In der öffentlichen und politischen Diskussion in Österreich, aber auch in anderen EU-Ländern, wird die wirtschaftliche Auswirkung der EU-Mitgliedschaft meist nicht mit allen Vor- und Nachteilen umfassend dargestellt. Die Diskussion ist oft einseitig nur auf Vor- oder Nachteile konzentriert. Insbesondere die wirtschaftlichen Vorteile der EU werden kaum diskutiert und die EU wird in Österreich, so wie in vielen anderen Ländern, nur unter dem Aspekt Nettozahler gesehen. Es soll daher versucht werden, eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung des EU-Beitritts für Österreich zu erstellen.
Wirtschaftliche Aspekte der Rolle Österreichs in der EU
Der wirtschaftliche Einfluss Österreichs auf die EU insgesamt ist beschränkt – Österreich hatte 2002 einen Anteil von 3% des BIP am Euro-Raum und von 2,3% an der EU. Österreich ist jedoch wirtschaftlich stark, makroökonomisch stabil und Nettozahler, und es ist eine Brücke zu den Beitrittsländern.
Österreich stieß nach dem Beitritt rasch zum wirtschaftlichen Kern der EU vor, zu jenen Ländern, die an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnahmen und den Euro verwirklichten. Im Bereich der Währungspolitik konnte damit der frühere Nachvollzug in eine gleichberechtigte Mitbestimmung verwandelt werden – im EZB-Rat gilt das Prinzip: »Ein Mitglied, eine Stimme.«
Durch die Hartwährungspolitik war Österreich schon vor dem EU-Beitritt konvergent, im Bereich der Fiskalpolitik war eine substantielle Senkung des Defizits erforderlich.
Kosten
Die wirtschaftlichen Kosten sind im Wesentlichen die Nettozahlungen an die EU, das heißt die Beiträge an das EU-Budget liegen über den Rückflüssen. Österreich als relativ reiches Land unterstützt damit die ärmeren EU-Mitglieder in ihrem Aufholprozess. Die Nettozahler und Nettoempfänger wurden von der EU Kommission in einem Bericht »Aufteilung der operativen EU-Ausgaben nach Mitgliedstaaten – 2002« (EU Kommission 2003) dargestellt. Österreich gehört wie die Mehrzahl der Mitgliedstaaten zu den Nettozahlern, lediglich Spanien, Irland, Portugal, Griechenland sind Nettoempfänger. Mit der Erweiterung wird sich der Kreis der Nettoempfänger drastisch ausweiten.
Die Nettozahlungen Österreichs betrugen zwischen 0,11% des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2002 und maximal 0,43% des BIP im Jahre 1997 (1996 0,15%, 1998 0,34%, 1999 0,32%, 2000 0,22%, 2001 0,26%).
Nutzen
Der Nutzen ist wesentlich schwerer zu berechnen. Echte wirtschaftliche Integrationseffekte sind sehr schwierig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu isolieren und zu berechnen. Vor dem EU Beitritt hatte das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO 1994) die zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Effekte eines EU Beitritts berechnet und hatte bis zum Jahr 2000 ein zusätzliches Wachstum des österreichischen Bruttoinlandsproduktes von 2,8% prognostiziert. Nach dem EU-Beitritt Österreichs zeigte sich, dass die erwarteten positiven wirtschaftlichen Auswirkungen im Wesentlichen eingetreten sind.
