Integration ist in aller Munde und entsprechend vieldeutig sind die Vorstellungen darüber. Für die Betroffenen ändert sich jedoch wenig. Im Migrationskontext kommen alltagsweltliche und politische Debatten ohne diesen Begriff, so scheint es, nicht aus. Dabei wird zumindest eines deutlich: Die Tatsache der Migration und damit einhergehende Phänomene (wie Ein- und Auswanderung, Sprachenvielfalt, sozioökonomische und soziokulturelle Differenzen etc.) beeinflussen das gesellschaftliche Miteinander, die betriebliche Zusammenarbeit oder die betriebsrätliche Interessenvertretung. Aber macht es aus ArbeitnehmerInnen-Sicht überhaupt Sinn, von Integration zu sprechen? Oder sollte über etwas anderes gesprochen werden?
Beispiel für Integration
Politisch gesehen ist die ArbeiterInnenbewegung ein historisches Beispiel für Integration. Ende des 19. Jahrhunderts strebten ArbeiterInnen fast aller industrialisierter Staaten nach politischer Teilhabe. Aufgrund ihrer ökonomischen Stellung war die Arbeiterklasse politisch und oftmals auch sozial ausgegrenzt. Menschen, die körperlich/manuell arbeiteten waren kein guter gesellschaftlicher Umgang. In den großen Industriestädten bildeten sich Wohnviertel heraus, wo ArbeiterInnen getrennt vom Rest der Gesellschaft lebten. Die Kämpfe der ArbeiterInnen, oft von Gewalt und Repression begleitet, führten letztendlich zu einem Demokratisierungsprozess in den Industriestaaten. Ein Prozess, der im Nachhinein als Integration bezeichnet werden kann.
Benachteiligungen am Arbeitsmarkt
Österreich ist ein Einwanderungsland und wird dies auch in der Zukunft bleiben. Der Anteil der Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft stieg von zwei Prozent im Jahr 1960 auf elf Prozent im Jahr 2011. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund (wenn beide Elternteile im Ausland geboren sind) ist in Österreich mit 18,6 Prozent noch deutlich höher. Trotz der langen Tradition als Einwanderungsland, sind MigrantInnen am österreichischen Arbeitsmarkt stark benachteiligt. So war das Arbeitslosigkeitsrisiko im Jahr 2010 in Österreich mit 9,6 Prozent bei nicht-österreichischen StaatsbürgerInnen deutlich höher als bei InländerInnen (6,5 Prozent). Hinzu kommt, dass das mittlere Einkommen (Median) von ausländischen Beschäftigten im Jahr 2008 bei 1.848 Euro und somit um 17,3 Prozent unter dem der österreichischen StaatsbürgerInnen (2.235 Euro) lag. Die schwierige Arbeitsmarktsituation von MigrantInnen kann nur zu einem Teil auf das im Durchschnitt niedrigere Qualifikationsniveau von Zugewanderten zurückgeführt werden. Neben direkter Diskriminierung, die auf Ressentiments und Ausländerfeindlichkeit basiert, erzeugen auch bestimmte Gesetze bzw. Regelungen strukturell eine diskriminierende Wirkung. Der Aufenthaltsstatus und die Art der Arbeitsbewilligung haben einen deutlichen Einfluss auf die Möglichkeiten am österreichischen Arbeitsmarkt. Oftmals werden äußerst schlechte Arbeits- und Lohnbedingungen akzeptiert und/oder eine Beschäftigung unter der eigenen Qualifikation angenommen, um Beschäftigungs- und Aufenthaltsbewilligung nicht zu verlieren.
Arbeitsmarkt – Integration fordern
Aus Sicht der Arbeiterkammer macht es Sinn, am Arbeitsmarkt von Integration zu sprechen und sie zu fordern. Integration am Arbeitsmarkt verlangt Chancengleichheit und gleiche Rechte. Erfolgreiche Arbeitsmarktintegration drückt sich in der Angleichung der klassischen arbeitsmarktpolitischen Kennzahlen zwischen österreichischen StaatsbürgerInnen und Menschen ohne österreichischen Pass aus. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, indem es gelingt die strukturellen Probleme bestimmter Branchen zu lösen, Diskriminierung abzubauen und allen ArbeitnehmerInnen zu ihren Rechten zu verhelfen. Bei alldem werden die Gewerkschaften und die Interessenvertretungen der ArbeiternehmerInnen eine entscheidende Rolle spielen. Offensichtlich ist, dass jede Form der Ausgrenzung und Diskriminierung die Position der ArbeitnehmerInnen als Ganzes schwächt. Der Einsatz von AK und Gewerkschaften für die Rechte von zugewanderten Menschen ist somit auch ein Kampf für die Interessen aller ArbeitnehmerInnen.
