Die KGKK ist eine jener Gebietskrankenkassen, deren Probleme kein Gerede von effizienter Verwaltung wegdisputieren kann: Sie hat einen überproportional hohen Anteil von Versicherten mit geringem Bruttogehalt. Fast die Hälfte der KGKK-Versicherten erzielt weniger als 900 Euro monatlich Bruttoeinkommen. Von dieser ungünstigen Einkommenssituation sind in vermehrtem Ausmaß Frauen betroffen. Für die KGKK bedeutet diese Einkommensstruktur im Österreich-Schnitt niedrige Beitragseinnahmen.
Das Problem wird durch das Anwachsen der Zahl geringfügig Beschäftigter und der Teilzeitbeschäftigten immer weiter verschärft. Selbst bei Vollbeschäftigung geht die Zahl der Versicherten, die den vollen Beitragssatz bezahlen, immer weiter zurück.
Viele Mitversicherte
Ein Österreich-Vergleich zeigt, dass in Kärnten anteilsmäßig weniger Erwerbstätige, dafür aber mehr beitragsfreie Mitversicherte und Pensionisten zu betreuen sind. In den Gruppen der »Alten« und »Hochbetagten« ist auch ein besonders hoher Prozentsatz von Rezeptgebühren befreit, also weitestgehend von der Entrichtung eines Selbstbehaltes ausgenommen.
In der von Direktor Alfred Wurzer, Roswitha Robing und Josef Rodler erstellten Untersuchung wurden 67 Prozent der gesamten Versicherungsleistungen im Jahre 2002 erfasst: Ärztliche und zahnärztliche Leistungen, Krankenhausaufenthalte, Medikamente, Heilmittel, Heilbehelfe und Hilfsmittel. Dabei sollte geklärt werden, welche Gruppen von Versicherten welche Leistungen in welchem Ausmaß in Anspruch nehmen und wie hoch dabei ihr Selbstbehalt ist. Als Datenquelle diente die Versichertendatenbank der KGKK.
Selbstbehalte
Folgende Selbstbehalte wurden berücksichtigt: Krankenscheingebühr (3,63 Euro), Zuzahlungen bei Zahnersatz und kieferorthopädischer Behandlung (50 Prozent der tariflichen Gesamtkosten), Rezeptgebühr (4,14 Euro, 2004 auf 4,35 erhöht), Kostenanteil an Heilbehelfen und Hilfsmitteln (zehn Prozent, mindestens 21,80 Euro), Spitalskosten-Selbstbehalt (7,68 Euro pro Verpflegstag für maximal 28 Pflegetage jährlich). Nicht berücksichtigt wurden Zuzahlungen bei Wahlärzten, Selbstbehalte über den satzungsmäßigen Höchstgrenzen, Zuzahlungen für verbesserte Ausführungen und Selbstzahlungen).
50 Prozent des Aufwandes für sieben Prozent
Unter den Ergebnissen springen mehrere Zahlen sofort ins Auge: 1,7 Prozent der Versicherten benötigen 25 Prozent des Kassenaufwandes.
Sieben Prozent der Versicherten beanspruchen bereits 50 Prozent des Gesamtaufwandes. Dieser kleine Anteil an den Versicherten, der die meisten Leistungen benötigt, zählt überwiegend zu den oberen Altersklassen – und zu den Beziehern niedriger Einkommen. Knapp drei Viertel der »Hochleistungsbezieher« sind Pensionisten, ein Drittel von ihnen ist von der Rezeptgebühr befreit.
84 Prozent der Versicherten beanspruchten 2002 mindestens eine Leistung der KGKK. 78 Prozent benötigten ärztliche Hilfe und verursachten damit 22 Prozent des Aufwandes, 37 Prozent benötigten zahnärztliche Hilfe (acht Prozent des Aufwandes), 15 Prozent mussten ins Krankenhaus, was mit 44 Prozent des Gesamtaufwandes zu Buche schlug.
65 Prozent der KGKK-Versicherten benötigten 2002 Medikamente (22 Prozent des Aufwandes) und 13 Prozent Heilbehelfe bzw. Hilfsmittel vier Prozent).
Langfristig negativ
Eine Modellrechnung der Kärntner Gebietskrankenkasse führte zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines zehnprozentigen Selbstbehaltes bei der Inanspruchnahme ärztlicher Ordinationsleistungen zwar die Ausgaben der KGKK für Ärztekosten um acht Prozent verringern würde, doch beim finanziellen Gesamtaufwand der Krankenkasse schlüge diese Ersparnis lediglich mit zwei Prozent zu Buche. Dafür würde die Maßnahme für einzelne Gruppen von Versicherten eine Mehrbelastung von 12 Prozent bedeuten.
