Gepusht durch die Amis

1941 beschrieb US-Präsident Franklin D. Roosevelt zwei Kernelemente des Sozialstaats als politische Ziele für die Zukunft: Befreiung von den aus einer Notlage entstandenen Besorgnissen, und Befreiung von der durch Furcht hervorgerufenen Beklemmung.

Die politischen und militärischen Erfolge des Faschismus in Europa wirkten in den westlichen Demokratien wie eine Schockwelle. Etliche Politiker, Wissenschafter und Dichter dachten darüber nach, wie so etwas in Zukunft verhindert werden könnte, wie es möglich wäre, die Demokratien weniger krisenanfällig zu machen. Und es gab schon ein Vorbild: den „New Deal“, das Programm der Roosevelt-Administration in den USA zur Bekämpfung der Folgen der großen Finanz-und Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Der Staat hatte sich nicht aus der Wirtschaft herauszuhalten, ihr im besten Fall gute Rahmenbedingungen zu bieten, sondern im Interesse aller aktiv einzugreifen, die Zielrichtung vorzugeben und zu kontrollieren. Wissenschaftlich untermauert wurde diese neue Erkenntnis besonders vom Wirtschaftsexperten John M. Keynes. Er hielt es angesichts der Realität für dumm und unverantwortlich, auf die „Selbstregulierungskraft“ der Finanzmärkte zu setzen.  Ich bin davon überzeugt, schrieb er deshalb, dass der Staat … eine immer wachsende Verantwortung für die unmittelbare Organisation der Investitionen übernehmen wird.

Ebenso wichtig für die praktische Politik waren aber Statements von bekannten DichterInnen. Sie konnten besser in einer breiteren Öffentlichkeit für den Sozialstaat Stimmung machen als die WissenschafterInnen mit ihrem „Fachchinesisch“: Heinrich Mann beschwor zum Beispiel den „Geist der Demokratie“: Demokratie ist im Grunde die Anerkennung, dass wir, sozial genommen, alle füreinander verantwortlich sind.

Bruder Thomas Mann sah ganz konkret im Sozialstaat die einzige Alternative zu Diktatur und Faschismus: Jeder lebendige Geist, … erkennt in einem gerechten, sozialen und ökonomischen Ausgleich die Forderung der Weltstunde. … Die soziale Erneuerung der Demokratie ist Bedingung und Gewähr ihres Sieges. Sie wird die »Volksgemeinschaft« schaffen, welche sich dem Lügengebilde, das der Faschismus so nennt, … weit überlegen erweisen wird.

Und Kurt Tucholsky brachte die Basis jeder demokratischen Politik auf den Punkt: Es kommt nicht darauf an, dass der Staat lebe – es kommt darauf an, dass der Mensch lebe.

Der Sozialstaat als Verbindung von Demokratie und ausgleichender Verteilungspolitik unter Einbeziehung der Gewerkschaften wurde nach 1945 von den USA besonders gefördert,  auch um die Überlegenheit der westlichen Demokratie im Kalten Krieg mit dem kommunistischen Block zu demonstrieren. Solang diese Systemkonkurrenz anhielt, duldeten die kapitalistischen Wirtschaftsmächte diese „Fesseln“. Sobald sie aber mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regimes in den 1980er-Jahren wegfielen, begannen sie die Fesseln abzuschütteln und den Angriff auf den Sozialstaat in breiter Front zu starten.

Zusammengestellt und kommentiert von Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 06/2010.

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