Arbeit&Wirtschaft: Kollege Tumpel, heuer ist ein Super-Wahljahr. Warum ist die AK-Wahl 2004 trotzdem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so wichtig?
Herbert Tumpel: Die AK-Wahl ist heuer die wichtigste Wahl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht um viel bei dieser Wahl. Es geht um eine starke Vertretung für die Anliegen und Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber der Wirtschaft und gegenüber der Regierung. In einer Zeit, wo die Regierung Politik für Großunternehmer, Selbständige und Bauern macht, ist es wichtig, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine starke Stimme haben. Dafür sind wir da. Die Regierung belastet seit mehr als vier Jahren einseitig die Arbeitnehmer. Wir werden das weiterhin klar und deutlich aufzeigen. Und die AK wird, gemeinsam mit den Gewerkschaften, die Regierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen: Für mehr und sichere Arbeitsplätze, für die Ausbildung der Jungen, für die Weiterbildung, dafür, dass Beruf und Familie vereinbar sind, für eine gut vorbereitete EU-Erweiterung. Mehr Arbeit in Österreich ist machbar.
Was ist zu tun? Die Regierung sagt ja, ihr sind die Hände gebunden, wenn die internationale Konjunktur nicht anspringt.
Tumpel: Das ist nur eine Ausrede! Natürlich sind wir in Österreich nicht unberührt von der weltweiten wirtschaftlichen Lage. Aber die Regierung kann selbst für mehr Arbeit in Österreich sorgen – wenn sie will. 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze sind sehr rasch möglich, wenn die Regierung die kleinen und mittleren Einkommen steuerlich entlastet und mehr Geld in den Ausbau von Straße, Schiene und Telekommunikation investiert. Wir brauchen diese 30.000 Arbeitsplätze ganz dringend – weil heuer wird ein schlimmes Jahr auf dem Arbeitsmarkt. Und diese Entwicklung zeichnet sich schon lange ab. Seit mehr als drei Jahren steigt die Zahl der Menschen, die dringend Arbeit suchen – Monat für Monat. Die Arbeitslosigkeit ist das größte Problem, das Österreich derzeit hat. Daher auch meine zentrale Forderung an die Regierung: Schafft endlich Arbeit!
Aber angeblich, sagt zumindest die Regierung, haben wir in Österreich ja trotz steigender Arbeitslosigkeit Rekordbeschäftigung und liegen auch international gut.
Tumpel: Beides stimmt nicht. Von Rekordbeschäftigung kann gar keine Rede sein, wir haben keine Rekordbeschäftigung in Österreich – das bestätigt auch das Wirtschaftsforschungsinstitut. Und international liegt Österreich bei der Beschäftigung weit weg von der Spitze.
Aber mir geht es auch nicht um irgendwelche internationalen Schönheitswettbewerbe, mir geht es darum, dass wir in Österreich was gegen die Arbeitslosigkeit tun. Und da passiert viel zu wenig. Der offizielle angebliche Beschäftigungszuwachs geht zu 90 Prozent auf die neuen Kindergeldregeln zurück – mehr Frauen und Männer können länger das Kindergeld beziehen. Und diese Personen werden in der Statistik als Beschäftigte gezählt, wenn sie zum Kindergeld was verdienen, werden sie sogar doppelt gezählt. Das hat mit einer Rekordbeschäftigung aber nichts zu tun. Seit dem Jahr 2000 sind in Österreich 61.000 Vollzeit-Arbeitsplätze verlorengegangen. Teilzeitjobs ersetzen immer öfter Vollzeitarbeitsplätze. Das zeigt ganz deutlich: Wir brauchen mehr Arbeitsplätze, mehr Beschäftigung.
Zu mehr Beschäftigung soll, sagt die Regierung, ja die Steuerreform führen.
