Mit sicherem Segel

Am 5. Juni 2009 ist die Neufassung der Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat (EBR) in Kraft getreten. Nach Ablauf der nationalen Umsetzungsfrist wird Mitte 2011 mit der Richtlinie 2009/38 EG eine nachgebesserte Rechtsgrundlage zur ArbeitnehmerInnenmitwirkung in europäischen Konzernen gelten.

Nachbesserungen

Die Nachbesserungen betreffen neue Bestimmungen zum Verfahrensrecht bei künftigen EBR-Gründungen, zusätzliche Vorgaben über Inhalte, die nun in einer EBR-Vereinbarung enthalten sein müssen. Weiters wurde die Stellung der ArbeitnehmerInnenvertretungen und Gewerkschaften verbessert, Klarstellungen hinsichtlich der Definitionen zur zeitgerechten Information und transnationalen Anhörung getroffen und erweiterte Grundlagen geschaffen, um die Arbeit im EBR effektiver zu gestalten. Eine neue Anpassungsklausel für bestehende EBR-Gremien bei Fusionen und Strukturänderungen im Konzern runden die Neuerungen im EBR-Recht ab.
So weit, so gut: Die nachgebesserte Rechtsgrundlage ist noch lange kein Garant für eine bessere Praxis. Es liegt nun gewissermaßen ein neuer Werkzeugkasten mit nachjustierten Instrumenten vor. Es liegt nun an den Euro-BetriebsrätInnen selbst, diese in Kooperation mit den Gewerkschaften aktiv zu nutzen.

Handeln im Konzern

Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der Auf- und Ausbau der Kooperation innerhalb des EBR in der Praxis ein anspruchsvolleres Projekt darstellt. Sorgfältige Vorbereitung, intensive Zusammenarbeit, viel Kommunikation und eine gehörige Portion Engagement waren stets notwendig, um die Möglichkeiten im EU-Recht für die Belegschaften in multinationalen Konzernen auch in einer länderübergreifenden ArbeitnehmerInnenvertretung zu nutzen.
Damit der EBR eine faktische Rolle bei der Unternehmensführung einnehmen und effektiv arbeiten kann, müssen Voraussetzungen erfüllt sein, die nicht von einem auf den anderen Tag gelegt werden können. Dazu zählt die Schaffung kontinuierlicher und intakter Kommunikations- und Vertrauensbeziehungen zwischen Belegschafts- und Gewerkschaftsvertretungen aus den unterschiedlichen Ländern. Dazu zählt die Herstellung entsprechender Verbindlichkeiten mit dem Management hinsichtlich konkreter Abläufe, wie die vereinbarte transnationale Information und Anhörung im Unternehmen gelebt wird. Sich mit KollegInnen anderer Muttersprache möglichst unkompliziert austauschen zu können und mehr, muss gelernt werden.
Jeder EBR durchläuft eine Entwicklungsphase, die manchmal mehr, manchmal weniger Zeit beansprucht. Kein EBR gleicht in der Praxis einem anderen. Zu unterschiedlich sind die Unternehmensstrukturen und -kulturen. Es gibt in diesem Sinn auch kein »Patentrezept« für eine erfolgreiche Arbeitsweise. Jeder EBR hat seine eigene Geschichte. Die Entfaltung seiner Potenziale ist keine Selbstverständlichkeit und bedingt eine aktive Herangehensweise. Eine engagierte Führung im EBR mit kompetentem Vorsitz und funktionierendem Leitungsgremium ist ebenso gefragt, wie die Sicherstellung des notwendigen materiellen Supports im Unternehmen wie auch der sachverständigen Unterstützung von gewerkschaftlicher Seite.
Gelingt es dabei nicht, dem EBR »wirkliches Leben« und interessenpolitische Dynamik »einzuhauchen«, so kann es geschehen, dass er auch nach Jahren immer noch auf dem Niveau eines rein »symbolischen« oder »passiven« EBR verharrt, der in der Praxis weit unter den Anforderungen, Rechten und Möglichkeiten selbst der elementaren Mindeststandards der EU-Richtlinie verbleibt. Die Unternehmensleitungen haben in solchen Fällen leichtes Spiel, den EBR an den Rand des Geschehens zu rücken und ihn von den in der Richtlinie explizit formulierten Zielen einer geregelten Information und Konsultation fernzuhalten.

