Nach dem 4- bis 5-jährigen Rhythmus der AK-Wahlen wird in dem nun vorgelegten Bericht der Zeitraum nach 1999 behandelt, der auch identisch ist mit der Periode der seit Anfang 2000 gebildeten Bundesregierung durch eine Koalition von ÖVP und FPÖ. Der letzte Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trägt die Jahreszahl 1999. Im Folgenden werden wichtige Ergebnisse des neuen Berichtes präsentiert.
Stagnationsphase der Wirtschaft nach der Jahrhundertwende
Entscheidend für die Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Einkommensverhältnisse der Arbeitnehmer ist das Wirtschaftswachstum, das heißt die Entwicklung der gesamten Produktion von Gütern und Dienstleistungen (»BIP« = Bruttoinlandsprodukt). Vom guten Anfangsjahr 2000 abgesehen, ist das neue Jahrhundert bisher enttäuschend verlaufen. Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2003 erreichte der Zuwachs des realen BIP nur 1,6 Prozent, im Unterschied zu durchschnittlich 2,6 Prozent in den vier Jahren davor, oder 2,3 Prozent im Durchschnitt der neunziger Jahre 1990 bis 1999. War das Wirtschaftswachstum des Jahres 2000 mit 3,4 Prozent noch durchaus respektabel gewesen, so sind die letzten drei Jahre tatsächlich die längste Phase einer wirtschaftlichen Stagnation in der gesamten Nachkriegsgeschichte gewesen, und das nicht nur in Österreich. Besonders stark war Deutschland von der europäischen Wachstumsschwäche betroffen, aber auch in Österreich blieb das Wachstum unter dem EU(15)-Durchschnitt (siehe Grafik 1: »BIP-Wachstum Österreich und EU 1996 bis 2003«).
»Treffsicherheit«
Dass Österreich beim Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren nicht einmal mit dem nur sehr mäßigen EU-Durchschnitt Schritt halten konnte, ist der einseitig orientierten Wirtschaftspolitik der Regierung zuzuschreiben, die der raschen Erreichung des Ziels »Null-Defizit« den Vorrang vor allen anderen Zielsetzungen, also auch vor Wachstum und Beschäftigung eingeräumt hat – ohne diese Ziel letztlich zu erreichen. Im Zuge des forcierten Defizitabbaus in den Jahren 2001 bis 2002 wurden die Steuern auf breiter Front (nicht nur die Lohnsteuer, sondern auch verschiedene Verbrauchsteuern und Gebühren) erhöht und Sozialleistungen gekürzt (so genanntes »Treffsicherheits-Paket«, Pensionsreformen). Der Einkommens- und damit Nachfrageausfall führte zu fühlbaren Einbußen bei Wachstum und Beschäftigung. Die in einer Phase sinkender Beschäftigung dringend gebotene Intensivierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterblieb, die Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation wurde passiv hingenommen.
Geringe reale Lohn- und Gehaltszuwächse
Kumuliert betrug der Einkommenszuwachs vor Steuern und Sozialabgaben pro Arbeitnehmer in den vier Jahren 2000 bis 2003 nominell 8,8 Prozent. Nach Abzug der Inflation, von der ein gar nicht so geringer Teil auf Steuer- und Gebührenerhöhungen zurückzuführen ist, verbleibt ein Realeinkommensanstieg von nur 2,1 Prozent, der sich durch steigende steuerliche Abzüge noch weiter auf 1,9 Prozent reduziert (siehe Tabelle 1: »Lohnanstieg«).
Die in den Kollektivvertragsabschlüssen vereinbarten Lohnerhöhungen ergaben gemessen mit dem in seiner Gewichtung allerdings veralteten Index der Kollektivvertragslöhne für die Jahre 2000 bis 2003 eine etwas stärkere Zunahme (9,7 Prozent). Das deutet darauf hin, dass die Marktvorgänge auf dem Arbeitsmarkt (Arbeitsplatzwechsel, Änderung der Beschäftigtenanteile der einzelnen Branchen) die Einkommensentwicklung negativ beeinflusst haben. Nach sozialer Stellung unterschieden zeigt sich, dass die Arbeiterlöhne am meisten gestiegen sind, etwas weniger, aber immer noch über der Inflationsrate die Angestelltengehälter. Die Zunahme der Beamteneinkommen blieb hinter der Inflationsrate zurück, erst 2003 gab es hier ein gewisses Aufholen (siehe Grafik 2: »Tariflöhne- und Verbraucherpreisindex 1998 bis 2003«).
