Löhne zum Leben

Die Problematik der »working poor« – Menschen, die trotz Erwerbsarbeit unter der Armutsgrenze leben – ist sowohl in Entwicklungsländern als auch in unseren Breiten traurige Realität. »Sozial ist nicht nur das, was Arbeit schafft, sondern Arbeit, die vor Armut schützt«, so Martin Schenk von der österreichischen Armutskonferenz. Vor Armut schützen neben gut ausgebauten sozialen Sicherungssystemen Arbeitsplätze mit existenzsichernden Löhnen – sogenannten »living wages«.

Es geht um Existenzsicherung

Im Vergleich zu den Mindestlöhnen fristet der Begriff der living wages ein Schattendasein – er erscheint beispielsweise nicht unmittelbar in den einschlägigen internationalen Vereinbarungen auf (siehe Kasten) obwohl sich diese Texte inhaltlich sehr wohl auf die anzustrebende Existenzsicherung von Löhnen beziehen. Im Unterschied zu gesetzlich fixierten Mindestlöhnen haben living wages die Existenzsicherung eines gesamten Haushaltes zum Ziel, weshalb ihre Höhe von den jeweiligen Lebenshaltungskosten sowie der Größe der Familie abhängt.
In den USA reicht der staatlich fixierte Mindestlohn von 5,85 US$ pro Stunde für eine Existenzsicherung bei weitem nicht aus. Daher setzen sich seit den 1990er-Jahren Basisbewegungen dafür ein, living wages in kommunalen Gesetzesinitiativen vorzuschreiben. 1994 wurde in Baltimore der erste solche Erlass beschlossen, in der Zwischenzeit sind rund 140 Städte und Gemeinden gefolgt. Die Vorschriften gelten für Gemeindebedienstete sowie für Unternehmen, die entweder durch öffentliche Gelder unterstützt werden oder Aufträge der öffentlichen Hand ausführen. Die Höhe der living wages ist gewöhnlich so angesetzt, dass durch einen Vollzeitjob die Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie erreicht werden kann. Zusätzlich schreiben einige der Gesetze auch bestimmte Sozialleistungen oder die Unterstützung von Gewerkschaften vor.
Auf internationaler Ebene findet sich die Forderung nach living wages in einigen Verhaltenskodizes wieder, mit denen sich immer mehr multinationale Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Mindeststandards verpflichten. Sie reagieren damit auf den zunehmenden Druck von KonsumentInnen, Gewerkschaften und NGOs, die ausbeuterische Arbeitsbedingungen nicht tolerieren wollen. Aber auch wenn Verhaltenskodizes einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Verbesserung von Arbeitsbedingungen darstellen: Sie umfassen immer nur die ArbeitnehmerInnen eines bestimmten Unternehmens oder einer Branche und sie sind rechtlich nicht bindend. Unternehmen unterzeichnen ihre Einhaltung auf freiwilliger Basis.
Eine verbindliche Umsetzung existenzsichernder Löhne für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weltweit steht indes noch aus, wäre aber zur Reduzierung der working poor dringend notwendig.

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Von Mag. Pia Lichtblau (»Menschenwürdige Arbeit für menschenwürdiges Leben«, weltumspannend arbeiten – ÖGB)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2009.

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