Schluss mit der Integrationsdebatte
Im vergangenen Jahr forderte eine Gruppe von Intellektuellen ein Ende der „Integrations-Debatte“. Durch das ständige Sprechen über Integration wird das Anderssein hochgespielt und ein Teil der Gesellschaft unter Generalverdacht gestellt, so der Vorwurf. Für Gewerkschaften und AK geht es hingegen vielmehr um die Frage, um welche Art der Integration es sich handelt. Die Frage wird hier also deshalb gestellt und diskutiert, weil der Integrationsbegriff im öffentlichen Diskurs trotz oder gerade wegen diffuser und vieldeutiger Auffassungen oft Anpassung an eine Aufnahmegesellschaft bedeutet. Der Begriff stellt Standards auf, die selbst für die Aufnahmegesellschaft selten gelten. Mit dieser Thematik setzt sich etwa Mark Terkessidis in seinem aktuellen Buch Interkultur auseinander.
Allgemein wird unter dem Begriff der Integration die gesellschaftliche Einbeziehung von MigrantInnen über wechselseitige Prozesse von Teilhabe und Angleichung verstanden. Die Wechselseitigkeit meint die Notwendigkeit gesellschaftlicher und individueller Anstrengungen sowie struktureller Veränderungen. Integration setzt Bewegung voraus und schließt MigrantInnen sowie Nicht-MigrantInnen mit ein. Das Problem dabei ist allerdings, dass das Nicht-Gelingen dieser Prozesse meist einem (kulturell geschuldetem) Unvermögen der MigrantInnen zugeschoben wird, während gesellschaftliche Strukturen und (Ausschließungs-)Mechanismen aus dem Blickfeld geraten. Kulturelle Differenzen werden als natürlich gegeben angenommen und gleichzeitig als unüberwindbare Hürden aufgebaut, während die gesellschaftlichen Prozesse der Herstellung von sozialen, rechtlichen, kulturellen Differenzen unberücksichtigt bleiben.
Es geht um Demokratie und Teilhabe
Integration schafft es damit nicht, diese sozialen, rechtlichen und kulturellen Unterschiede zu überwinden, sondern verstärkt diese noch. Notwendig ist daher eine Politik, die imstande ist, Barrierefreiheit herzustellen, die näher am Verständnis einer interkulturellen Öffnung liegt, als an Integration und der Idee einer gleichen Gesellschaft. Mark Terkessidis schlägt deshalb vor, von den tatsächlich vorhandenen Organisationskulturen in Institutionen auszugehen, und diese als Ausgangspunkt von gesellschaftlichen Veränderungen zu sehen.
Das ÖGB-Kompetenzzentrum Migration in Oberösterreich stellt ein mögliches Beispiel dar, das von der Wirklichkeit einer vielfältigen ArbeitnehmerInnenschaft ausgeht. Indem hier zwar Differenzen entlang von Migrationserfahrungen betont werden, diese aber dafür genützt werden, um MigrantInnen an innergewerkschaftlichen Entscheidungsprozessen teilnehmen zu lassen. Über den Weg formaler Veränderung werden demokratischere Strukturen und Mitentscheidungsmöglichkeiten geschaffen. Inwiefern damit die Organisationskultur, informelle Abläufe und Denkweisen verändert werden können bleibt abzuwarten. Das Entscheidende im Zusammenhang von Migration und gewerkschaftlicher Arbeit ist, dass Möglichkeiten einer gleichberechtigten Teilhabe geschaffen werden, die Selbstbefähigung und -ermächtigung fördern. Das würde letztlich Demokratie auszeichnen, was aber auch so benannt werden sollte.
Internet:
Quartalsanalyse der AK Oberösterreich/Februar 2011. Schwerpunkt: MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt:
tinyurl.com/6atrxxv
Das Projekt „Vielfalt schätzen. Vielfalt nutzen!“:
www.vielfalt-ooe.at
Petition Ausschluss Basta! Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der es selbstverständlich ist, dass alle Menschen die gleichen Rechte teilen.
ausschlussbasta.wordpress.com
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren
Stefan.Kronister@oegb.at
tamesberger.d@akooe.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at
Von Stefan Kronister (ÖGB OÖ), Dennis Tamesberger (AK OÖ)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at