Tumpel: Nicht einmal in der Theorie. Das ist eine Steuerreform für große Unternehmen und Bauern, aber ganz sicher nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Steuerreform geht in die falsche Richtung. Sie kommt zu spät, sie entlastet die kleinen und mittleren Einkommen nicht und sie bringt praktisch nichts für mehr Beschäftigung. Für Großunternehmen wird die Steuer gesenkt, obwohl kaum wo in Europa Unternehmer tatsächlich so wenig Steuern zahlen wie in Österreich. Ein Durchschnittsverdiener bekommt 2005 weniger als 20 Euro Entlastung heraus. Für mehr als zwei Millionen Arbeitnehmer und Pensionisten gibts überhaupt keine Steuerentlastung, sondern nur Belastungen – wie die höhere Steuer auf Heizöl, Gas oder Kohle oder die höheren Krankenversicherungsbeiträge. Für über 800.000 Kinder in Familien, wo beide Elternteile arbeiten gehen müssen, damit das Geld ausreicht, bringt diese Reform überhaupt nichts. Auf der anderen Seite bekommt ein Generaldirektor, der allein mehr verdient als ein Arbeiterehepaar zusammen, den höheren Alleinverdienerabsetzbetrag. Die Bauern bekommen zig Millionen Euro für den billigeren Diesel. Hunderttausende Pendler werden mit einer Mini-Entlastung abgespeist. Das sind die Fakten. Das soll eine faire Steuerreform sein? Das ist keine Steuerreform, die diesen Namen auch verdient. Ich will eine Steuerreform, die die kleinen und mittleren Einkommen wirklich entlastet. Das ist fair und gerecht nach all den Belastungen der vergangenen Jahre. Und das kurbelt die Wirtschaft an und schafft Arbeitsplätze! Der Vergleich ist eindeutig: Die Steuerreform der Regierung bringt nur 0,4 Prozent zusätzliches Wachstum und maximal 5000 Arbeitsplätze. Zwei Milliarden Entlastung für die kleinen und mittleren Einkommen, so wie sie AK und Gewerkschaften fordern, bringen, zusammen mit zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur, 1,5 Prozent zusätzliches Wachstum und 30.000 Arbeitsplätze. Das ist eine Steuerreform, wie sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen und wie ich sie von der Regierung verlange.
Besonders die Jungen haben es derzeit auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht.
Tumpel: Ja, und das macht mich sehr betroffen. Wir haben 30 Jahre lang praktisch keine Jugendarbeitslosigkeit gehabt in Österreich. Und jetzt so etwas! Zehntausende Junge haben keine Arbeit und keine Chance auf eine gscheite Ausbildung, mit der sie eine gute Zukunft auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Wirtschaft bietet immer weniger Lehrstellen an – wenn ein junges Mädchen in Wien EDV-Technikerin lernen möchte, bekommt sie zu hören: geh halt nach Tirol – dort brauchens eh Lehrlinge im Fremdenverkehr. Was muss sich ein Jugendlicher denken, wenn er was Gscheites lernen will und dann bekommt er so was zu hören. Oder die Mädchen und Burschen bekommen nach langem Suchen zwar irgendeine Lehrstelle, aber nicht die, die sie wollten und nicht die, die ihre Eltern für sie wollten.
So kann es nicht weitergehen. Die Wirtschaft kann nicht immer weniger ausbilden und dann laut über einen angeblichen Facharbeitermangel jammern. Und auch da ist die Regierung gefordert. Für die Mädchen und Burschen, die keine Lehrstelle im Betrieb finden brauchen, wir genug und sichere Plätze im Auffangnetz für die Jugendausbildung. Die Jungen und ihre Eltern brauchen die Sicherheit, dass sie eine gute Ausbildung bekommen. Die Regierung muss auch dafür sorgen, dass es genug Plätze an den berufsbildenden Schulen gibt. Wenn sich an Schulen mit einem EDV-Schwerpunkt viermal, fünfmal, sechsmal so viele Junge anmelden, wie es in der ganzen Schule überhaupt Plätze gibt, kann man nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Ich fordere ein Zukunftspaket für die Jungen, damit sie die bestmögliche Ausbildung bekommen können. Wer bei der Bildung kürzt, nimmt den Jungen wichtige Chancen für die Zukunft.
Die AK hat das Recht auf Teilzeit, wie es die Regierung will, heftig kritisiert.
Tumpel: Ja, weil dieses so genannte Recht drei von vier Frauen ausschließt. Weil es nur in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten gelten soll – und das auch erst nach drei Jahren im Betrieb. Ich will ein Elternpaket mit ausreichend Kinderbetreuungsplätzen in guter Qualität, einem wirklichen Recht auf Teilzeit für die Eltern kleiner Kinder und familienfreundlichen Arbeitsplätzen – mit Betriebskindergärten, einer Mitgestaltungsmöglichkeit bei der Arbeitszeit für Eltern und Unterstützung für Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger, etwa bei Bildungsmaßnahmen.
