Das gesellschaftspolitische Diskussionsforum

Wer hat sich nicht schon gefragt, warum sich der politische Diskurs so oft im Kreis dreht. Auch die sozialen Bewegungen sind davon nicht ausgenommen. Während die Neokonservativen und Neoliberalen Multimillionen-Dollar-Netzwerke zum Austausch zwischen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien zur Durchsetzung ihrer Agenda in die Welt setzten, blieb es auf Seiten der alten und neuen sozialen Bewegungen lange Zeit merkwürdig ruhig. Die alten Argumentationsmuster und Kampagnen hatten an Wirksamkeit eingebüßt, neue, die sich einem humanistischen Gesellschaftsbild verpflichtet fühlten, mussten erst gefunden werden.

Vielfach werden die Auseinandersetzungen in Seattle im November 1999 anlässlich der WTO-Tagung als ein Wendepunkt gesehen. Es folgten Weltsozialforen, europäische Sozialforen und schließlich auch nationale Sozialforen, mit dem Ziel, eine »andere Welt« zu wagen. Das »Gesellschaftspolitische Diskussionsforum« (gedifo), angestoßen im April 2000, will als Netzwerk dazu einen Beitrag leisten. ArbeitnehmervertreterInnen, WissenschaftlerInnen, BeraterInnen, KünstlerInnen und VertreterInnen von NGOs treffen einander drei- bis viermal im Jahr, um die unterschiedlichen Perspektiven und Zugänge zu etwas machtvollen Neuen zu vernetzen. Dazwischen wird in vier konkreten Projekten gearbeitet.

»Trigos«

Das Projekt »Allianzen zwischen BetriebsrätInnen und NGOs« will durch ein völlig neues »Geschäftsfeld« ein Gegengewicht zu den gegenwärtigen Unternehmens- und Konzernpolitiken entwickeln. Die Managementskandale der letzten Jahre haben gesellschaftspolitisch verantwortungsvolle Unternehmensführung verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt.

So hat da Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit gemeinsam mit der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer ein CSR-Leitbild (CSR Austria)1) erarbeitet, welches die Basis für eine Preisverleihung an gesellschaftspolitisch besonders verantwortungsvoll handelnde Unternehmen ist (Trigos 2004).

Von NGOs- und der Vertretung der Arbeitnehmer wird unter anderem bemängelt, dass diese Leitlinie unverbindlich bleibt, wichtige Kriterien keine Berücksichtigung finden und überhaupt befürchtet werden muss, dass es sich dabei nur um eine mit viel Aufwand inszenierte Image-Kampagne handelt.

Soll eine gesellschaftspolitisch verantwortungsvolle Unternehmensführung ernst genommen werden, so bedeutet dies einen systematischen und strukturierten Dialog mit allen innerbetrieblichen und überbetrieblichen Anspruchsgruppen, also all jenen, die in direkter oder indirekter Weise von der Unternehmensführung betroffen sind. Dabei wird BetriebsrätInnen eine wichtige Funktion als »Co-Manager« und Initiator zukommen.

Im Rahmen des gedifo-Projekts »Allianzen zwischen BR und NGOs«

  • wurde dem CSR-Austria-Leitbild ein eigenes »Leitbild der Zivilgesellschaft« gegenübergestellt,
  • wurden in einem eigenen Workshop mit ExpertInnen jene Kriterien diskutiert, die für eine gesellschaftspolitisch verantwortliche Unternehmensführung zu berücksichtigen wären,
  • sollen durch ein eigenes Projekt die jüngst mit dem Trigos 2004 ausgezeichneten Unternehmen unter die Lupe genommen werden
  • und soll in einem konkreten Betrieb im Rahmen eines Pilotprojekts entwickelt werden, was gesellschaftspolitisch verantwortliche Unternehmensführung aus der Perspektive der innerbetrieblichen Interessenvertretung bedeuten könnte.

Kampf um die Köpfe

Bei dem Projekt »Innerbetriebliche Kommunikation« ist der Kampf um die Köpfe der Beschäftigten im Mittelpunkt. Neue Formen der Arbeitsorganisation und der MitarbeiterInnenführung haben massive Auswirkungen auf die Verankerung der innerbetrieblichen Interessenvertretung in der Belegschaft. In vielen Bereichen läuft heute die Entscheidungsfindung in »selbstorganisierten Teams« oder in direkter Kommunikation mit den Vorgesetzten, BetriebsrätInnen bleibt dabei vor allem eine Schutz- und Bewahrungsfunktion.

Gleichzeitig fühlen sich viele Beschäftigte in ihren Betrieben durch die neuen Führungsmethoden »verschaukelt« und zu wenig ernst genommen. Sie wollen Informationen über die beabsichtigten Unternehmensstrategien, sie wollen Zusammenhänge verstehen und Entwicklungen aktiv mitgestalten. Dazu braucht es aber auch eine neue Form des Austausches untereinander, eine neue Form der Kommunikation mit den Beschäf-tigten.

BetriebsrätInnen kommt daher eine wichtige neue Funktion zu. Sie haben den innerbetrieblichen Informationsaustausch zu ermöglichen und so zu gestalten, dass daraus neue innovative ArbeitnehmerInnenpositionen entwickelt werden können. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der innerbetrieblichen Netzwerke, denn Meinungsbildung findet vor allem in Pausengemeinschaften, Abteilungsgemeinschaften, gemeinsamen Sportaktivitäten usw. statt.

