Kosovo: Versklavte Frauen

Eine Europäische Konvention gegen Menschenhandel soll Abhilfe schaffen. Im Mittelalter war Sklaverei eine der wichtigsten Wirtschaftsgrundlagen. Menschenhandel, Zwangsarbeit und Zwangsprostitution sind auch heute wieder florierende Wirtschaftszweige, wenn auch in »moderner« Variante. Eine paradoxe Version von Handel mit Frauen und jungen Mädchen zeigt ein Bericht von Amnesty International1) über die Provinz Kosovo.

Amnesty International (ai) macht die internationale UNO-, bzw. NATO-Präsenz für den massiven Anstieg verbrecherischer Ausbeutung von Frauen und Kindern im Kosovo mitverantwortlich. 1999 wurden an die 40.000 Soldaten der -NATO-Friedenstruppe (KFOR) – darunter 500 aus Österreich – im Kosovo stationiert. Hunderte Kräfte der UN-Mission im Kosovo (UNMIK) und das Personal von über 250 Nichtregierungsorganisationen kamen ins »kosovo polje«, das Amselfeld, das mit »metohija« (Metochien), seit Juni desselben Jahres völkerrechtlich zum Staat »Serbien und Montenegro« gehört.

»Binnen kurzem wurde Kosovo in Europa zu einem der Hauptzielländer für Frauen, die gehandelt und zur Prostitution gezwungen werden. Ein lokaler Kleinmarkt für Prostitution wurde zu einer Großindustrie, die sich auf den vorrangig durch kriminelle Netzwerke organisierten Menschenhandel stützt«, heißt es in dem Bericht. Ihm widmet auch die ai-Arbeitsgruppe verfolgter Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen vermehrte Aufmerksamkeit. Mit gewerkschaftlicher Organisation haben die Frauen, die aus den ärmsten Ländern Europas kommen – vor allem Moldawien, Rumänien, Bulgarien und der Ukraine – natürlich nichts zu tun. Ihr Leidensweg, der schon in ihren Heimatländern beginnt, hat aber immer soziale, politische und ökonomische Ursachen. »Auch aus diesem Grund müssen diese massiven Menschenrechtsverletzungen Anliegen der Gewerkschaften sein«, meint Sabine Vogler von der genannten ai-Arbeitsgruppe.

Die meisten dieser Frauen geraten in die Netzwerke des organisierten Menschenhandels, weil sie sich Arbeit im Ausland erhoffen. Rund drei Prozent, so schätzt die Internationale Organisation für Migration (IOM), ist sich von Beginn an bewusst, dass es eine Arbeit als Prostituierte ist. »Sicher wusste ich das«, berichtet eine der Zwangsprostituierten, der die Flucht durch Sprung aus dem Fenster gelungen war: »Ich habe fünf Geschwister, niemand von uns findet zu Hause Arbeit. Aber das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, ich würde bezahlt bekommen, mir meine Freier selber aussuchen -können. Ich dachte an normale Pro-s-titution.«

Boom der Bordelle
»Handel? Das hat etwas mit Autos zu tun«, meinte ein anderes Opfer. Autos werden allerdings besser behandelt als Menschen, die zu Ware werden. »Vergewaltigung, Folter und Sklaverei«, mit diesen drei Worten fasst Amnesty die erschütternden Zeugnisse der entrechteten Frauen zusammen.

Die meisten der später gehandelten Frauen wissen auch, dass ihre Reise in eine vermeintlich bessere Zukunft nicht ganz legal ist. »Oft schöpfen sie deshalb keinen Verdacht, wenn sie in versperrten Räumen festgehalten und ihnen sämtliche Personaldokumente weggenommen werden«, berichtet Amnesty International. »Sobald sie sich ihrer Gefangenschaft bewusst werden, ist ein Entkommen kaum möglich. Viele werden mit Drogen ruhiggestellt, andere mit brutalen Drohungen, Schlägen und Vergewaltigung gefügig gemacht.« Viele Frauen werden buchstäblich verkauft, andere werden von den »Besitzern« in Hotels oder Privatwohnungen versteigert. Der Preis für eine Zwangsprostituierte liegt zwischen 50 und 3500 Euro.