Bildung, Weiterbildung wird ja für alle Arbeitnehmer immer wichtiger.
Tumpel: Natürlich – und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen das ganz genau. Vier von fünf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sagen: Weiterbildung ist für mich wichtig. Und es werden immer mehr. Aber nur ein Drittel der Arbeitnehmer kommt im Betrieb bei der Weiterbildung zum Zug. Die so genannten Älteren, Frauen oder weniger Qualifizierte haben überhaupt fast keine Chance auf eine Weiterbildung im Unternehmen. Dabei wäre das ganz wichtig: Eine einzige Stunde EDV-Kurs kann schon so viel kosten, wie eine Arbeiterin an einem ganzen Tag verdient. Für viele ist das unerschwinglich. Und in dieser Situation hat die Regierung das Budget für die Weiterbildung um ein Viertel gekürzt – das ist unverantwortlich. Gerade jetzt, wo die Lage auf dem Arbeitsmarkt so schwierig ist, brauchen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Chance zur Weiterbildung. Die Unternehmen und die Regierung müssen was tun. Weil eines ist klar: Gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Nulltarif wirds nicht geben.
Es scheint, als wollte die Wirtschaft diese angeblich fehlenden Fachkräfte lieber aus dem Ausland importieren.
Tumpel: Den Eindruck hab ich auch. Vielen kann es mit der EU-Erweiterung und der Öffnung des Arbeitsmarktes gar nicht schnell genug gehen. Da wird behauptet, es fehlen Fachkräfte und daher müssen die Grenzen gleich ganz aufgemacht werden. Wir haben nicht zu wenig Fachkräfte, wir haben zu viele Arbeit Suchende. Wenn Fachkräfte fehlen sollten, dann höchstens die, die salopp gesagt, einige in der Wirtschaft so gerne hätten: 35-jährige gut ausgebildete Männer, die bereit sind, für den halben Lohn doppelt so lange zu arbeiten.
Im Klartext: Mit der Osterweiterung wird der Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen. Ich höre immer – es wird ja niemand kommen, nicht einmal die Ostslowaken wandern in die Westslowakei. Wir haben uns das ganz genau angeschaut. Wenn ein Ostslowake nach Bratislava wandert, kann er sein Gehalt „ver-1,6-fachen“. Wenn er die paar Kilometer nach Wien weiterfährt, kann er sein Gehalt versechsfachen. Natürlich besteht für viele der Anreiz, in Österreich zu arbeiten. Wir brauchen daher Schutz für den Arbeitsmarkt: Wir brauchen dringend Maßnahmen, die den organisierten illegalen Schwarzunternehmern das Handwerk legen. Das sind keine einzelnen schwarzen Schafe. Das ist organisierter, systematischer Sozialbetrug. Da werden Kolleginnen und Kollegen um ihren Lohn betrogen, für den sie hart gearbeitet haben. Da werden die Krankenkassen um Millionen betrogen – alleine die bei der Gebietskrankenkasse Wien ausständigen Beitragszahlungen der Bauwirtschaft machen über 164 Millionen Euro aus. Die Regierung macht viel zu wenig. Bis 2006 werden 70.000 Arbeitnehmer aus dem Ausland in Österreich arbeiten. Das alles vor dem Hintergrund einer Arbeitsmarktlage, wie sie dramatischer kaum sein kann.
Wir haben jetzt schon zu viele Praktikanten aus Osteuropa, die als billige Regalschlichter und Künettengräber eingesetzt werden und in Wahrheit nichts lernen und ungarische Grenzgänger, die nicht, wie vorgesehen, nur im Burgenland arbeiten, sondern für österreichische Frächter als billige Lkw-Lenker quer durch ganz Europa fahren. Mit noch mehr Praktikanten, Grenzgängern, Saisoniers und weiteren Beschäftigungsabkommen unterläuft die Regierung die Übergangsfrist zum Schutz des österreichischen Arbeitsmarktes völlig. Es darf aber nicht sein, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Verlierer der Erweiterung werden. Und die Regierung macht auch sonst nichts, um Österreich auf die Erweiterung vorzubereiten. Wir brauchen dringend einen Ausbau von Straße und Schiene, damit Österreich bei der Erweiterung nicht im Verkehr erstickt. Außer einem Generalverkehrsplan, der das Papier nicht wert ist, ist nichts passiert. Wir brauchen dringend mehr Geld für die Aus- und Weiterbildung. Es reicht nicht, immer nur von den Chancen der Erweiterung zu reden. Die Regierung muss auch den Risiken vorbeugen.
