Privatisierungen: Arge Betriebsräte?

Seit rund 20 Jahren werden die ehemals verstaatlichten bzw. staatlichen Betriebe, meist profitable Vorzeigeunternehmen, Stück um Stück privatisiert. Die Privatisierungserlöse belaufen sich von 1986 bis 2003 auf insgesamt fast 10,7 Milliarden Euro, davon entfallen allein 3,95 Milliarden auf den Zeitraum von 1995 bis 1999 und 3,88 Milliarden Euro auf den Zeitraum von 2000 bis 2003. Seit dem Jahr 2000 hat die Staatsholding ÖIAG (Österreichische Industrieholding AG) gemäß dem ÖVP-FPÖ-Regierungsauftrag überdies die Totalprivatisierung aller ÖIAG-Betriebe/-Beteiligungen und die Auflösung der ÖIAG in der jetzigen Form zum Ziel. Den Einmaleinnahmen für den Staat steht der Verlust von Arbeitsplätzen – im ehemaligen Kernbereich der Verstaatlichten sind dies rund 80.000 seit Ende der Achtzigerjahre – gegenüber.

Viele zehntausende Arbeitsplätze verloren

Am Ende einer Totalprivatisierung befürchtet der ÖGB den Verlust weiterer zehntausender Arbeitsplätze. Laut Berechnungen der AK führt eine Totalprivatisierung zu einem Verlust an Steuer- und Dividendeneinnahmen des Staates aus seinen Beteiligungen von jährlich rund 250 Millionen Euro.

Dabei wurden die verkauften Firmen vielfach weit unter ihrem realen Unternehmenswert an die privaten Aktionäre verkauft. Etwa bei der OMV in den 1990er-Jahren, vor allem aber z. B. bei Austria Tabak, voestalpine oder Böhler Uddeholm. So erhielten etwa die neuen privaten und mehrheitlich ausländischen Eigentümer der voestalpine AG ihre Anteile um 400 Millionen unter dem tatsächlichen Unternehmenswert zur Zeit des Verkaufes im September 2003.

Mit dem Beginn der Aufsplitterung der verstaatlichten Betriebe gründete sich auch im Jahr 1987 die Arbeitsgemeinschaft ARGE-ÖIAG. Sie ist die Interessengemeinschaft der BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen der ÖIAG-Beteiligungen, der großen Unternehmen in Staatsbesitz bzw. mit staatlicher Beteiligung. Sie koordiniert seit 1987 die Betriebsräte der einzelnen Firmen unter dem Dach der ÖIAG, die in den Teilgewerkschaften der Privatangestellten, der Chemiearbeiter, Handel, Transport, Verkehr, Post- und Fernmeldebedienstete sowie Metall-Textil organisiert sind.

Informationsaustausch, Lobbying und Medienarbeit

Die ARGE-ÖIAG dient dem Informationsaustausch unter den Beteiligungen sowie einer engeren Bindung zu Arbeiterkammer und Gewerkschaften. Mangels einer gesetzlichen Vertretungsmöglichkeit (diese gibt es nur in Betrieben und Konzernen, nicht aber übergreifend für verschiedene Konzerne und Branchen) besteht diese Plattform. Seitens des ÖGB und der AK ist die ARGE-ÖIAG als Plattform anerkannt. So hat die ARGE ein Vorschlagsrecht an die AK betreffend der Besetzung der von Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat der ÖIAG zu besetzenden Mitglieder.

Nach dem Abgang des Gründungsmitgliedes und langjährigen Vorsitzenden der ARGE-ÖIAG, Helmut Oberchristl (Konzernbetriebsratsvorsitzender der voestalpine AG), wurde Anfang November 2004 der Konzernvertretungsvorsitzende der OMV, Leopold Abraham, zum neuen Vorsitzenden der ARGE-ÖIAG gewählt. Als künftige Ziele seiner Vorsitzführung skizziert er verstärktes Lobbying in Politik, Parlament und der Bundesregierung sowie eine aktive Medienarbeit. Die weiteren Präsidiumsmitglieder der ARGE sowie Mitglieder im ÖIAG-Aufsichtsrat sind Gerhard Fritz (GPF-Vorsitzender und Vorsitzender des Zentralausschusses der Bediensteten der Österreichischen Post AG), Anton Beneder (Vorsitzender der Konzernvertretung der VA Tech AG), Michael Kolek, (Vorsitzender des Zentralausschusses der Bediensteten der Telekom Austria AG) und Helmut Oberchristl.

Mitarbeiterbeteiligung und Mitarbeitervorsorgekassen

Als Erfolge der ARGE-ÖIAG unter dem Vorsitz von Helmut Oberchristl bezeichnet Gottfried Sommer, Sekretär der ARGE, die erreichte Mitarbeiterbeteiligung in einigen ÖIAG-Bereichen sowie die Mitarbeitervorsorgekassen. Freilich, die Privatisierungen konnte die ARGE auf ÖIAG-Ebene nicht verhindern, sind doch die Arbeitnehmervertreter in der ÖIAG nur im Aufsichtsrat und da auch nur als Minderheit vertreten. Allerdings hat die ARGE kräftig dazu beigetragen, dass z. B. die Proteste gegen den Verkauf der voestalpine AG ein so großes mediales Echo und so viel Unterstützung in der Bevölkerung gefunden haben.