Der vom Markt ausgehende Druck auf die Entwicklung der Löhne lässt sich an den Überzahlungen im Bereich der Industrie ablesen, für den statistische Daten vorliegen.
Die Effektivlöhne der Industriearbeiter lagen 1998 noch um 20,9 Prozent über den Kollektivvertragslöhnen, 2002 betrug dieser Abstand nur noch 17,4 Prozent. Bei den Gehältern der Industrieangestellten war diese Differenz mit zuletzt 22 Prozent etwas größer und nur leicht rückläufig.
Höchste Einkommen nach Wirtschaftsklassen
Nach Wirtschaftsklassen betrachtet, erzielten im Jahr 2002 männliche Beschäftigte die höchsten Einkommen in der Bank- und Versicherungsbranche mit einem mittleren Einkommen (»Median«) von 2938 Euro monatlich (gerechnet 14mal im Jahr), gefolgt von der Energie- und Wasserversorgung (2920 Euro) und mit größerem Abstand von den Wirtschaftsklassen Papier, Druck und Verlag (2418 Euro) sowie Elektrotechnik (2416 Euro). Für die weiblichen Beschäftigten ist ebenfalls das Bank- und Versicherungswesen die am besten bezahlende Branche (1870 Euro), danach die Energie- und Wasserversorgung (1779 Euro) und der öffentliche Dienst (eine exakte Zahl ist für 2002 nicht verfügbar) sowie die chemische Industrie (1737 Euro).
Auffallend ist ein deutliches Einkommensgefälle von der Sachgütererzeugung zu den Dienstleistungsbranchen, besonders ausgeprägt bei den Männern: der weitaus überwiegende Teil der männlichen Beschäftigten in der Sachgütererzeugung arbeitet in Branchen mit überdurchschnittlicher Entlohnung, während in den Dienstleistungsbranchen die Bezahlung nur im Bank- und Versicherungswesen über dem Durchschnitt liegt, sonst überall mehr oder weniger deutlich darunter.
Bei den weiblichen Beschäftigten sind diese sektoralen Differenzen weniger stark ausgeprägt. Insgesamt wirkt sich die langfristig beobachtbare Verschiebung der Wirtschaftsstruktur daher insofern zu Ungunsten der Arbeitnehmer aus, als die Beschäftigung in der Sachgütererzeugung zurückgeht und die Beschäftigungszunahme vor allem in Branchen mit unterdurchschnittlicher Entlohnung erfolgt. Um so wichtiger ist daher die solidarische Lohnpolitik der Gewerkschaften, die das Ziel verfolgt, mit den jährlichen Kollektivvertragsabschlüssen über die Kaufkraftsicherung hinaus für alle Beschäftigten einen möglichst gleichmäßigen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszunahme zu erreichen.
Ungleichheit der Einkommensverteilung nimmt zu
Neben dem wirtschaftlichen Strukturwandel wirkt die zunehmende Arbeitslosigkeit auf eine Vergrößerung der Einkommensunterschiede hin, da Personen mit geringerer Qualifikation und Entlohnung deutlich überproportional von der Arbeitslosigkeit betroffen sind und sich dort das Verhältnis von Angebot und Nachfrage am deutlichsten zu Ungunsten der Arbeitnehmer verschiebt. Es ist bereits im letzten Bericht (1999) eine leichte Zunahme der Ungleichheit der Verteilung der Löhne und Gehälter festgestellt worden, die sich auch über den Zeitraum von 1998 bis 2002 fortgesetzt hat.
Ein grobes Maß der Einkommensunterschiede ist der so genannte »Quartilsabstand«. Dazu wird die Gesamtheit der ihrer Größe nach gereihten Einkommensbezieher in vier gleich große Gruppen geteilt und der Unterschied zwischen dem obersten und dem untersten Viertel berechnet. Für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer exklusive Beamte betrug das untere Quartil in Prozent des oberen Quartils 1998 52,4 Prozent, 2002 nur noch 51,6 Prozent. Diese Zunahme der Ungleichheit ist zwar nicht dramatisch, bei Anhalten dieser Tendenz driften aber die Einkommen längerfristig weiter auseinander. 1995 lag der entsprechende Wert noch bei 53,5 Prozent. Dass die Tendenz für Männer weniger stark ausgeprägt ist als für die Frauen, ist nicht zuletzt auch auf die starke Zunahme der Teilzeitarbeit bei den Frauen in den letzten Jahren zurückzuführen.
