wirtschaftskennzahlen zu Beschäftigung, Einkommen und Arbeitsmarkt, Pendlerstrukturen und zur Wohn- und Bildungssituation liefern. Denn „Zahlen und Daten zeigen Veränderungen auf und helfen Entwicklungen zu erkennen“, ist AK NÖ-Präsident Hermann Haneder überzeugt. Die Zahlen aus der Beratung sprechen für sich: Rund 100.000 ArbeitnehmerInnen wurden 2010 von der AK Niederösterreich persönlich oder telefonisch beraten. Außergerichtlich konnten 3,3 Mio. Euro an ausständigen Löhnen und Gehältern erzielt werden, weitere zehn Mio. wurden vor Gericht erstritten. Über 31 Mio. Euro konnten bei Insolvenzen mit Hilfe der AK für die ArbeitnehmerInnen gesichert werden.
Grenzregion
Spezielle Probleme wegen der Grenze zum tschechischen Nachbarn oder wegen des seit 1. Mai 2011 offenen Arbeitsmarktes gebe es nicht, betont Leopold Kapeller, AK-Bezirkstellenleiter Waidhofen/Thaya. Das Leben in der sogenannten Peripherie berge andere Probleme: niedriges Lohnniveau etwa, fehlende Arbeitsplätze oder Pendeln mit langen Wegen bis Wien oder St. Pölten. Manchmal gebe es Druck vonseiten der ArbeitgeberInnen, der „dann erduldet wird oder erduldet werden muss. Denn zwischen Recht haben und Recht bekommen stellt sich oft die Frage: Tu ich mir das an?“. Kapeller, seit 25 Jahren in der AK-Beratung tätig, rät: „Wer krank wird, soll sich nicht unter Druck setzen lassen und keiner ‚einvernehmlichen‘ Dienstauflösung zustimmen.“ Schließlich ist Krankengeld nur halb so hoch wie die Lohnentgeltfortzahlung. Durch intensive Beratungstätigkeit gelingt es den AK-ExpertInnen, viele Beschäftigte vor finanziellen Schäden zu bewahren. Bei Krankenständen, die länger als elf Tage dauern, gibt es eine teilweise Rückerstattung an die ArbeitgeberInnen vonseiten der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt. Leopold Kapeller: „Das ist leider vielen ArbeitgeberInnen nicht bekannt, sodass die Kostenersparnis auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ausgetragen wird.“
Im ersten Halbjahr 2011 forderte die AK-Waidhofen für 21 Beschäftigte ausstehende Löhne und Gehälter ein. Insgesamt wurden 23.284 Euro an Entgeltnachzahlungen im Bezirk erkämpft. „Leider lassen es einige Arbeitgeber auch auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen“, so die Bezirksstellenleitung. Von Jänner bis Juni mussten sieben Fälle dem zuständigen AK-Rechtsbüro in Krems übertragen werden, das die Klagen beim Arbeitsgericht einbringt.
Problemzone
Mit dem Niedergang der Textilindustrie Ende der 90er-Jahre wurde die ehemals prosperierende Region zur Problemzone. Seit einigen Jahren erhole sich der Arbeitsmarkt, berichtet Kapeller, AK-Bezirkstellenleiter von Waidhofen. „Wir sind nun nicht mehr auf den letzten Rängen in der Statistik. Das ist aber auch ein wenig zynisch: Denn mehr Arbeitsplätze gibt es auch nicht.“ Zwar verzeichnet die Statistik einen Rückgang der Arbeitslosigkeit von zwischen -5,6 Prozent im Bezirk Horn und -12,4 Prozent in Waidhofen. Ein verändertes Bild ergibt sich jedoch, rechnet man die Teilnehmenden von Schulungsmaßnahmen des Arbeitsmarktservice (AMS) hinzu. Noch aussagekräftiger zur Beschreibung der regionalen Arbeitsmärkte ist die Arbeitslosenquote: Sie wird definiert als Anteil der Arbeitslosen an den Erwerbspersonen (Arbeitslose plus Beschäftigte). Diese lag im Waldviertel im Jahr 2010 zwischen 5,4 Prozent (Horn) und 9,2 Prozent (Gmünd).