Die Rolle der ARGE zeigte sich auch in Sachen VA Tech. Als die Firma Siemens ein Angebot zur Übernahme der VA Tech-Aktien bekannt gab, wurde die ARGE-ÖIAG als Informationsdrehscheibe und Backoffice für den Konzernbetriebsrat tätig. Über den ARGE-Sekretär liefen in diesen Wochen die Koordination von Pressekonferenzen, die Medienbeobachtung und Lobbyingtätigkeiten. »Die Entscheidungen über die Zukunft der VA Tech sind weiterhin in Österreich zu treffen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die ÖIAG als stabiler Kernaktionär bleibt«, verlangte ARGE-ÖIAG-Vorsitzender Leopold Abraham bei der letzten Aufsichtsratssitzung Anfang Dezember 2004. Ähnlich die Forderung von AK Direktor Werner Muhm zur geplanten Mehrheitsübernahme der VA Tech durch Siemens: »Die ÖIAG muss als Kernaktionär an der VA Tech beteiligt bleiben und bei einer eventuellen VA Tech-Kapitalerhöhung voll mitziehen. Nur ein stabiler Kernaktionär ÖIAG kann für den Zusammenhalt des Konzerns sorgen.«

Dass es die ARGE-ÖIAG weitergeben soll, ist für die Belegschaftsvertreter keine Frage. Eine andere Frage ist, in welcher Form: So ist die ARGE-ÖIAG ja direkt an die ÖIAG-Beteiligungen gebunden. Der derzeitige Regierungsauftrag zur ÖIAG sieht vor, dass nach erfolgten Privatisierungen – als Ziel ist Ende 2006 vorgegeben – die ÖIAG als Gesellschaft aufgelöst werden und eine BBMG,
Bundesbeteiligungsmanagement-Gesellschaft die künftigen Aufgaben übernehmen soll. Damit ist die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung dieser ARGE gegeben. Für die Zukunft fordert Leopold Abraham daher, dass die ÖIAG eine echte Beteiligungsholding wird und nicht zur Ausverkaufsholding verkommt: »Angesichts der wirtschaftlichen Lage ist es wichtig, dass grundsätzliche Entscheidungen in Österreich getroffen werden.«

Dass die Befürchtungen der Arbeitnehmervertreter der ARGE-ÖIAG nicht aus der Luft gegriffen sind, beweist das Geschäftsziel der ÖIAG, nachzulesen auf deren Homepage:

»Die Österreichische Industrie Holding AG ist die Beteiligungs- und Privatisierungsagentur der Republik Österreich. Die ÖIAG praktiziert in ihrer Eigenschaft als Beteiligungs, und Privatisierungsagentur eine Doppelstrategie: einerseits die Wertsteigerung der ihr anvertrauten Beteiligungen, andererseits das ständige Prüfen von Exit-Szenarien sowie – so ein Regierungsauftrag besteht – die Teil- oder Vollprivatisierung des Unternehmens.«

Das heißt, zuerst die Betriebe auf Staatskosten, auf Kosten der Beschäftigten und Steuerzahler herzurichten, um sie dann an Private »wertsteigernd« zu verkaufen. Und man muss ergänzen, auszuverkaufen: So hat der jetzige Kapitalmarktbeauftragte der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung, Richard Schenz, noch als OMV-Generaldirektor im Frühjahr 2000 die Befürchtung geäußert, dass die Privatisierungen »die Verstaatlichte zu einem gefundenen Fressen für die Multis« machen würde.

Ausverkauf Österreichs?

Tatsächlich summierte sich bis zum Jahr 2002 der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen in Österreich bereits auf 41,2 Milliarden Euro. Das war fast das Doppelte von 1999, also vor Beginn der Totalprivatisierung, und das Fünffache von 1990 (8,51 Mrd. Euro). Dabei stammt fast die Hälfte des Auslandskapitals in Österreich allein aus Deutschland. Und hätte es noch eines Beweises bedurft, dann liefern die Vorgänge um die Übernahme der VA Tech durch die Siemens Austria, einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft des deutschen Siemens-Konzern, das traurige Anschauungsmaterial. Soviel auch zur Beteuerung der Regierung, bei den Privatisierungen der ÖIAG-Beteiligungsbetriebe auf den Erhalt einer österreichischen Kernaktionärsschaft zu achten.

Gut für die Aktienbesitzer

Handelt es sich bei den jetzt zur Privatisierung anstehenden Betrieben vielleicht um schlechte Betriebe? Wären die verstaatlichten Betriebe nicht gut geführt worden, es würde sich wohl kaum ein Privater darum reißen. Wie die ÖIAG-Betriebe in Summe an der Börse liegen, darüber gibt der ÖIAG-Börsenindex Auskunft. In Dekade 1993 bis 2002 lag dieser immer über dem ATX, bis 2000 im Schnitt um 20 Punkte darüber. Von 1994 bis 2002 haben die ÖIAG-Betriebe 13 Milliarden Schilling oder 1,18 Milliarden Euro an Dividenden an den Staat abgeliefert.