Bis zum Jahr 1998 betrugen die Wohlfahrtseffekte nach Berechnungen des -WIFO (WIFO 1999) 1,33% des österreichischen BIP. Dies schon unter Berücksichtigung der österreichischen Nettozahlerposition. Auch der Wirtschaftsstandort Österreich hat durch den EU-Beitritt zweifellos profitiert, was sich auch im starken Anstieg der ausländischen Direkt-investitionen in Österreich nach 1995 zeigt. Diese stiegen nach den Daten der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD 1999) von durchschnittlich 0,9 Milliarden $ im Durchschnitt der Jahre 1985 bis 1995 auf 4,4 Milliarden $ 1996, 2,4 Milliarden $ 1997, 5,9 Milliarden $ 1998. Der Anstieg war damit wesentlich stärker als in der BRD: 3,3 Milliarden $ im Durchschnitt der Jahre 1985 bis 1995, 5,6 Milliarden $ 1996, 9,6 Milliarden $ 1997, 19,9 Milliarden $ 1998, oder in der gesamten EU – 67,6 Milliarden $ im Durchschnitt der Jahre 1985 bis 1995, 108,9 Milliarden $ 1996, 126,2 Milliarden $ 1997, 230 Milliarden $ 1998.
Obwohl Österreich insgesamt gewonnen hat, gab es neben Gewinnern auch Verlierer des EU-Beitritts.
Gewinner
Durch den EU-Beitritt haben insbesondere die Konsumenten durch billigere Produkte, Verbilligung der Nahrungsmittel durch die Teilnahme an der EU-Agrarpolitik, dem Zollabbau gegenüber Drittländern sowie vor allem durch die Intensivierung des Wettbewerbs durch die Teilnahme am EU-Binnenmarkt profitiert.
Nach den Berechnungen des WIFO (1999) betrug die Konsumentenrente von 1995 bis 1998 1,53% des österreichischen BIP. Dieses erreichte im Jahre 1998 2610 Milliarden Schilling und 1999 2685 Milliarden Schilling. Die Konsumentenrente von 1,53% des österreichischen BIP betrug daher rund 40 Milliarden Schilling 1998 und rund 41 Milliarden 1999. Pro Kopf der österreichischen Bevölkerung waren dies etwa 5000 Schilling im Jahr, bei einem Vier-Personen-Haushalt daher etwa 20.000 Schilling im Jahr. Die von den EU-Gegnern so heftig kritisierte Prognose der früheren Staatssekretärin Brigitte Ederer eines Wohlfahrtsgewinnes pro Vier Personen-Haushalt von 1000 Schilling im Monat, der so genannte »Ederer-Tausender«, wurde also schon 1998 übertroffen.
Neben den Konsumenten haben noch die Arbeitnehmer insgesamt durch höhere Beschäftigung und niedrigere Arbeitslosenrate gewonnen sowie generell auch die gesamte Wirtschaft, insbesondere die Außenwirtschaft.
Verlierer
In Einzelnen vor dem EU-Beitritt noch geschützten Branchen, wie z. B. der Landwirtschaft und der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, wo der Preisdruck unmittelbar nach dem EU-Beitritt wirksam wurde, über Bereiche, wo der Preisdruck erst allmählich einsetzte, wie Handel, Elektronikbereich, Reisebranche, Versicherungswirtschaft, Telekommunikation -, ist es allerdings zu Preis- und teilweise auch Absatzrückgängen sowie zu Verlusten von Arbeitsplätzen gekommen.
Besonders stark war die Landwirtschaft betroffen, deren Preise durch die Übernahme der EU-Agrarpolitik zwischen 22% nach WIFO-Berechnungen und 24,5% nach Eurostat-Berechnungen fielen. Die Effekte wurden allerdings durch Übergangssubventionen gemildert. Es verwundert daher nicht, dass Gutsbesitzer vehemente Kritiker des EU-Beitritts waren. Sie gehörten wirtschaftlich zu den Verlierern.
Die Verluste in diesen Branchen wurden aber durch Gewinne in den anderen Sektoren der Volkswirtschaft überkompensiert, so dass die Gesamtwirtschaft Österreichs insgesamt gewonnen hat. Das WIFO (WIFO 2003) kommt bis 2001 auf ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 2,9% des BIP, was in etwa den Erwartungen vor dem EU-Beitritt entspricht.