Vergleich mit USA und Großbritannien
Im Vergleich mit den USA und mit Großbritannien, wo in den letzten zwanzig Jahren die Einkommensungleichheit unter den unselbständig Beschäftigten massiv zugenommen hat, ist die Entwicklung in Österreich immer noch sehr moderat, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern (z. B. Deutschland, Holland, skandinavische Länder).
Hier zeigt sich, welchen Unterschied es ausmacht, wenn die Gewerkschaften über die Kollektivverträge die Lohnentwicklung maßgeblich mitgestalten können, und welche Einkommensabsicherungen die sozialen Sicherungssysteme leisten, insbesondere die Arbeitslosenversicherung.
Einkommensunterschiede Männer/Frauen
Ohne Berücksichtigung der Veränderungen der Arbeitszeiten zeigt sich etwa seit 1995 eine gewisse Zunahme des Einkommensabstandes zwischen Männern und Frauen, während sich bis dahin der Abstand verringert hatte. 2002 lag das mittlere Einkommen der Arbeiterinnen bei 61,5 Prozent des Lohnes der männlichen Arbeiter. Bei den Angestellten lag diese Relation bei 59,5 Prozent, lediglich bei den Beamten kamen die Frauen mit fast 95 Prozent knapp an die Einkommen der Männer heran.
Die Daten des für 2001 vorliegenden »Einkommensberichts« von Statistik Austria erlauben einen Vergleich der Einkommen von ganzjährig Beschäftigten mit mehr als 35 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit nach den Funktionen im Beruf. Sie sind also eine Annäherung an den »Vergleich von Frauen- und Männereinkommen bei gleichen Arbeitsbedingungen« (siehe Tabelle 2).
Während die Einkommensnachteile der Frauen in den unbereinigten Daten bei 40 Prozent der Männereinkommen bewegen, betragen sie in dieser Betrachtung zwischen 13 Prozent und 32 Prozent (die FacharbeiterInnen sind in der Erhebung nur sehr schwach vertreten). Dies ist um so dramatischer, als dabei bereits ein Großteil der »Erklärungen« wie Arbeitszeitunterschiede und unterschiedliche Arbeitsanforderungen ausgeschaltet wurden. Es ist also von einem Einkommensnachteil von 20 Prozent auszugehen, der nur auf das Geschlecht zurückzuführen ist. Ein Einkommensnachteil von 10 Prozent kann als absolute Untergrenze gelten.
Betrachtet man die arithmetischen Mittelwerte der Einkommen und berechnet man die hypothetischen Durchschnittseinkommen der Frauen, die sich ergäben, wenn sie sich auf die einzelnen Funktionen so verteilen würden wie die Männer, so liegt dieses hypothetische Durchschnittseinkommen um 27 Prozent unter jenem der Männer.
Zunahme der Teilzeitarbeit von Frauen
Im Bereich der Arbeitszeit gibt es in den letzten Jahren ziemlich spektakuläre Veränderungen bei der Teilzeitarbeit (Arbeitszeit mehr als 12 und weniger als 36 Stunden wöchentlich) und bei der Lage der Arbeitszeit. Im Jahr 2002 waren bereits fast 470.000 Personen teilzeitbeschäftigt, davon waren 420.000 Frauen. In Prozent aller Beschäftigten (»Teilzeitquote«) ergab sich eine Zunahme von 10,6 Prozent 1995 auf 15,1 Prozent 2002. Dass die Teilzeitarbeit überwiegend weiblich ist, zeigt sich an der hohen Teilzeitquote der Frauen von 31,8 Prozent 2002 (1995: 24 Prozent).
Stagnierende Beschäftigung bedeutet steigende Arbeitslosigkeit
Seit der zunehmenden Differenzierung der Arbeitszeitformen wird auch die Lage der Arbeitszeit genauer erhoben. Regelmäßig am Samstag arbeiten etwa 20 Prozent der Beschäftigten, am Sonntag etwa 10 Prozent (Angaben für 2002). Zugenommen hat seit 1997 die Arbeit am Abend zwischen 20 und 22 Uhr, nämlich von 304.000 auf 430.000 Beschäftigte.