In Zukunft geht der Staat leer aus. Das ist gut für die Aktionäre, arg für Beschäftigte und eine eigenständige österreichische Industrie. Nicht die Beschäftigten und die Betriebsräte, die sich gegen Privatisierungen wehren, sind arg, sondern die Privatisierungs- und Ausverkaufspolitik der Regierung.

Diese geht nach dem Motto »zuerst privatisieren, dann liquidieren« vor, wie es der Tiroler AK Präsident Fritz Dinkhauser anlässlich der geplanten Schließung von zwei Austria Tabak-Werken ausdrückte. Die Austria Tabak wurde 2001 an den britischen Konzern Gallaher verkauft. Kaum ist die bis Ende 2004 abgegebene Arbeitsplatz- und Standortgarantie abgelaufen, kündigt der Konzern die Schließung der Produktionen in Schwaz/Tirol und Fürstenfeld/Steiermark an. 160 Beschäftigte sind davon betroffen. Für den Vorsitzenden der ARGE-ÖIAG, Leopold Abraham, zeigt das Beispiel Austria Tabak, dass Arbeitsplatz- und Standortgarantien nichts als großspurige Ankündigungen sind – in der Realität Totalprivatisierung nur zu Arbeitsplatzvernichtung und zur Vernichtung von Volksvermögen führt. So hat Gallaher die 2001 für die Austria Tabak bezahlten 770 Millionen Euro schon nach fünf Jahren wieder zurückverdient. Die Vorgänge bei der VA Tech haben für Abraham die gleichen Vorzeichen wie sie derzeit bei den ATW zu Tage treten: »Abbau von Arbeitsplätzen in den Bereichen, wo Siemens und VA-Tech sich gemeinsam am Markt bewegen, sind programmiert. Da nützt auch eine Standort- oder Arbeitsplatzgarantie nichts.« Als Konsequenz fordern die ÖIAG-Belegschaftsvertreter, dass sich der Staat nicht unter die Sperrminorität von 25 Prozent plus eine Aktie aus den Unternehmen zurückziehen soll. Das gelte insbesondere für die Telekom, wie es von Minister Grasser auch schon mit Vertretern von Belegschaft und Gewerkschaft schriftlich vereinbart ist. Ein Börsegang der Post AG zum derzeitigen Zeitpunkt wird ebenfalls abgelehnt.

 
A B K Ü R Z U N G E N :

Aktienindex: Kennziffer für die Entwicklung des Kursdurchschnitts der bedeutendsten Aktiengesellschaften.
ARGE-ÖIAG: Arbeitsgemeinschaft der BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen der ÖIAG-Beteiligungen, d. h. der großen Unternehmen in Staatsbesitz bzw. mit staatlicher Beteiligung.
ATX: Aktienindex der Wiener Börse.
GPF: Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten.
ÖIAG: Österreichische Industrieholding AG, Holding der großen Unternehmen in österreichischem Staatsbesitz bzw. mit staatlicher Beteiligung.
OMV: Die OMV (früher: Österreichische Mineralöl Verwaltung) ist einer der führenden Erdöl- und Erdgaskonzerne in Mittel- und Osteuropa mit weltweiten Explorations- und Produktionsaktivitäten. Die integrierten Chemieunternehmen in der OMV produzieren Melamin und Geotextilien. Gemessen am Konzernumsatz und der Marktkapitalisierung ist OMV das größte börsennotierte Industrieunternehmen Österreichs.
VA Tech AG: VA Technologie AG. Der Konzern verfügt über führende internationale Positionen in den Bereichen Metallurgietechnik, Hydraulische Energieerzeugung, Energie-übertragung und -verteilung, Wassertechnik sowie Infrastruktur. Hervorgegangen aus den verstaatlichten Betrieben (u. a. ELIN), wird die VOEST-ALPINE Industrieanlagenbau 1988 eine rechtlich selbständige Gesellschaft. 1993 erfolgt die Gründung der VA Technologie AG mit den Tochtergesellschaften Austria Energy, VAI, ELIN Energieanwendung, ELIN Energieversorgung, EBG, aii, VOEST-ALPINE MCE. Seit 1994 notiert die VA Technologie AG an der Börse.

 
F A C H A U S D R Ü C K E :

AG: Aktiengesellschaft.
Aktiengesellschaft (AG): Handelsgesellschaft, deren Grundkapital (Aktienkapital) von Gesellschaftern (Aktionären) aufgebracht wird, die nicht persönlich, sondern mit ihren Einlagen für die Verbindlichkeiten haften.
Aktie: Anteilsschein am Grundkapital einer Aktiengesellschaft.
Holding: Gesellschaft, die nicht selbst produziert, die aber Aktien anderer Gesellschaften besitzt und diese dadurch beeinflusst oder beherrscht.

Von Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.