Schon dieses zusätzliche Wirtschaftswachstum machte den EU-Beitritt für die österreichische Volkswirtschaft zum Gewinn. Sogar das Budget profitiert, da die zusätzlichen Einnahmen durch das höhere Wachstum die Nettozahlungen bei weitem überkompensieren. Da es jedoch, wie schon festgestellt, äußerst schwierig ist, die positiven EU-Effekte zu berechnen, sollen zwei Länder mit unterschiedlichen Integrationsstrategien verglichen werden, Österreich und die Schweiz.
Vergleich Österreich – Schweiz
Glücklicherweise haben wir für einen Vergleich ein Großexperiment, nämlich mit Österreich und der Schweiz zwei ähnliche Nachbarländer mit unterschiedlichen Integrationsstrategien. Beide sind relativ reiche, kleine, offene Volkswirtschaften, die 1960 zu den Gründungsmitgliedern der EFTA zählten. Erst Anfang der Neunzigerjahre trennten sich ihre Wege – während Österreich zuerst dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und 1995 der EU beitrat, stockte der Schweizer Integrationsprozess mit dem negativen Referendum zum EWR 1992.
Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen mit den Schweizer KollegInnen, mit denen ich damals den EWR verhandelte.
Auch sie waren fast alle enttäuscht über den Ausgang des Referendums und sahen auch die Schwierigkeit, die der Ausschluss vom EU-Binnenmarkt für viele ihrer Unternehmen wie z. B. besonders die Swissair bringen würde.
Sie glaubten aber, diese negativen Auswirkungen durch bilaterale Abkommen mildern zu können. Weiters dadurch, dass ihre Unternehmen relativ kapitalreich waren und es sich daher leisten konnten, sich im Binnenmarkt niederzulassen oder EU Unternehmen zu kaufen.
Während in den Achtzigerigerjahren Österreich und die Schweiz als EFTA-Mitglieder noch ein ähnliches Wachstum aufwiesen, änderte sich dies in den Neunzigerjahren.
Österreich wuchs als sicherer EWR-Teilnehmer und als EU-Mitglied von 1990 bis 2002 um insgesamt 21% Punkte des BIP rascher als die Schweiz. Ein Überblick kann der Grafik entnommen werden.
Nicht die gesamte Wachstumsdifferenz sollte auf die Teilnahme Österreichs am EU-Binnenmarkt zurückgeführt werden, da Österreich immer noch ärmer als die Schweiz ist und daher aufholen sollte, in den Neunzigerjahren eine aktive Wachstumspolitik durch Investitionsförderung betrieb und insgesamt eine relativ gute Makropolitik implementierte.
Die Teilnahme Österreichs am EU-Binnenmarkt dürfte aber doch wesentlich zum höheren Wachstum beigetragen haben. Die Schweizer Schadensbegrenzung durch bilaterale Abkommen war offensichtlich nicht sehr wirkungsvoll, um die Diskriminierung ihrer Volkswirtschaft und Firmen durch den schlechteren Zugang zum EU-Binnenmarkt zu vermeiden.
Diese dürfte z. B. auch bei der Pleite der Swissair, neben Managementfehlern, eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Nach einer Untersuchung von Ernst&Young wurde die Insolvenz vor allem auch durch die Übernahme von maroden Fluggesellschaften im EU-Binnenmarkt verursacht.
Obwohl daher die Wirtschaft der Schweiz insgesamt verliert, gibt es spiegelbildlich zur Situation in Österreich auch Gewinner, nämlich die Landwirtschaft mit dem noch höheren Preisniveau, sowie einzelne geschützte Branchen.
Es wundert daher nicht, dass auch Unternehmer zu den vehementesten Gegnern eines EU-Beitritts der Schweiz gehören. Sie könnten dadurch möglicherweise wirtschaftlich verlieren.
Wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung
Die wahren Integrationseffekte dürften daher irgendwo zwischen der WIFO-Berechnung und der Wachstumsdifferenz zur Schweiz, also zwischen 2,9% und 21% liegen.
