unterstützt durch staatliche Sozialpolitik, welche prioritär die Angebotsbedingungen der Wirtschaft und deren Wettbewerbsfähigkeit stärken soll, stehen auf der Agenda.
Angespornt von ihren Verbänden nutzen große transnationale Konzerne die Massenarbeitslosigkeit und die allgegenwärtige Angst um den Arbeitsplatz: Ein normales Beschäftigungsverhältnis zu haben, soll als Privileg angesehen werden, das mit immer neuen Verzichtsleistungen verdient werden muss. Lohnsenkung durch kostenlose Arbeitszeitverlängerung, Streichen von Überstundenzulagen, von Erholungspausen, von Urlaubsgeld, von Feiertagen.
Drei Thesen
Drei in der öffentlichen Meinung nicht hinterfragte Thesen prägen den gegenwärtigen Diskurs in Deutschland:
1. Der Prozess der Globalisierung ermöglicht dem Kapital eine unbegrenzte Mobilität und setzt das »Hochlohnland« Deutschland zunehmend unter Druck.
2. Diesem Konkurrenzdruck müssen die Unternehmen durch Auslagerung bzw. Outsourcing der lohnintensiven Produktion in Billiglohnländer begegnen, eine Entwicklung, die auch vor forschungsintensiven Dienstleistungen nicht Halt macht.
3. Das führt dazu, dass die Wertschöpfung beim Exportweltmeister immer mehr auf importierten Vorprodukten aus diesen Niedriglohnländern beruht und der Standort zu einer Basarökonomie zu verkommen droht.
Die einzige Alternative zum unaufhaltsamen Abstieg sei deshalb die Senkung des Lohn- und Sozialstaatsniveaus, die Deregulierung des sklerotischen Arbeitsmarkts, kurz: überall »mehr Markt«, um so mit der Konkurrenz mithalten zu können und den Standort wieder attraktiv für Kapitalanlagen zu machen.
Unbestritten hat sich seit den Siebzigerjahren eine internationale Konstellation herausgebildet, die wesentlich durch die Wirkung globalisierter Finanzmärkte und der auf sie bezogenen Unternehmensaktivitäten strukturiert wird. Durch diese Internationalisierungsprozesse sind die Exit-Optionen von Unternehmen in der Tat enorm angewachsen.
Auch wenn nicht alle ökonomischen Akteure auf der Kapitalseite diese Option wahrnehmen können, da einige von ihnen standortgebunden sind, so können doch alle damit drohen und so als Akteure ihr Gewicht in der Politik erhöhen.
Die Gewerkschaften, deren Organisationspraxis auf dem beruhte, was man mit Max Weber als soziale Schließungen national begrenzter Teilarbeitsmärkte bezeichnen könnte, stellt diese Entwicklung vor strategische Herausforderungen. Im Grunde werden sie vor die Alternative gestellt, entweder die Organisationsgrenzen den veränderten Marktgrenzen anzupassen und durch nationale und internationale Aktion das Kapital wieder in »soziale Regulation« einzubetten oder aber auf eine protektionistische Politik der Verteidigungnationaler Teilarbeitsmärkte zurückzufallen.
Verzerrtes Bild
Doch beim näheren Hinsehen zeigt sich, dass das Kapital so »entbettet« nicht ist, wie von manchem beschworen – genauso wie das Bild von Deutschland als »krankem Mann Europas« gnadenlos verzerrt ist.
Sieht man genauer hin, ist die deutsche Wirtschaft trotz aller Klagen eindeutiger Gewinner der Globalisierung: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ist hervorragend und die Abwanderungsdiskussion in Deutschland mehr Mythos als Tatsache. Wie erst unlängst die Investmentbank Morgan Stanley in London feststellte, sind seit Anfang der Neunzigerjahre lediglich 300.000 Jobs wegen der niedrigeren Lohnkosten nach Osteuropa abgewandert, so dass die deutsche Arbeitsmarktbilanz mit Mittelosteuropa unter dem Strich sogar positiv ausfallen dürfte.