Die Erweiterung dient ja jetzt auch als Argument für die Senkung der Unternehmenssteuern.
Tumpel: Ja, und das ist völlig absurd. Zuerst haben die Wirtschaftsvertreter gejubelt, dass mit der Erweiterung angeblich alles wunderbar wird. Jetzt drohen sie damit, in die Erweiterungsländer abzuwandern, wenn für sie in Österreich nicht die Unternehmenssteuern gesenkt werden. Dabei ist die effektive Körperschaftssteuer, die die Unternehmen unterm Strich wirklich zahlen, kaum wo niedriger als in Österreich.
Meine Hauptkritik ist, dass die Körperschaftssteuer einfach so mit der Gießkanne gesenkt wird. Da wird nicht geschaut, ob die Unternehmen investieren, ob sie was tun für die Ausbildung oder die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, ob sie den Jungen eine Chance geben. Das ist einfach ein warmer Geldregen für die Unternehmen. Die österreichische Regierung muss sich darüber hinaus in Brüssel auch für einheitliche Unternehmenssteuern einsetzen. Es kann nicht sein, dass in Brüssel alles und jedes geregelt wird, aber bei den Unternehmenssteuern jeder machen kann, was er will. Österreich zahlt als Nettozahler viele hundert Millionen, damit Länder wie die Slowakei den Anschluss an die EU schaffen können. Und was machen die Slowaken? Sie nutzen das Geld, um mit einem Steuerwettbewerb nach unten österreichische Unternehmen anzulocken. Das muss schleunigst gestoppt werden. Es kann ja nicht sein, dass am Ende nur mehr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den vollen Steuersatz zahlen!
Kollege Tumpel, du bist seit 1997 Präsident der Arbeiterkammer. Was sind die wichtigsten Veränderungen in dieser Zeit und was sind die Herausforderungen für die Zukunft?
Tumpel: Die wichtigste Veränderung ist, dass die Arbeitnehmer mit einer Bundesregierung konfrontiert sind, die sie einseitig belastet. Aber wir in der AK suchen uns keine Regierung aus. Wir vertreten ganz konsequent die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Unsoziale Unfallrentensteuern, eine so genannte Pensionsreform, die schon im ersten Jahr gerade den so genannten Hacklern zehn Prozent Pension wegnimmt, eine Alibi-Steuerreform, eine völlig verfehlte Arbeitsmarktpolitik – wir zeigen das klar und konsequent auf. Wir sind aber auch ein moderner Dienstleister, auf den sich unsere Mitglieder verlassen können. Wir von der AK treten in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften dafür ein, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur Rechte haben, sondern auch Recht bekommen. Betriebsräte, Gewerkschafter, wir in der AK – wir wissen, welche Probleme die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben und die Arbeitnehmer wissen: Wir sind für sie da! Wer die AK als starke Interessenvertretung will, muss sie wählen! Die AK Wahl 2004 – das ist unsere Wahl!
ZUR PERSON HERBERT TUMPEL
Beharrlichkeit für Arbeitnehmeranliegen
Herbert Tumpel, geboren 1948, ist seit 1997 Präsident der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien und Präsident der Bundesarbeitskammer.
Tumpel ist ausgebildeter Textilingenieur und studierter Nationalökonom und begann 1973 als Mitarbeiter im volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB, dessen Leitung er 1983 übernahm. 1987 wurde Herbert Tumpel Leitender Sekretär des ÖGB, zuständig für Grundsatzfragen und Finanzen.
Der AK-Präsident – Eigendefinition: beharrlich, wenn es um die Anliegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht – entspannt beim Laufen, Kochen und Lesen.
Von Christian Spitaler
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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