Bei der schwachen Wirtschaftsentwicklung, die Österreich in den letzten drei Jahren hatte, ist die Stagnation der Beschäftigung eine praktisch unausweichliche Konsequenz. Die offiziellen Zahlen über eine steigende so genannte »Gesamtbeschäftigung« geben hier insofern ein falsches Bild, als darin die KindergeldbezieherInnen enthalten sind, deren Zahl nach der Ausweitung der Ansprüche auf diese Leistung stark gestiegen ist. Maßgeblich ist die »Produktivbeschäftigung«, das sind alle tatsächlich in Arbeit stehenden Personen, und deren Zahl hat seit 2000 um 6200 zugenommen (+0,2 Prozent), also stagniert. Im selben Zeitraum hat das Arbeitskräfteangebot nicht unerheblich zugenommen, und zwar vor allem aus zwei Gründen:
Insgesamt ergab sich daher bei annähernd gleich bleibender Beschäftigung eine massive Zunahme der Arbeitslosigkeit. Im Jahresdurchschnitt wurde 2003 mit 240.000 der höchste Wert nach 1945 registriert, das sind gegenüber dem Jahr 2000 um 45.800 oder 23,5 Prozent mehr. Durch die stark erhöhte Zahl der nicht als Arbeitslose erfassten Schulungsteilnehmer unterschätzen diese Zahlen sogar das Ausmaß der Verschlechterung. Die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen ist dabei deutlich höher: 2002 waren dies 751.600 (Daten 2003 noch nicht verfügbar), nach 688.900 im Jahr 2000.
Die Arbeitslosenrate gemessen an der Zahl der unselbständig Beschäftigten stieg von 5,8 Prozent im Jahr 2000 auf 7 Prozent 2003. Dass die Arbeitslosenrate nach Eurostat-Definition mit 4,5 Prozent (2003) im Vergleich zu den anderen EU-Ländern und zum EU-Durchschnitt von 8,1 Prozent immer noch niedrig ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Arbeitsmarktlage in Österreich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat (siehe Grafik 4: »Arbeitslosenraten 2000 bis 2003«).
Nach Wirtschaftssektoren und Branchen betrachtet setzte sich gerade in der Phase der Stagnation die bereits erwähnte Umschichtung von der Sachgütererzeugung zu den Dienstleistungen (Tertiärsektor) beschleunigt fort. 2003 waren nur noch 28,2 Prozent aller Arbeitnehmer in der Sachgütererzeugung beschäftigt, der seit 2000 46.500 Beschäftigte verloren hat. Fast 71 Prozent arbeiten in dem in sich sehr heterogenen Dienstleistungsbereich, um 52.000 mehr als 2000. Die fortgesetzte Expansion des Tertiärsektors ermöglicht eine weitere Zunahme der Frauenbeschäftigung um 33.500 von 2000 bis 2003, während die Zahl der männlichen Arbeitnehmer um 27.300 zurückging.
Innerhalb des Tertiärsektors war die Beschäftigung in den beim Einkommen an der Spitze liegenden Branchen Bank- und Versicherungswesen und öffentliche Verwaltung rückläufig. Die Beschäftigung im Handel stagnierte, Beschäftigungszunahmen gab es bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe.
Unzureichende Lohnsteuersenkung nach Belastungswelle
Die einseitige Fixierung der gesamten Wirtschaftspolitik der ÖVP-FPÖ-Regierung auf das Ziel Nulldefizit hat zu einer stark prozyklischen Budgetpolitik geführt. Vor allem durch Steuererhöhungen wurde das Budgetdefizit des Gesamtstaats parallel zu der 2001 voll einsetzenden Konjunkturabschwächung mit mehr oder weniger Gewalt auf Null gedrückt. Die finanziellen Belastungen der Arbeitnehmer erreichten in den Jahren 2001 und 2002 jeweils etwa zwei Milliarden Euro, wobei Entlastungen (z. B. Kindergeld) berücksichtigt und die Wirkung der Pensionsreform nicht eingerechnet ist. Auch angesichts einer sich ständig weiter verschlechternden Konjunktur- und Arbeitsmarktsituation konnte sich die Regierung nicht zu nennenswerten Konjunkturimpulsen aufraffen. Die 2004 wirksam werdende Lohn- und Einkommensteuersenkung wird durch die »Gegenfinanzierungen« (neuerliche Energiesteuererhöhung, Anhebung von Sozialversicherungsbeiträgen) überkompensiert. Dem konjunkturpolitisch dringend gebotenen Vorziehen der im Regierungsprogramm für 2005 angesagten »großen« Steuerreform hat sich die Regierung endgültig widersetzt.
