ArbeitnehmerInnen fühlen sich in Österreich aufgrund ihres Alters im Vergleich zu anderen EU-Staaten überproportional diskriminiert. Das ergab die »Zweite Europäische Umfrage über Arbeitsbedingungen« aus dem Jahr 19961). Eine erst kürzlich durchgeführte Befragung bestätigt diese Einschätzung, was ältere ArbeitnehmerInnen betrifft. Nur fünf Prozent der über 45-Jährigen sehen im Falle von Arbeitslosigkeit »sehr gute Chancen« für sich einen angemessenen neuen Job zu finden. Das ergab der Arbeitsklima-Index der AK Oberösterreich im Herbst 20032).
Selbstbild
Das Selbstbild, das ältere ArbeitnehmerInnen von sich haben, wird durch objektive Arbeitsmarktdaten bestätigt. Österreich zählt innerhalb der EU zu jenen Staaten mit der niedrigsten Beschäftigungsquote von älteren MitarbeiterInnen zwischen 55 und 64 Jahren. Im Jahr 2002 betrug diese nur 30 Prozent, während der EU-Schnitt 2002 bei 40 Prozent lag.
Eine diskriminierende Haltung älteren ArbeitnehmerInnen gegenüber wird aber in Zukunft besonders für Unternehmen erhebliche Probleme schaffen, denn die Belegschaften werden aufgrund der demographischen Entwicklung insgesamt älter. Die 45-Jährigen werden in wenigen Jahren zur größten ArbeitnehmerInnengruppe werden. In den Unternehmen wird derzeit oft noch eine Personalpolitik betrieben, die fast ausschließlich auf jüngere ArbeitnehmerInnen setzt. Die demographische Entwicklung wird alle Unternehmen vor große Herausforderungen stellen, denn sie müssen auch mit älteren ArbeitnehmerInnen innovativ und wettbewerbsfähig bleiben. Dies wird nur durch eine alternsgerechte Gestaltung der Unternehmen gelingen.
Mit der Broschüre »Ältere ArbeitnehmerInnen – Das verborgene Gold im Unternehmen« möchte der ÖGB vor allem für die betriebliche Ebene Informationen zur Verfügung stellen, um Bewusstsein über die bevorstehenden Veränderungen in der Alterszusammensetzung der Belegschaften zu schaffen.
Andererseits soll die Broschüre Anregungen bieten, die Gesundheit, die Motivation und die Qualifikation älterer MitarbeiterInnen im Betrieb aktiv zu unterstützen und die Vorteile einer altersgemischten Belegschaft zu nutzen. Die Zielgruppe der Broschüre sind BetriebsrätInnen, Sicherheitsvertrauenspersonen, ArbeitsmedizinerInnen, Sicherheitsfachkräfte, ArbeitspsychologInnen, aber auch Personalverantworliche und PersonalentwicklerInnen.
Wie kann die Arbeitsfähigkeit der ArbeitnehmerInnen im Betrieb erhalten und gefördert werden?
Drei Säulen
Bildlich gesprochen braucht es drei Säulen, die auf einem starken Fundament der Arbeitsfähigkeit aufbauen (siehe Grafik):
1. Maßnahmen im ArbeitnehmerInnenschutz und in der Gesundheitsförderung
Für die Arbeitsfähigkeit bis ins Pensionsalter spielt die Gesundheit der einzelnen ArbeitnehmerInnen und die Arbeitsbedingungen sowie die Arbeitsgestaltung eine große Rolle. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz sowie die Bundesbedienstetenschutzgesetze bieten sehr gute Instrumente, über die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren am Arbeitsplatz z. B. entsprechende Gesundheitsmaßnahmen für ältere ArbeitnehmerInnen zu setzen.