Das alles ist kein Zufall: Industrie und Dienstleister verfügen in Deutschland über spezifische Produktionsbedingungen, die es ihnen ermöglichen, Produkt- und Prozesskompetenz auf hoch produktive Weise kombinieren zu können. Dabei spielt eine Rolle, dass die regionale Infrastruktur, die in den regionalen Netzwerken enthaltenen Erfahrungen, Routinen, die vorhandene Qualifikationsstruktur und die Erwartungssicherheiten von und zwischen Klein-, Mittel- und Großunternehmen selbst eine nicht zu unterschätzende Quelle von Produktivität sind. Erfahrungen damit haben deutsche Unternehmen in der letzten Zeit wiederholt machen müssen:
Deutsche Unternehmer
Daimler Chrysler zum Beispiel, nachdem es regionale Netzwerke zugunsten eines Global Sourcing ausgedünnt hatte, musste plötzlich feststellen, dass unerwartete Folgekosten auftraten und aufwendige Konferenzen mit einheimischen und ausländischen Zulieferern organisiert werden mussten, in denen das Erfahrungswissen der einheimischen Zulieferer den ausländischen Firmen vermittelt werden sollte, um so die Qualitätsstandards der Vorproduktion zu erhalten.
- Auch viele Klein- und Mittelunternehmen sahen sich bei ihren Outsourcing-Abenteuern im Ausland mit unerwarteten Kosten konfrontiert: Rechtsunsicherheiten, mangelnde Infrastruktur, Schmiergeldzahlungen, hierarchische Arbeitskulturen, Management- und Organisationsprobleme, mangelnde Zuliefernetze etc. Dies machte die Bilanz gar nicht mehr so positiv wie erwartet, so dass als Ausweg häufig nur die aufwendige Rückverlagerung blieb.
- Es ist kein Zufall, dass Unternehmen, wenn sie ins Ausland gehen, gerne ihre Unternehmenskultur und ihre bewährten Erfolgsmuster exportieren. Sie versprechen sich davon hohe Erwartungssicherheit und Produktivität. Treffen sie im Ausland Bedingungen an, die diesen Unternehmenskulturen nicht entsprechen, muss daran zwar das Auslandsengagement nicht scheitern, wohl aber sind Anpassungsstrategien erforderlich, die unerwartete Kosten nach sich ziehen können.
Rahmenbedingungen
Welche Rahmenbedingungen bietet der Standort Deutschland? Die Bundesrepublik hat zur Zeit
- die niedrigste Steuerquote ihrer Geschichte.
- Die Steuerbelastung liegt westeuropaweit an zweitletzter Stelle.
- Bei der Abgabenquote (wie im übrigen beim Sozialleistungsniveau) liegt die deutsche Wirtschaft im Mittelfeld.
- Die Nettorealeinkommen je Beschäftigten sind seit der deutschen Einheit nicht nur nicht gestiegen, sondern liegen heute unter denen des Jahres 1991.
- Das Niveau der Lohnstückkosten ist durchschnittlich niedriger als das der Hauptkonkurrenten in den Industrienationen.
- Die Lohnabschlüsse sind seit Jahren die niedrigsten der alten EU.
- Die Folge davon ist, dass das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen auf OECD-Durchschnitt zurückgefallen ist.
Dabei verzeichnet Deutschland Exportrekord auf Exportrekord. Seit 2002 ist Deutschland nicht nur Weltmeister beim Exportüberschuss, sondern auch bei der absoluten Höhe der Exporte – noch vor den USA – und das, obwohl dort mehr als dreieinhalbmal so viele Menschen arbeiten.
Gleichzeitig aber ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, ist die sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit rückläufig und das Wachstum schwach – mit den bekannten negativen Rückwirkungen auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Obwohl die Unterbeschäftigung steigt, fällt der Anteil der Arbeitnehmer-entgelte am gesamten Volkseinkommen (seit 2003 um 4% auf 69%) auf ein Niveau vom Jahre 1970, und die Firmen- und Vermögenseinkommen schnellen in die Höhe (seit 2003 um 20%)1). In den Betrieben müsste das längst spürbar sein. Die Lohnkosten je produzierter Einheit nehmen seit Jahren kaum mehr zu. Weil die Firmen gleichzeitig ihre Preise anheben konnten, liegen die Lohnstückkosten heute real zwei Prozent niedriger als 1996 und fünf Prozent niedriger als 1970. Und trotzdem: die Arbeitslosenzahlen steigen!
Rückläufige Realeinkommen
Wer vor dem Hintergrund der Gleichzeitigkeit von Exportrekorden und Massenarbeitslosigkeit danach fragt, was falsch läuft im Exportweltmeisterland, stößt unweigerlich auf die stagnierende Binnenkonjunktur – ein Ergebnis rückläufiger Realeinkommen und staatlicher Investitionsschwäche.