Problem Abwanderung
Die Abwanderung der jungen, gut ausgebildeten Menschen ist ein zusätzliches Problem. Ein aktuelles Problem, das weit in die Zukunft reicht. Bis 2050, so die Prognose der Statistik Austria, wird das Waldviertel rund ein Viertel seiner jungen Bevölkerung verlieren.
Kontinuierlich ist auch der Rückgang der Anzahl von Jugendlichen in der Lehrlingsausbildung. Die Zahlen sprechen für sich: Wurden 1980 noch 3.339 Lehrlinge von Betrieben ausgebildet, waren es 2000 nur noch 2.271 und im Jahr 2010 schließlich 1.986 Jugendliche. Aber Zahlen können auch täuschen: Seit 2009 werden auch jene Lehrlinge dazugerechnet, die keine betriebliche Lehrstelle haben, sondern im Rahmen einer Maßnahme des „Auffangnetzes“ im Auftrag des AMS ausgebildet werden. Hier setzen sich AK und ÖGB, mit Sitz und Stimme im AMS-Regionalbeirat, ein.
Abgemeldet
Auch für die KollegInnen aus Tschechien gibt es einiges zu tun. Etwa für die Kellnerin, die täglich aus Znaim zur Arbeit in ein Waldviertler Burgrestaurant pendelte, bis sie eines Tages erkrankte. Die Reaktion auf ihre Krankmeldung: „Du bist nicht krank. Du bist abgemeldet.“ Durch Vermittlung der AK-Horn kam es schließlich doch noch zu einer korrekten Beendigung des Dienstverhältnisses. Auch wenn dieser Fall gut ausgegangen ist, appelliert Robert Fischer, Leiter der AK-Bezirksstelle Horn, an die ArbeitgeberInnen, „Krankenstände nicht zum Anlass für Kündigungen zu nehmen“.
Besonders im oberen Waldviertel sind Arbeitsplätze rar. So ertrug eine 47-jährige Textilarbeiterin jahrelang die Schreiattacken ihres Chefs. Ende April wurden ihr die Wutausbrüche des Vorgesetzten jedoch zu viel. Herzrasen und Atemnot führten sie schließlich zum Arzt. Die Leiterin der AK-Bezirksstelle Gmünd, Elisabeth Zellhofer, erinnert sich an die Beratung und was danach geschah: „Der Arztbesuch wurde als unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz bewertet. Statt die Krankmeldung entgegenzunehmen, wurde die fristlose Entlassung gleich zu Beginn des Krankenstandes ausgesprochen.“ Die Textilarbeiterin würde die Entgeltfortzahlung und sechs Monate Abfertigung verlieren. Eine Summe, die nunmehr von der AK-Gmünd eingefordert wird.
Entlassungen im Krankenstand sind in der Region Waldviertel „ein Dauerbrenner“. Eine negative Entwicklung sieht Elisabeth Zellhofer auch bei den sogenannten All-inclusive-Dienstverträgen. „Durch das vermeintlich höhere Entgelt sind alle möglichen Stunden abgedeckt. Wo es keine Zeitaufstellungen mehr gibt, gibt es auch keine Kontrolle über geleistete Mehrarbeit und Überstunden.“
Sprachprobleme
Seit 1. Mai 2011 arbeiten rund 5.000 UngarInnen in der östlichen Grenzregion, vor allem in den Bezirken Schwechat und Wr. Neustadt. Eine Studie der AK NÖ zeigt, dass die Arbeitskräfte häufig überqualifiziert sind. Sie beherrschen die Sprache oft nur unzureichend oder sind nicht über ihre Rechte informiert. Mit einer Kampagne will die AK NÖ die „Beschäftigten direkt im Land ansprechen und sie ermutigen, sich rechtzeitig an uns zu wenden, weil sie Ungerechtigkeiten nicht hinnehmen müssen“, so AK NÖ-Präsident Hermann Haneder.
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Die Broschüren zu den fünf Regionen Niederösterreichs können Sie kostenlos unter Tel. 05 71 71-1212 bestellen oder als pdf downloaden unter:
noe.arbeiterkammer.at/publikationen
Von Gabriele Müller (Freie Journalistin)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.
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