Gesundheitsverschleiß
Ziel ist, die Arbeitsaufgaben und die Arbeitsorganisation dem Prozess des Alterns der ArbeitnehmerInnen entsprechend zu gestalten. Deshalb wird in der Broschüre der Begriff „alternsgerecht“ verwendet. Wenn ein 50-jähriger Schweißer z. B. immer wieder von schwerer körperlicher Arbeit entlastet wird und in dieser Zeit Lehrlinge anweist, bleibt er für die körperliche Arbeit leistungsfähiger und ist somit für das Unternehmen produktiver. Die alternsgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen muss aber bereits in jungen Jahren beginnen, wenn die Gesundheit bis zum Pensionsantrittsalter erhalten werden soll. Ein Gesundheitsverschleiß durch Heben und Tragen von schweren Lasten oder durch Nachtschichtarbeit in jungen Jahren kann im Alter nur mehr ganz schwer ausgeglichen werden.
2. Qualifizierung und Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen
Viele ältere ArbeitnehmerInnen verfügen oft über spezifische und durchaus verwertbare Qualifikationen. Häufig fehlen aber die Möglichkeiten, die entsprechenden Kompetenzen zu erwerben, die durch Umstrukturierungen im Unternehmen oder durch technische Veränderungen notwendig wären. Häufig wird bei Veränderungen der Arbeitsorganisation nicht darauf Rücksicht genommen, dass auch ältere ArbeitnehmerInnen die Gelegenheit haben müssen, die notwendigen Kompetenzen zu erwerben. Dazu kommt, dass der Kenntnisstand einseitig wird, wenn über einen längeren Zeitraum immer wieder die gleichen Tätigkeiten ausgeübt werden.
Durch eine maßgeschneiderte Qualifizierung und Weiterbildung können in diesen Fällen die individuellen Ressourcen und Fähigkeiten gestärkt und verbessert werden.
Goldbergbau
Das Potential von älteren ArbeitnehmerInnen ist oft nicht auf den ersten Blick sichtbar. Dies ist das Erfahrungswissen, die soziale Kompetenz und die Routine, die sie sich im Laufe ihres Arbeitslebens angeeignet haben. Diese Ressourcen müssen wie im Goldbergbau freigelegt und durch spezielle Methoden für den Betrieb verfügbar gemacht werden. Dass Erfahrungswissen der Älteren erfolgreich zum Nutzen des Unternehmens an die junge Generation weitergegeben werden kann zeigen z. B. das Programm LIFE in der Voestalpine und die Schmidt Schraubenfabrik in Hainfeld, Niederösterreich.
3. Unternehmenskultur
Oft verstellen Vorurteile gegenüber älteren ArbeitnehmerInnen in unserer Gesellschaft, aber auch in den Betrieben die Sicht auf das Potential von Älteren. Diese Vorurteile wirken sich bei der Einstellungspraxis von älteren ArbeitnehmerInnen negativ aus aber auch bei was einen längeren Verbleib im Unternehmen anlangt. Vorurteile kommen besonders durch den Gebrauch der Sprache zum Ausdruck. Eine Unternehmenskultur, die diskriminierende Äußerungen erlaubt wie »Wie lange wollen sie denn noch bleiben?« oder »Mit 50 gehört man weg!« wirkt sich besonders negativ auf das Selbstwertgefühl und die Motivation von Älteren aus. Das mindert ihre Leistungsfähigkeit und ihr Engagement. Dadurch wird eine negative Spiralbewegung in Gang gesetzt, die sowohl den Älteren als auch dem Unternehmen nur Nachteile bringt. Im Umkehrschluss heißt dies, wenn es gelingt, älteren MitarbeiterInnen Wertschätzung und Anerkennung von Seiten der Unternehmensleitung und der Vorgesetzten entgegenzubringen, dann stellt dies eine wichtige Komponente für die Förderung von Gesundheit und Arbeitszufriedenheit dar. Erfahrungen aus den Pilotprojekten zu alternsgerechtem Arbeiten bestätigen das.