Die Binnennachfrage wird maßgeblich von der Lohnentwicklung und der Tarifpolitik mitbestimmt. In den letzten Jahrzehnten ist die Durchsetzung von Lohnsteigerungen in Höhe des verteilungsneutralen Spielraums immer weniger gelungen. Im Kern hatte das viel mit den wachsenden Durchsetzungsproblemen der Gewerkschaften angesichts hoher Massenarbeitslosigkeit und der Angst um den Arbeitsplatz zu tun. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Realität am unteren Ende der Lohnskala ansieht. Ein Niedriglohnsektor in Deutschland braucht nicht aufgebaut zu werden – er existiert bereits. Im vergangenen Jahr verfügten etwa 1,6 Millionen Vollzeiterwerbstätige über ein monatliches Nettoeinkommen von lediglich 700 Euro und weniger. Das sind immerhin 6,2 Prozent aller Erwerbstätigen. In Ostdeutschland betrifft das sogar fast zehn Prozent. Was wir hier antreffen, ist »arbeitende Armut« (Working Poor). Und das sind Zahlen vor dem Inkrafttreten der Hartz-Reformen.
Arbeitende Armut
Eine Antwort auf diese »arbeitende Armut« wäre die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, so wie ihn praktisch alle westeuropäischen Nachbarländer kennen, von Irland angefangen mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,01 Euro bis Luxemburg mit einem gesetzlichen Mindestlohn von über 8 Euro pro Stunde. Ein gesetzlicher Mindestlohn wird nicht nur gebraucht, um Lohndumping im Zuge von Hartz IV oder der drohenden EU-Dienstleistungsrichtlinie zu begegnen, sondern auch um eine Entwicklung zu immer prekäreren Arbeitsverhältnissen zu verhindern. Ein Mindestlohn ist notwendig, um vielen Vollzeitbeschäftigten ein Einkommen zu sichern, von dem sie leben können. Und es ist wichtig, um hierdurch die Binnennachfrage zu stärken.
Ohne einen funktionierenden Flächentarif entwickelt sich statt produktiver Konkurrenz von Unternehmen um bessere Produktionsverfahren, Produkte und Dienstleistungen, eine zerstörerische Schmutzkonkurrenz. Nach Auffassung von Experten der Weltbank, die sich mit Deflationsgefahren beschäftigt haben, trägt das deutsche Tariflohnsystem maßgeblich dazu bei, Deflationsgefahren in Grenzen zu halten. Bei der Auseinandersetzung um den Flächentarifvertrag geht es also nicht nur um die Absicherung der Einkommen der Mitglieder. Es geht um die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt. Insofern nehmen Gewerkschaften mit der Verteidigung der Flächentarifverträge eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Schutzfunktion wahr.
Schwächung der Binnennachfrage
Mit ihrer Politik tragen die staatlichen Akteure gegenwärtig zur Schwächung der Binnennachfrage bei. Mit einem Anteil der staatlichen Investitionen von gerade einmal 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt Deutschland zusammen mit Österreich ganz hinten. Zum Vergleich: In Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Griechenland, Portugal, Irland und den USA liegen die staatlichen Investitionen oberhalb von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Durchschnitt der Euro-Zone liegt bei 2,6 Prozent.
Dabei sind öffentliche Investitionen wichtiger denn je. Fehlende Kinderbetreuungsplätze, Investitionsbedarf in Bildung, Forschung und Entwicklung, aber auch die Investitionsbedarfe der Verkehrssysteme, renovierungsbedürftige Schulgebäude, marode Abwassersysteme legen davon Zeugnis ab.
Um eine Wende bei der schwachen Binnennachfrage und den niedrigen staatlichen Investitionen herbeizuführen, ist ein deutlicher Impuls nötig: Ein groß angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm für Arbeit, Bildung und Umwelt. Ein 40-Milliarden-Programm brächte direkt über eine halbe Million zusätzliche Arbeitsplätze und einen starken Impuls für mehr und sinnvolles Wachstum. Die Mittel wären insbesondere für Bildung, Forschung und Entwicklung bereitzustellen. Deutschlands heutige Wettbewerbsstärke beruht nicht zuletzt auf den klugen Köpfen, die in der Vergangenheit durch das Schul- und Hochschulsystem, durch eine ausgezeichnete berufliche Bildung im Rahmen des dualen Systems hervorgebracht worden sind.
