Standpunkt | Hochzufrieden im Alptraum leben?

Ja, Sie sehen richtig, es ist eine Pfandleihanstalt. Fernseher, Stereoanlagen, Schmuckstücke stapeln sich hier. So finanzieren verzweifelte und sehr kranke Menschen ihre Behandlung in unserem Krankenhaus der Zukunft. Sie machen das, weil sie entweder gar keine oder keine ausreichende Versicherung haben.

Finden Sie diesen Blick in die Zukunft zu schwarzseherisch? Das Land der Zukunft sind die USA, die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort sind derartige Zustände schon gang und gäbe. Was, das glauben Sie nicht, das finden Sie übertrieben?

Also bitte, wie Sie wissen, ist »Die Presse« eine bürgerlich konservative und ganz sicher keineswegs linkslastige Zeitung. Dort finden Sie am 17. 9. einen Beitrag mit dem Titel: »USA – Fernseher für eine Operation: Die Pfandleihe im Spital.« Unter anderem können Sie dort lesen, dass 15 Prozent der Amerikaner keine Krankenversicherung haben. 15 Prozent sind immerhin 45 Millionen Menschen, die im Krankheitsfall vor einer existentiellen Katastrophe stehen.

Diese Dinge sind wohl schwer zu begreifen. So hat mir vor kurzem ein befreundeter Arzt rundheraus erklärt: »Das glaubst du wohl selber nicht!« Dabei habe ich nichts anderes gemacht, als versucht, ihm diese zugegeben sehr düstere Zukunft auszumalen. Ich mochte es nicht glauben, muss aber wohl, angesichts all dieser Vorzeichen.

Bruno Kreisky hat seinerzeit einmal gesagt, er hätte den Eindruck, die Banken und die Versicherungen hätten unser Land schon übernommen. Er war sehr scharfsichtig, der alte Herr.

Jedenfalls ist es wohl so, geschätzter Leser, dass es eine Seite gibt, die nur profitieren kann, wenn unser System der sozialen Sicherung nachhaltig ruiniert wird, wenn unsere Krankenversicherung immer weniger ausreicht und wenn die Menschen in unserem Land generell verunsichert sind. Für Qualtingers Herrn Karl war ein Packerl Aspirin ausreichend. Wir alle tun wohl gut daran, jetzt schon fleißig zu sparen, weil wir ja einmal krank werden könnten.

Vielleicht sollten wir alle Versicherungsmakler werden? Ist das eine Alternative? Jedenfalls ist es ein Boom. Ich will Sie gewiss nicht pflanzen, aber haben sie vielleicht Versicherungsaktien?

Tja, was nun die Banken betrifft, so haben wir da zum Beispiel die Weltbank. Die Weltbank macht sich Sorgen. Sorgen um unser Bruttoinlandsprodukt. In unseren BIP ist nämlich ein zu hoher Anteil an Pensionskosten: 15 Prozent. Das mache uns zunehmend wettbewerbsunfähig, heißt es.

An ihre Rüge schließt die Weltbank eine Forderung an. Gefordert wird ein schneller Umstieg auf das Kapitaldeckunsverfahren, also auf private Pensionsvorsorge.

Die Chicago Boys von der Weltbank machen dann Systemvergleich und sagen, das zum Beispiel die USA oder Großbritannien viel weniger für die Pensionen ausgeben. Ja, Herrschaftsseiten, Leute, natürlich ist der Anteil der Pensionskosten am BIP dort geringer. Die Höhe der staatlichen Pensionen hängt wohl auch von den Einzahlungen ab, welche bei uns deutlich höher sind als in diesen Ländern. Aber das ist denen von der Weltbank wurscht. Ihre Sorge sind ja nicht die Bedürfnisse der Bürger, sondern die Gewinne der Banken. Dort liegen ihre Interessen und das liegt ihren Interessenten am Herzen: Profit, Profit, Profit.

Uns naiven Normalverbrauchern, uns Arbeitnehmern und unseren Familien ist schon längst der offene Wirtschaftskrieg erklärt worden!

Die Weltbank kennen wir übrigens als offene Unterstützer von Diktaturen wie dem Chile von Pinochet, oder als jene, die dem seinerzeitigen Jugoslawien ein Wirtschaftsprogramm aufgedrückt haben, das zu einer enormen Inflationsrate und neben den ethnischen Gründen auch zum Krieg geführt hat. Allein was sie in Russland angerichtet haben, ist sagenhaft. Oberstes Ziel dieser Institution ist die rigorose Öffnung der Märkte. Die materielle Lebensgrundlage der Menschen steht auf dem Spiele – doch was für sie zählt, ist nur der maximale Profit.

Streichung von Feiertagen, Ausweitung der Wochen-, Monats- und Lebensarbeitszeit, überfallsartiger Pensionsverlust oder besser Pensionsraub, sinkende Reallöhne und steigende Steuern und Abgaben und und und.

Sollen wir die Augen ganz fest zumachen und uns vorsagen: »Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr!« Dieser Albtraum ist leider Wirklichkeit.

Und was sagt der Herr Sozialminister: »Die Arbeitnehmer und ihre Vertreter sind hochzufrieden, sonst hätten sie schon was getan …«. Hat er Recht? Hat er wirklich Recht?

Siegfried Sorz

Von Siegfried Sorz (Chefredakteur)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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