Es wird in Zukunft eine verstärkte Zusammenarbeit aller AkteurInnen des innerbetrieblichen ArbeitnehmerInnenschutzsystems notwendig sein, um ältere ArbeitnehmerInnen länger in Beschäftigung zu halten. Um auf der betrieblichen Ebene zu überprüfen, ob das Unternehmen alternsgerecht ist, stellt die Broschüre »Ältere ArbeitnehmerInnen – Das verborgene Gold im Unternehmen« eine Checkliste zur Verfügung. Eine Analyse des Unternehmens kann Ausgangspunkt für entsprechende Maßnahmen für Ältere im Unternehmen sein.
Gegen Diskriminierung
Durch die Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union (RL 2000/78/EG) wird es darüber hinaus ein zusätzliches Instrument auf der betrieblichen Ebene geben, um Diskriminierungen aufgrund des Alters zu bekämpfen. Sollte es z. B. bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, bei Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung und Umschulung oder beim beruflichen Aufstieg aufgrund des Alters eine Ungleichbehandlung geben, kann die Gleichbehandlungskommission oder das Gericht angerufen werden. Es ist zu erwarten, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie im Laufe des Jahres 2004 im neuen Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt werden. Die Bundesregierung wäre übrigens bereits bis spätestens 2. Dezember 2003 verpflichtet gewesen, diese Bestimmungen in nationales Gesetz umzusetzen.
Natürlich müssen auch auf der gesellschaftlichen Ebene Maßnahmen getroffen werden, die die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit von älteren ArbeitnehmerInnen erhöht. Notwendige Schritte sind z. B. die Weiterentwicklung des ArbeitnehmerInnenschutzes, die Förderung des lebensbegleitenden Lernens, ein sozialer Dialog über gesundheitsfördernde Arbeitszeitmodelle und eine offensivere Arbeitsmarktpolitik zur Wiedereingliederung von älteren ArbeitnehmerInnen.
Finnland hat in den 90er-Jahren durch das nationale Aktionsprogramm für ältere ArbeitnehmerInnen gezeigt, dass das Hinaufsetzen des Pensionsantrittsalters in Verbindung mit individuellen, betrieblichen und gesellschaftspolitischen Maßnahmen zu einer höheren Beschäftigungsfähigkeit von Älteren führen kann (siehe Arbeit&Wirtschaft 1/2004, Seite 34, Gabriele Schmid: »Österreich kann von Suomi lernen«).
R E S Ü M E E
Der ÖGB fordert auch für Österreich ein nationales Aktionsprogramm für ältere ArbeitnehmerInnen, in dem alle Maßnahmen gebündelt werden können. Nur ein vernetzter und ganzheitlicher Ansatz wird positive Erfolge bei der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit Älterer bringen. Dies erfordert die Zusammenarbeit aller AkteurInnen im ArbeitnehmerInnen- und Bedienstetenschutz: Sozialpartner, AUVA, Krankenkassen, Pensionsversicherungen, Arbeitsinspektion und zuständige Ministerien sowie alle AkteurInnen in der Beschäftigungs- und Bildungspolitik.
Nur so wird die Vorgabe der EU (in Lissabon 2000), bis 2010 eine Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen von 50 Prozent zu erreichen, in greifbare Nähe rücken.
1) Second European Survey on Working Conditions (1996), Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, im Internet unter:
www.eurofound.eu.int/working/surveys/index.htm
2) Arbeitsklima News 4/03, im Internet unter:
www.arbeiterkammer.com
Ältere ArbeitnehmerInnen – Das verborgene Gold im Unternehmen
Inhaltliche Schwerpunkte der Broschüre:
- Informationen über den Prozess des Älterwerdens
- Betriebliche Beispiele für alternsgerechtes Arbeiten
- Handlungsmöglichkeiten für BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen
- Checkliste »Ist mein Unternehmen alternsgerecht gestaltet?«
Bestellung:
ÖGB-Referat für Humanisierung,
Technologie und Umwelt
Wipplingerstraße 35, 1010 Wien
Tel. 01/53444 DW 440 (Martina Fitzka)
E-Mail:martina.fitzka@oegb.at
Von Ingrid Reifinger (ÖGB-Referat für Humanisierung, Technologie und Umwelt)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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