Aus- und Weiterbildung

Ziel muss es sein, den EBR möglichst rasch in die Lage zu versetzen, einen spürbaren interessenpolitischen »europäischen Mehrwert« zu produzieren. Dies geschieht nur, wenn mit entsprechender Sorgfalt, zugleich aber auch mit der notwendigen Konsequenz und Beharrlichkeit an die Entwicklung einer guten Praxis im EBR herangegangen wird. Dem EBR müssen genügend Zeit und entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen, damit er sein Mandat effizient ausüben und die dafür notwendige internationale Vernetzung auch schaffen kann.
Die EBR-Mitgliedschaft bringt in diesem Sinn vielfältige und anspruchsvolle Anforderungen mit sich. Die Gewerkschaften können hier Ressourcen, Sachverstand und Unterstützung anbieten. Bewährtes Know-how für die Betriebsratsarbeit »zu Hause« reicht für europäische Interessenvertretung nicht immer aus. EBR-Arbeit unterscheidet sich in vielen Aspekten von der gewohnten Betriebsratsarbeit:

  • In der EBR-Arbeit treffen ArbeitnehmerInnen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Kulturen und Traditionen, mit unterschiedlichen Informations- und Kenntnisständen, Problemlösungsverhalten und Sprachen zusammen, um gemeinsam die Inter-essenvertretung in einem multinationalen Unternehmen zu organisieren.
  • Im Mittelpunkt der EBR-Arbeit steht eine Vielzahl unterschiedlicher und komplexer Themen wie z. B. Arbeits- und Gesundheitsschutz, Restrukturierungen, Produktionsverlagerungen, neue Arbeitsmethoden und Produktionsverfahren, die in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich geregelt sind, und die dennoch gemeinsam bearbeitet werden müssen.
  • Das für die EBR-Arbeit zur Verfügung stehende Zeitbudget (in der Regel ein bis zwei Sitzungen pro Jahr) ist relativ gering, die arbeitsorganisatorischen Voraussetzungen (Büro, Kommunikationssysteme, Schreibkraft) sind in vielen Fällen nicht hinreichend geregelt und die zugängliche Informationslage (z. B. Vergleiche über Löhne und Gehälter, Sozialleistungen, Arbeitszeiten, Beteiligungsrechte) ist in der Regel sensibel und komplex.
    Es liegt somit auf der Hand, dass die EBR-Delegierten mit einem enormen Aus- und Weiterbildungsbedarf konfrontiert sind und ihre Qualifizierung und Organisationskompetenz wesentlich darüber entscheidet, ob diese einen substanziellen Beitrag zur Entwicklung europäischer Arbeitsbeziehungen leisten können. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass den Delegierten im EBR gewerkschaftliche Sachverständige zur Beratung und Unterstützung zur Verfügung stehen, ist es notwendig, spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt zu bekommen.

Wichtig für den  EBR

Dazu zählen u. a.:Kenntnis der landesspezifischen Gewerkschafts- und Mitwirkungsrechte in der EU; Weiterbildung in wirtschaftlichen und sozialpolitischen EU-Themen; Überblick zu Arbeitsbedingungen in unterschiedlichen Standorten des Konzerns; Arbeitstechniken im EBR und Kenntnisse moderner Kommunikationstechniken sowie soziale Kompetenzen und Management der Interkulturalität im EBR.
Vor dem skizzierten Hintergrund hat die GPA-djp ihre EBR-Bildung und Unterstützung mit neuen Angeboten konzipiert. Das Herzstück dabei ist eine Weiterbildungs-, Coaching- und Vernetzungsplattform für EBR-Mitglieder. Dafür wurden maßgeschneiderte Angebote der GPA-djp entwickelt:

  • EBR-Basic-Angebote für alle »neuen« EBR-Mitglieder, die bei einer EBR-Gründung engagiert sind sowie an der EBR-Arbeit interessierten Betriebsräte.
  • EBR-Professional-Angebote für alle bereits etablierten EBR-Mitglieder, die im Vorsitz bzw. in leitenden Gremien eines EBR an dessen Planung und Organisation mitwirken und dessen Weiterentwicklung mitverantworten.

EBR-Biennale als Höhepunkt

Das erste Bildungs- und Vernetzungsforum stand unter dem Motto »Der Euro-Betriebsrat bei Umstrukturierungen und Veränderungen im Konzern«. Als nächstes auf der Tagesordnung: »Die EBR-Organisation organisieren: Entwicklung des EBR zu einem effizient arbeitenden Team als mitgestaltender Akteur im Konzern«. – Höhepunkt dieses EBR-Netzwerks in der GPA-djp wird die alle zwei Jahre stattfindende EBR-Biennale, eine zweitägige Top-Level-Konferenz für EBR-Mitglieder sein. Dabei auf der Agenda: »Gewerkschaftliche Kulturen zwischen Kooperation und Konkurrenz in anderen Ländern kennen- und verstehen lernen«.

Weblinks
Alle Infos zum EBR:
www.gpa-djp.at/servlet/ContentServer?pagename=GPA/Page/Index&n=GPA_6.4
Trainings- und Beratungsnetz:
www.euro-betriebsrat.de

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
wolfgang.greif@gpa-djp.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Von Mag. Wolfgang Greif (GPA-djp Abteilungsleiter Europa, Konzerne & Internationale Beziehungen)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2009.

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