Durch die internationalen Friedenstruppen, die mit dem Auftrag gekommen waren, die Ordnung im Kosovo wiederherzustellen, kam es zu einem explosionsartigen Anstieg von Bordellen, Bars und Nachtclubs. Die Zahl der registrierten einschlägigen Etablissements war von 18 (im Jahr 1999) auf über 200 (Ende 2003) gestiegen. Ende 1999 berichtete der UN-Entwicklungsfonds für Frauen (UNIFEM) über die Zunahme organisierter Prostitution im Umfeld der KFOR-Lager. Die meisten Freier waren Mitglieder der internationalen Truppen. Einige Angehörige der internationalen Gemeinschaft, so heißt es im ai-Bericht, waren direkt am Handel mit Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, beteiligt.

Zwar wurden mittlerweile einige positive Schritte im Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution im Kosovo gesetzt: So kamen die rund 200 Bars und Nachtclubs auf eine »schwarze Liste« und dürfen von UN-Mitarbeitern und Soldaten nicht mehr aufgesucht werden (»Off limits«). Für die betroffenen Frauen ändert das allerdings wenig, denn nur die Herkunft der Freier hat sich geändert. Heute stammen etwa 80 Prozent der Kunden aus der Provinz Kosovo, 20 Prozent gehören zum internationalen Personal, während es 1999 genau umgekehrt war.

Im Jänner 2001 wurde von der UNMIK die Richtlinie 2001/4 erlassen, die Händler und jene, die wissentlich Sex mit gehandelten Frauen haben, zur strafrechtlichen Verantwortung ziehen soll. Vorgesehen sind Strafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren, bei Missbrauch Minderjähriger zehn Jahre. Bis dato gab es allerdings keine Verurteilung auf dieser Grundlage. Hauptgrund dafür ist die Straflosigkeit für Mitglieder der internationalen Friedenstruppen. Für sie gilt generelle Immunität, die bei Angehörigen der UNMIK nur vom UN-General-sekretär, bei KFOR-Soldaten nur durch die jeweiligen nationalen Oberbefehls-haber aufgehoben werden kann.

Die positiven Schritte lassen laut Amnesty und Opferschutzorganisationen aber mehr als zu wünschen übrig.

Heute, fünf Jahre nach Ankunft der internationalen Friedenstruppen, wurde zwar erkannt, dass es ein Problem gibt, der richtige Ansatz zur Lösung fehlt aber. »Für die einen sind es bloß Prostituierte, für die anderen ›nur‹ Wirtschaftsflüchtlinge. Ihnen ist nicht klar, was eigentlich hier vor sich geht: Nämlich Sklaverei, mitten im 21. Jahrhundert«, meint die ehemalige Frauenministerin Helga Konrad, nunmehr Leiterin der Abteilung Menschenhandel beim Balkanstabilitätspakt der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Erkenntnis, das es sich um Verbrechen handelt, fehle völlig, meint Konrad. »Der Ansatz lautet: Kampf gegen illegale Einwanderung. Es sind Versuche, die Migration zu managen.«

Eine wichtige Rolle spielen die kosovarische Polizei und die UN-Spezialeinheit gegen Frauenhandel und Prostitution, die im November 2000 gegründet worden war. »Manchmal eine allzu wichtige«, kritisiert Konrad. Anstatt Methoden zum Aufdecken der Drahtzieher und Hintermänner anzuwenden, wie es beim Kampf gegen organisierte Kriminalität üblich ist, stürmen Polizisten Bordelle und einschlägige Bars und Lokale. Kriminalisiert werden die Opfer, nicht die Täter und Mittäter. Denn Prostitution ist im Kosovo und Metochien illegal, die betroffenen Frauen werden abgeschoben, ohne weitere Hinweise auf die Männer geben zu können, die aus ihnen rechtlose Objekte gemacht haben.

Eine gesetzliche Grundlage erhoffen sich die Menschenrechtsorganisationen von der neuen Europäischen Konvention gegen Menschenhandel, an deren Entwurf derzeit im Europarat gearbeitet wird. Alle 45 Mitgliedstaaten des Europarates sind vom Handel mit Menschen betroffen, sei es als Herkunfts-, Transit- oder Zielland. Besonders wichtig ist es, die Rechte der Opfer zu schützen, die bisher auf der Strecke bleiben.

1) ai-Bericht vom 6. Mai 2004 über die Situation im Kosovo (Ser-bien und Montenegro): »›Heißt dies etwa, dass wir Rechte haben?‹ Zum Schutz der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, die zur Zwangsprostitution in das Kosovo gehandelt werden.« Deutsche Kurzfassung in der Broschüre amnesty info Nr. 3/2004. Vollversion auf Englisch unter www.amnesty.org

Von Gabriele Müller

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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