Standpunkt | TINA und TAMARA

Wenn Sie diese Überschrift lesen, glauben Sie vielleicht auf den ersten Blick, es geht um zwei reizende junge Damen dieses Namens, vielleicht Popsängerinnen oder Fernsehstars. Weit gefehlt! Es geht um Mantren und Couésche Formeln. Mantren sind diese ewig wiederholten religiösen Formeln1), die auch in den Gebetsmühlen stecken und durch einfaches Drehen ihre Wirkung entfalten. Emile Coué war ein französischer Apotheker, der ein Verfahren zur Aktivierung der Selbstheilkräfte durch die Wiederholung von autosuggestiven Formeln entwickelte2). TINA ist so eine Formel, sie kommt aus dem Englischen und heißt: »There Is No Alternative!«

Und wozu gibt’s keine Alternative! Natürlich zum Neoliberalismus, also dem System, das die Reichen immer reicher macht und den Ärmeren den Sozialstaat abbaut, die soziale Sicherheit untergräbt und Löhne stetig schrumpfen lässt.

Der Kampfruf der Kritiker der Neoliberalen lautet: »There Are Many And Real Alternatives« – es gibt viele und realistische Alternativen, also TAMARA.

Die neoliberalen Glaubenskrieger -bestreiten natürlich die Existenz oder die Möglichkeit jeder Alternative und wenn dies nicht gelingt, wird diese diskreditiert, was das Zeug hält. Aus ihrer Sicht ist zum Beispiel die Wertschöpfungsabgabe ein Griff in die unterste Lade des Klassenkampfs, obwohl oder gerade weil auch einige weiterdenkende Konservative sich damit ernsthaft beschäftigen.

Zum nicht nur im vereinigten Europa vorherrschenden Grundsatz »Nimm von den Armen und gib den Reichen« gibt es viele und realistische Alternativen. Es war Margaret Thatcher, die neoliberale britische Premierministerin, die immer wieder beteuerte, »there is no alternative«, der Markt werde alles regeln. Die formelhafte Wiederholung dieses Mantras führte dazu, dass viele Menschen, kritische Menschen, Menschen, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch leiden, resigniert mit den Schultern zucken und schließlich glauben, dass es wirklich keine Alternative gäbe.

Simples Muster

Der Begriff TINA-Prinzip (auch -Tina-Prinzip) wurde letztendlich von dem leider viel zu früh verstorbenen französischen Soziologen Pierre Bourdieu geprägt und steht nicht nur für den Kampfruf der Margaret T., sondern ist die (mehr oder weniger ironisch gemeinte) Bezeichnung für ein bestimmtes, simples Muster, mit der (manche) Politiker(innen) in der Öffentlichkeit Entscheidungen begründen. Die Behauptung, es gebe keine Alternative, so die These, sei aber nicht real, sondern nur ein propagandistisches Mittel, um Kritik in der Öffentlichkeit die Legitimation zu nehmen und eine Diskussion zu unterbinden. TINA hat übrigens auch noch einen Bruder, der von (manchen) Politiker(innen) schamlos in den Mund genommen wird, den »Sachzwang«. In Eckhard Henscheids »Dummdeutsch«3) wird erklärt: »Wenn Politiker oder Parteien etwas halt partout nicht mögen, dann fällt dessen Unterbleiben in die Kategorie der Sachzwänge. Unter der Zwingherrschaft des Sachzwangs werden Wälder und Alleen abgeholzt, Altmühltäler entschärft und prima Betonlandschaften erzwungen – wobei das Zwängende der oft zu engen Sachen oft zu den zwingendsten Lösungen führt.«

Unter dem Schlachtruf TINA erfolgt jetzt der soziale Kahlschlag, ja mehr noch, die Enteignung des erkämpften sozialen Eigentums. Wollen Sie vielleicht die Post oder die Bahn kaufen oder ein paar -Krankenhäuser? Wenn Sie genug Kleingeld haben …

TINA oder TAMARA? Es geht hier aber nicht um Glaubenssätze, sondern um unsere Zukunft. Und dazu sagt Erich Fried:

»Die Zukunft liegt nicht darin, dass man an sie glaubt oder nicht glaubt, sondern darin, dass man sie vorbereitet.« Darum geht es.

Siegfried Sorz

 

1) Zum Beispiel im (lamaistischen) Buddhismus und im Hinduismus das »Om« oder »Aum« oder »Om mani padme hum« – wir wollen keineswegs religiöse Gefühle verletzen und uns nur von den pseudoreligiösen der Neoliberalen distanzieren. Siehe auch: Dirk Baecker (Hg.) »Kapitalismus als Religion«, Kulturverlag Kadmos, 2002.
2) Coué empfahl zum Beispiel, den Satz „Mir geht es in jeder Hinsicht täglich besser und besser“ zu wiederholen, 20-mal morgens und abends …
3) Eckhard Henscheid: Dummdeutsch, Reclam-Verlag

Von Siegfried Sorz (Chefredakteur)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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