Die nun bekannt gewordenen Maßnahmen dieser Steuerreform 2005 haben noch vorhandene positive Erwartungen auf Arbeitnehmerseite schwer enttäuscht und die Befürchtungen hinsichtlich einer interessenpolitisch extrem einseitigen Orientierung der Regierung bestätigt, ja übertroffen. Unter dem Vorwand einer angeblichen gefährlichen Konkurrenzierung des Wirtschaftsstandortes Österreich durch die Niedrigsteuerpolitik der Slowakei wird nun die Körperschaftssteuer um mehr als ein Viertel, nämlich von 34 auf 25 Prozent gesenkt. Damit bleiben von dem im Budgetprogramm mit 2,5 Milliarden Euro festgesetzten Spielraum für eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer nur noch 1,1 Milliarden Euro übrig. Das heißt, dass die vorangegangenen Belastungen der Unternehmungen zu weit mehr als 100 Prozent wieder rückgängig gemacht werden, bei den Arbeitnehmern aber kaum mehr als die Hälfte. Ein großer Teil der Arbeitnehmer wird gar nicht oder nicht nennenswert von der angeblich »größten Steuerreform aller Zeiten« profitieren.
Wenn eine bloß verteilungspolitische Bewertung der Steuerreform zweifellos zu einseitig wäre: auch unter konjunktur- und wachstumspolitischen Gesichtspunkten erscheint diese Steuerreform verfehlt. Sie bringt nicht die kurzfristig so notwendige Stärkung der Nachfrage und sie bietet keinen Anreiz für mehr Investitionen oder mehr zukunftsorientierte Aufwendungen der Unternehmungen für Forschung und Entwicklung oder Aus- und Weiterbildung.
Verschlechterungen bei den sozialen Sicherungseinrichtungen
Die beschäftigungspolitische Strategie der Regierung ist seit 2000 auf der einen Seite durch eine rezessionsverschärfende Fiskalpolitik und auf dem Arbeitsmarkt durch eine tendenzielle Verschlechterung von sozialen Sicherungseinrichtungen gekennzeichnet, durch die der Druck auf Arbeitskräfte, die ihren Arbeitsplatz verlieren, verstärkt wird, zu ungünstigeren Bedingungen eine neue Arbeit anzunehmen. Die Ersatzquote des Arbeitslosengeldes wurde leicht abgesenkt, eine Valorisierung während des Bezuges findet nicht mehr statt. Zwischen 1999 und 2002 ist das durchschnittliche Arbeitslosengeld (Taggeld) real um 1,9 Prozent gesunken, die Notstandshilfe sogar um 4,6 Prozent.
Während die Aufwendungen für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe infolge der höheren Arbeitslosenzahlen zugenommen haben, ist im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik die so dringend geforderte Intensivierung der Maßnahmen unterblieben. Die Zahl der geförderten Arbeitslosen hat mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht Schritt gehalten. Maßnahmen zur beruflichen Orientierung, zur Unterstützung der Arbeitssuche und zur Vermittlung reiner Anpassungsqualifikationen überwiegen, echte berufliche Umschulung findet immer weniger statt. Die ohnehin bescheidene Steigerung des Budgets der aktiven Arbeitsmarktpolitik 2002/03 war nur vorübergehend, 2004 fällt ihr Finanzierungsvolumen wieder zurück auf den Stand von 1999/2000, als die Arbeitslosigkeit noch deutlich geringer war.
