Gesundbrunnen Heime

Eine 14-jährige junge Arbeiterin schrieb 1953 aus dem Jugenderholungsheim Mittewald in Kärnten nach Hause:

Liebe Mutti! Ich kann Dir die erfreuliche Mitteilung machen, dass ich bereits 3 kg zugenommen habe. Da ich noch 10 Tage hierbleiben kann, hoffe ich, dass ich bis zum Ende des Erholungsurlaubes eine Gewichtszunahme von 5 kg erreiche. Die anderen lachen zwar darüber, dass ich so viel esse, aber die sind ja doch viel dicker, da macht es mir nichts.

Dieses Mädchen zählte zu den 76.302 Jugendlichen und Kindern, die 1946 bis 1954 im Rahmen der Jugendfürsorge des Österreichischen Gewerkschaftsbunds auf Urlaub geschickt wurden. Die Vorbereitung der Aktion begann in Wien schon 1945. Am 4. Februar 1946 starteten dann, durchgeführt durch die Gebietskrankenkasse, die ärztlichen Reihenuntersuchungen von Wiener Lehrlingen. Das Ergebnis: Zwei Drittel mussten als unterernährt und erholungsbedürftig eingestuft werden und über 3.000 durften zur Erholung in eines der vom ÖGB mit Unterstützung des Sozialministeriums, der Arbeiterkammer und des Wiener Jugendhilfswerks bereitgestellten Heime fahren. Es handelte sich um notdürftig hergerichtete, baufällige Schlösser, Reichsarbeitsdienstbaracken und heruntergekommene Jugendheime. Noch schwieriger als die Suche nach geeigneten Unterkünften war das Auftreiben von genügend Lebensmitteln, um den Jugendlichen gute und ausreichende Mahlzeiten zu verabreichen so dass sie nicht nur Erholung finden, sondern außerdem noch Gewichtszunahmen verzeichnen konnten. Hier halfen die Mitglieder der amerikanischen Religionsgemeinschaft „Gesellschaft der Freunde“, die Quäker. Nur so gelang es, die ersten Erholungswochen bereits im Frühjahr 1946 zu organisieren. Die große Rettungsaktion für die gesundheitsgefährdete Arbeiterjugend hat begonnen, hieß es im Bilanzbericht für die ersten fünf Jahre. Sechs Jahre lang ist gemordet, gehasst und vernichtet worden – nun fängt man wieder an aufzubauen und liebevoll zu helfen.
Im Lauf der folgenden Jahre beteiligten sich alle Arbeiterkammern an der Aktion und ihrer Finanzierung. Das größte Bauvorhaben, die 1953 abgeschlossene Neuerrichtung von Moosham im salzburgischen Lungau, wurde zusätzlich durch Mittel aus dem Kinderhilfsappell der Vereinten Nationen ermöglicht. In den großen Heimen richteten ÖGB und Gebietskrankenkassen ab 1950 „Zahnstationen“ ein.
In ganz Österreich blieben die Ergebnisse der Reihenuntersuchungen der Gebietskrankenkassen die Grundlage für einen Erholungsaufenthalt in einem ÖGB-Heim. Die Statistik des Jahres 1947 berichtete stolz, dass die Jugendlichen in den Heimen durchschnittlich etwa 1 æ Kilo zugenommen hätten. Die Lage besserte sich dann zwar langsam, aber der ÖGB-Bericht stellte noch für 1950 fest: Das Untersuchungsergebnis …, das immer noch einen Prozentsatz von 35,82 der Jugendlichen mit dem Gesundheitsbefund III aufzeigt, spricht klar aus, dass für einen Großteil der Lehrlinge und jugendlichen Hilfsarbeiter die Erholungsaktion auch weiterhin eine Notwendigkeit bedeutet.

Zusammengestellt und kommentiert
von Dr. Brigitte Pellar brigitte.pellar@aon.at

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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 05/2010.

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