Gewerkschaften und Steuern
Fragt man nach der Finanzierbarkeit eines solchen Programms, darf nicht vergessen werden, wie sich die steuerlichen Belastungen in Deutschland entwickelt haben. Der Staat hat keine Problem zu hoher Ausgaben, sondern zu niedriger Einnahmen, zu niedriger Steuerzahlungen von denen, die es sich leisten können. Gerade in den letzten Jahren hat die rot-grüne Steuerpolitik zu einem massiven Einbruch der Unternehmenssteuern geführt. Mindestens 70 Milliarden Euro wurden verschenkt. Dieser Absturz ist nicht auf gesunkene Gewinne zurück zu führen. Im Gegenteil: Die Gewinne sind in der selben Zeit kräftig gestiegen, bei den Kapitalgesellschaften von 285 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf über 300 Milliarden Euro in 2003.
Deshalb muss der Spitzensteuersatz auf moderate 47 Prozent angehoben werden. Durch niedrigere Steuersätze im unteren Bereich sollen viele Beschäftigte entlastet werden. Entlastung der Normalverdiener, Belastung der Spitzenverdiener – das versteht ver.di unter Steuergerechtigkeit.
Der geänderte Tarifverlauf ist allerdings nur ein Element der gewerkschaftlichen Vorstellungen zur Steuerpolitik. Weitere wichtige Elemente sind die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Und zwar 16 Milliarden durch die Vermögensteuer und noch einmal 4 Milliarden durch eine reformierte Erbschaftsteuer könnte zu den anderen Vorschlägen der Steuerpolitik zu einem Steuermehraufkommen von jährlich rund 45 Milliarden Euro führen. Damit ließe sich das Zukunftsinvestitionsprogramm finanzieren.
Nationale und europäische Politik
Klar ist, dass eine Abstimmung nationaler und europäischer Politik nötig ist. Eine andere Politik der öffentlichen Haushalte muss durch einen veränderten Kurs der Geldpolitik der europäischen Zentralbank aktiv begleitet werden. Notwendig ist auch eine Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der nicht das Defizitkriterium als Ziel hat, sondern die Tendenz des öffentlichen Schuldenstandes. Eine Ausweitung der öffentlichen Verschuldung nachhaltig einzudämmen, ohne konjunkturelle Schwächephasen zusätzlich zu verstärken – darum muss es gehen.
Ein sozialpolitischer Wettlauf nach unten als Antwort auf Wachstumsprobleme würde nicht nur die ökonomischen Konkurrenzvorteile europäischer Ökonomien zerstören, sondern auch die Bedingungen einer sozial und ökologisch nachhaltigen ökonomischen Entwicklung erodieren lassen. Hohe Qualifikation der Arbeitskraft verlangt eine entsprechende Bezahlung. Und zu einer hohen Mobilität und Qualifikation gehört als Voraussetzung ein hohes Sozialniveau – bei allen notwendigen Korrekturen im Funktionsmodus der sozialen Sicherung.
R E S Ü M E E
Politik ist Entscheidung zwischen Alternativen und die Globalisierung ist keineswegs nur ein ökonomischer Prozess. Bezogen auf Deutschland geht es um den Erhalt und die Weiterentwicklung der spezifischen Stärken der deutschen Wirtschaft. Und dies lässt sich nur erreichen, wenn die momentane Fixierung auf Arbeits- und Sozialkostenreduzierungen durchbrochen und überwunden wird; das heißt Fortsetzung des Hauptweges der Innovation, Nutzung komparativer Vorteile und Stärkung des Binnenmarkts.
Dabei gibt es für die deutschen Gewerkschaften noch eine besondere europäische Dimension. Die Gewerkschaften tragen in Deutschland mit ihrer Lohn- und Arbeitszeitpolitik ein hohes Maß an Verantwortung für die Handlungsbedingungen der Gewerkschaften in den EU-Nachbarstaaten. Nirgends in Europa ist der Druck auf die Gewerkschaften, die Arbeitszeit zu verlängern und damit Lohnkosten zu senken so hoch wie in Deutschland. Wenn in der hochproduktiven Leitökonomie Deutschland aber die Arbeitszeiten ohne Lohnzahlung verlängert werden, wird das die Gewerkschaften in den Nachbarländern in einen Absenkungswettlauf zwingen.
Deshalb müssen die Gewerkschaften Strukturen schaffen, die sich über nationalstaatliche Grenzen hinaus an Wirtschafts- und Branchengrenzen orientieren.
Dieser Gestaltung der Globalisierung werden sich die Gewerkschaften stellen und nicht der kurzsichtigen Standortdebatte neoliberaler Ökonomen, Verbände und multinationaler Unternehmen in Deutschland klein beigeben.
Von Autor: Frank Bsirske (Vorsitzender Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at