Teufelskreis für Betriebsräte

Das gedifo-Projekt »Innerbetriebliche Kommunikation« setzt sich zum Ziel, Methoden der Netzwerkanalyse zu erarbeiten, darauf fußende neue innerbetriebliche Kommunikationsformen in ausgewählten Betrieben zu erproben und zu überlegen, welche Ausbildungsinhalte für BetriebsrätInnen notwendig wären, damit sie in diesem Sinne auch BeraterInnen- und Coachingfunktion übernehmen können.

Das Projekt »Co-Management und Verhandlungsstrategien« will zu einer effektiveren und effizienteren Mitbestimmung beitragen. Durch Globalisierung, rasante Unternehmensreorganisationen und neue Managementmethoden geraten BetriebsrätInnen zunehmend in die Defensive.

Weniger denn je werden sie in die Planung betrieblicher Änderungen mit einbezogen, gleichzeitig sollen sie aber die Auswirkungen mittragen und der Belegschaft »verkaufen«. Darunter leidet oftmals das Ansehen bei den Beschäftigten, was in der weiteren Folge wiederum die Position gegenüber der Geschäftsleitung unterminiert.

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müssen BetriebsrätInnen eigenständige Ziele und Gestaltungsvorstellungen entwickeln. Nicht alleine, sondern indem sie durch eine kommunikative Rückkopplung mit den Beschäftigten eine umfassende Beteiligung der Betroffenen an Strategiefindungs- und Entscheidungsprozessen gewährleisten.

Einkommen und Verträge immer schlechter

Das gedifo-Projekt »Co-Management und Verhandlungsstrategien«

  • will auf der Grundlage eines definierten Kriterienkatalogs eine Typologie derzeit in der Praxis anzutreffender Verhandlungsmuster entwickeln,
  • will Voraussetzungen und Meilensteine definieren, damit Co-Management tatsächlich gelingen kann und BetriebsrätInnen am Ende als erfolgreiche Verhandler an Ansehen gewinnen und
  • will Strategien für Situationen debattieren, in denen Co-Management aus verschiedensten Gründen nicht zielführend ist.

Schließlich nimmt das Projekt »Atypische Beschäftigung« einen wichtigen Umbruch auf den Arbeitsmärkten in den Blick: die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses.

Seit Ende der Neunzigerjahre nehmen so genannte »atypische Beschäftigungsverhältnisse« stark zu. Immer mehr Menschen arbeiten als freie DienstnehmerInnen, als WerkvertragnehmerInnen, als geringfügig Beschäftigte usw. Damit sind massive sozial- und arbeitsrechtliche Nachteile verbunden, weshalb die Mehrheit der atypisch Beschäftigten auch lieber ein Normalarbeitsverhältnis hätte.

Die verschärfte Situation am Arbeitsmarkt geht auch an dieser ArbeitnehmerInnengruppe nicht spurlos vorüber. In vielen Bereichen werden sowohl die Einkommen als auch die Vertragsbedingungen immer schlechter, weil Angebot und Nachfrage zunehmend auseinander klaffen.

ÖGB und GPA haben dieses Problem erkannt und wollen mit eigenen Beratungs- und Interessenvertretungsorganisatonen (Flexpower, work@flex) gegensteuern.

Befruchtung der Politik

Kein ganz einfaches Unterfangen, denn atypische Beschäftigung findet sich in einer sehr großen Bandbreite: von eher unqualifizierten bis zu hochqualifizierten Tätigkeiten (IT, Medien, Erwachsenenbildung), von sozial- und arbeitsrechtlich besser bis zu schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen und schließlich von existenzsichernden bis zu nicht existenzsichernden Einkommen.

Die gedifo-Projektgruppe »Atypische Beschäftigung« will auf folgenden konkreten Ebenen politikwirksam werden:

  1. Behandlung jeweils akuter Themen im Bereich etwa der sozialen Absicherung wie z. B. einer Arbeitslosenversicherung für Selbständige.
  2. Konzeption und Durchführung einer Sensibilisierungskampagne, um die Problematik in der Öffentlichkeit entsprechend zu verankern.
  3. Aufbau eines Netzwerkes von atypisch Beschäftigten, um durch den Austausch mehr Transparenz, eine wechselseitige Unterstützung und eine politisch wirksamere Vorgehensweise zu ermöglichen.

Die konzeptionellen Vorarbeiten der gedifo-Projekte sind so weit gediehen, dass nun konkrete Schritte in die Praxis gesetzt werden können: durch Pilotprojekte, durch die Entwicklung von Ausbildungsinhalten und durch eine Befruchtung der Politik, insbesondere der ArbeitnehmerInneninteressenvertretungen. Wer hier mitwirken will, ist herzlich eingeladen.

Kontakt:
ulrich.schoenbauer@akwien.at

 

1) CSR = Corporate Social Responsibility = soziale Verantwortung von Unternehmen (Anmerkung der Redaktion: das Dinglish greift immer mehr um sich)

Autoren:
Ulrich Schönbauer
Arbeiterkammer Wien
Michael Vlastos
Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung

Von

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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