Jeder einzelne der acht Millionen Einwohner Österreichs hat daher im Jahr 2002 nach den WIFO-Berechnungen durch den EU-Beitritt durchschnittlich über 700 EUR netto gewonnen und im Vergleich zu einem Einwohner der Schweiz, wenn man die Wachstumsdifferenz von 1990 bis 2002 nimmt, durchschnittlich über 5000 EUR.
Die konkrete Verteilung wird allerdings nicht diesen Durchschnittswerten entsprechen, sondern einige werden mehr, andere weniger gewonnen haben. Die österreichische Volkswirtschaft hat gegenüber der Schweiz durch die Wachstumsdifferenz insgesamt etwa 45 Milliarden EUR gewonnen.
Dieser Vergleich zeigt, dass wirtschaftliche Integration zur Erhöhung des Wohlstandes beiträgt und Österreich mit seinem EU-Beitritt wirtschaftlich insgesamt gut gefahren ist. Neben diesen wirtschaftlichen gibt es aber auch noch politische Aspekte der EU-Integration.
Politische Auswirkungen der EU
Auch dank der EU konnte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa im Gegensatz zur Zeit davor eine Periode des Friedens und des Wohlstands erreicht werden. Insbesondere der Kontrast zur ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in Europa, die von den nationalistischen Ideologien und den daraus folgenden Kriegen gekennzeichnet war, ist besonders drastisch. International tritt die EU und Österreich für die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen – Multilateralismus – ein. Die wichtige Rolle internationaler Organisationen ist ein besonderes Kennzeichen der heutigen Phase der Globalisierung.
Die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen wurde besonders in den jüngsten Auseinandersetzungen um die Irak-politik zwischen Teilen Europas – insbesondere Deutschlands und Frankreichs – und den USA mit ihren Verbündeten, sowie durch das Scheitern der WTO-Doha-Runde geschwächt. Mittlerweile kehren jedoch auch die USA wieder in den multilateralen Rahmen der UNO zurück.
Q U E L L E N
EU Kommission (2003), Aufteilung der operativen EU-Ausgaben nach Mitgliedstaaten – 2002
Die Presse (2003), Swissair-Artikel am 25. 1. 2003, Seite 29
UNCTAD (1999), World Investment Report 1999,
Country fact sheet Austria
WIFO (1994), Monatsberichte Sonderheft 1994,
Österreich in der Europäischen Union
WIFO (1999), Monatsberichte, 8/1999, Breuss Fritz,
S 551 ff.
WIFO (2000), Austrian Economic Quarterly, 4/2000
WIFO (2003), Working Paper 200/2003, Breuss Fritz,
Österreich, Finnland und Schweden in der EU – Wirtschaftliche Auswirkungen
R E S Ü M E E
Die EU konnte die bei ihrer Gründung angestrebten vorrangigen Ziele – Sicherung der Friedens und Erhöhung des Wohlstandes durch wirtschaftliche Integration – erreichen. Mit der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Einführung der gemeinsamen Währung Euro wurde die in den Fünfzigerjahren begonnene wirtschaftliche Integration in Europa gekrönt. Österreich hat durch den EU-Beitritt im Vergleich zur Schweiz wirtschaftlich profitiert. Die wirtschaftlichen Vorteile überwiegen die Nettozahlungen bei weitem. Mit der Osterweiterung überwindet die EU auch die Teilung Europas, und es wächst zusammen, was zusammen gehört. In den letzten Jahren ist es allerdings wieder zu einer stärkeren Verwendung nationalistischer Parolen gekommen. In den nächsten Jahren wird daher die politische Weiterentwicklung der EU im Mittelpunkt stehen. Es ist zu hoffen, dass diese erfolgreich ist, denn damit würde nicht nur die EU, sondern auch das internationale multilaterale System gestärkt.
1) Die im Paper vertretenen Positionen stellen die persönliche Meinung des Autors dar.
Von Franz Nauschnigg (Abteilungsleiter in der Oesterreichischen Nationalbank, Abteilung für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen1) )
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