Bei der schlechten Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre hatte die Erhöhung des Pensionsalters eine Zunahme der Arbeitslosigkeit zur Folge und dadurch eine Verschiebung der Kosten vom Pensionssystem in das System der Arbeitslosenversicherung. Zwar ist erstmals seit vielen Jahren die Zahl der Frühpensionen gesunken. Zugleich ist aber auch die Zahl der Arbeitslosengeld- und NotstandshilfebezieherInnen sowie der BezieherInnen von Pensionsvorschüssen deutlich angestiegen. Dem Rückgang von 11.000 Frühpensionen seit 1999 stand bis 2002 ein Zuwachs von 17.000 Arbeitslosenleistungen (inklusive Pensionsvorschüsse) gegenüber. Nicht berücksichtigt ist hier der Zuwachs von Leistungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Insgesamt bedeutet diese Entwicklung, dass zuletzt mehr unselbständig Erwerbstätige auf Sozialleistungen angewiesen waren und durch die Verlagerung vom Pensionssystem hin zur Arbeitslosenversorgung das Versorgungsniveau von tausenden Menschen gesunken ist.
Einen beachtlichen Zuwachs an LeistungsbezieherInnen brachte die Verlängerung des Karenzgeldes bzw. die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes mit sich. Bis Ende 2003 hat sich deren Zahl (netto) um annähernd 60.000 erhöht. Dies brachte zwar eine Entlastung am Arbeitsmarkt mit sich, hat aber die Chancen der betroffenen Frauen auf einen baldigen Wiedereinstieg verschlechtert, wenn auch nicht ganz so dramatisch, wie ursprünglich befürchtet worden war.
Ein eindrucksvolles Beispiel für langfristig positive Effekte der Sozialpolitik ist der Rückgang der Zahl der Arbeitsunfälle von 121.100 im Jahr 1999 auf 107.500 im Jahr 2002. Damit setzte sich hier insgesamt und besonders erfreulicherweise auch bei der Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle der seit Mitte der neunziger Jahre beobachtbare Trend fort.
R E S Ü M E E
Die Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich steht nach der Wende zum 21. Jahrhundert im Zeichen der Stagnation. Die ohnehin recht bescheidene Zunahme des Durchschnittseinkommens wurde durch die Steuererhöhungen im Jahr 2001 empfindlich reduziert. Die Arbeitsmarktsituation drückte auf die Lohnentwicklung und hatte auch ein gewisses Zurückbleiben der unteren Einkommen hinter dem Durchschnittseinkommen zur Folge. Die maßgeblich von den Kollektivvertragsabschlüssen bestimmte Lohnentwicklung hat allerdings ein deutlicheres Auseinanderklaffen verhindert. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen haben leicht zugenommen – eine Entwicklung, die weitgehend auf die starke Zunahme der Teilzeit bei Frauen zurückzuführen ist.
Fühlbar verschlechtert hat sich die Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die massive Zunahme der Arbeitslosigkeit bei stagnierender Beschäftigung. Die Regierung hat bewusst darauf verzichtet, hier gegenzusteuern, sie hat durch die forcierte Budgetkonsolidierung in einer Phase des Konjunkturabschwungs und der Wachstumsschwäche die Lage sogar noch verschärft. Die aktive Arbeitsmarktpolitik wurde nicht den gestiegenen Erfordernissen entsprechend intensiviert. Die Erhöhung des Pensionsalters und die Senkung der Ersatzquote bei der Arbeitslosenversicherung hat den Angebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt verstärkt. Eine Ausweitung im Bereich der Sozialleistungen gab es nur durch die Reform beim Kindergeld.
Grob enttäuscht wurden letztendlich auch alle Hoffnungen auf Seiten der Arbeitnehmer, die von der groß angekündigten Steuerreform in der zweiten Legislaturperiode der ÖVP-FPÖ-Regierung wenigstens eine gewisse Korrektur der wirtschafts- und verteilungspolitischen Orientierung erwartet hatten. Die Steuerreform 2005 kommt nicht nur aus beschäftigungspolitischer Sicht zu spät, sondern begünstigt durch die Senkung der Körperschaftsteuer extrem einseitig die Unternehmungen und nimmt bei den Arbeitnehmern gerade einmal die Einkommensverluste durch die »kalte Progression« zurück. Aus dieser Bewertung ergibt sich die Forderung nach einer grundlegenden Neuausrichtung der Budget-, Steuer-, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, für die Arbeiterkammer und ÖGB seit Jahren eintreten. Sie werden dies auch künftig tun und ihre Alternativen in die öffentliche Diskussion einbringen.
Von Günther Chaloupek (Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at