Man müsse hinterfragen, meint die KGKK, »ob Selbstbeteiligungen bei ihrer neu- oder weitergehenden Einführung Entlastungseffekte, etwa für die gesetzlichen Krankenversicherungen, bewirken oder ob sie auch gleichzeitig längerfristige negative Auswirkungen verursachen, etwa wenn durch Selbstbehalte in zusätzlicher Weise Menschen von der Inanspruchnahme gesundheitlicher Einrichtungen bzw. Diagnosen und Therapien ›gehindert‹ werden und Folgewirkungen in verspäteter dann wieder von der Versicherten-, also Solidargemeinschaft – zu tragen sind, abgesehen vom persönlichen Leid der Betroffenen.«
Ja zu Reformen
Dabei wird die Notwendigkeit von Reformen von der Kärntner Gebietskrankenkasse nicht in Frage gestellt. Sie lehnt aber die üblichen Vergleiche mit anderen »Märkten« ab, da sich »das Gesundheitswesen in weiten Bereichen allgemeinen marktwirtschaftlichen Grundsätzen entzieht«.
Hinter der Vielfalt der von den gesetzlich erbrachten Leistungen »steht das Konzept der Solidarität – dieses ist eigentlich das Herzstück der heimischen gesetzlichen Krankenversicherungen … Umgelegt auf den Bereich der Krankenversicherungen ist Solidarität ein Prinzip, in dem Junge für Alte, Gesunde für Kranke und Besserverdienende für Menschen mit niedrigem Einkommen einstehen und in gegenseitiger Weise und Hilfestellung im ›Anlassfall‹ Sicherheit, Berechenbarkeit und Leistung bereit stellen.«
Eine ganze Reihe von Faktoren führte zu steigenden, »manchmal auch als Überlastung umschriebenen« Anforderungen an dieses Solidarsystem und zu dessen finanziellen Schwierigkeiten:
- Ausweitungen der Leistungsangebote.
- Anwachsen der Zahl der beitragsfreien Mitversicherten.
- Höhere Lebenserwartung.
- Neue therapeutische Möglichkeiten und Leistungen.
- Erosion des Arbeitsmarktes.
Alle diese Einflussfaktoren bringen den Solidaritätsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung, die ein Spiegelbild der wirtschaftlichen, sozialen und einkommensbezogenen Bedingungen darstellt, finanziell gesehen ins Wanken. Die möglichen Konsequenzen müssen offen und ohne Tabus durchdacht werden. Die Aufrechterhaltung des Solidaritätsprinzips erfordert eine Vielzahl von Aktivitäten, Kooperationen, Leistungsabstimmungen zwischen Spitälern und niedergelassenen Ärzten, Vermeidung von Mehrgeleisigkeiten.
Rekord: 2300 Euro Rezeptgebühr
Der besondere Stellenwert der von der Kärntner Gebietskrankenkasse vorgelegten Untersuchung besteht darin, dass sie die von einem Teil der Politiker fast wie ein Zauberwort gehandelten Selbstbehalte gründlich entzaubert und relativiert.
Wenn sieben Prozent der Versicherten 50 Prozent und 1,7 Prozent ein volles Viertel der Leistungen beanspruchen und zugleich mehrheitlich zu den Ärmeren zählen, erweist sich das Zauberwort vom rettenden Selbstbehalt als fauler Zauber.
Die Selbstbehalte liegen in Österreich längst im oberen Mittelfeld. Österreichs Patienten tragen schon heute einen relativ hohen Anteil der Gesundheitskosten selbst, je nach Leistungsart und Altersklasse bis zu 40 Prozent. So zahlen unter den Versicherten der KGKK die Patienten in der Altersklasse der 71- bis 80-Jährigen 32 Prozent der Kosten für Zahnarzt und Zahnbehandlung und 19 Prozent der Medikamente selbst. Und schon heute schlägt der Selbstbehalt in Einzelfällen unbarmherzig zu. Ein trauriger »Rekord«: Ein einziger Kärntner Patient zahlte im Jahre 2002 volle 2380 Euro Rezeptgebühr.
Konflikt mit sozialen Zielen
Die Untersuchung bestätigt die Ergebnisse einer vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen vorgelegten internationalen Studie über die Wirkung von Selbstbehalten.
Auch sie gelangte zu dem Ergebnis, »dass Selbstbeteiligungen im Gesundheitswesen nur sehr eingeschränkt als Steuerungsinstrument einsetzbar sind. Meist bewirken Selbstbeteiligungen nur eine vorübergehende Verhaltensänderung, die zu einer kurzfristigen Entlastung der öffentlichen Budgets beiträgt … Selbstbeteiligungen treffen primär schwächere Gruppen wie chronisch Kranke und Personen mit niedrigem Einkommen und kommen somit auch in Konflikt mit den sozialen Zielen der Solidargemeinschaft.«
R E S Ü M E E
Die KGKK stellt fest, dass der Selbstbehalt in den unteren Gehaltsklassen einen bedeutenden Teil des Einkommens aufzehren kann. Sollte es zu einer Ausweitung der Selbstbehalte kommen, müssten Indikatoren wie Einkommen, Alter, familiäre Situation, vor allem aber Indikation eingebaut werden. Auch die ethische Forderung, dass der Zugang zu medizinischen Leistungen im Krankheitsfall unbedingt gewährleistet sein muss, dürfte keinesfalls unter den Tisch fallen.
Von Hellmut Butterweck (Freier Journalist und Schriftsteller in Wien)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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