Nairobi ist die quirlige Metropole der gesamten ostafrikanischen Region. Eine moderne Skyline ziert die kenianische Hauptstadt. Konsum auf europäischem Niveau gibt es hier vielerorts – und krasse Armut gleich nebenan. Mit dem Regierungswechsel zu Präsident Kibakis »Regenbogenkoalition« waren viele Hoffnungen verknüpft. Nicht alle wurden -erfüllt, auch wenn einzelne Fortschritte zu verzeichnen sind. Die Gewerkschaften tun sich noch schwer, einen neuen Weg zu finden.
Jonathan Quiro ist 21 Jahre alt, vor gut zwei Jahren kam er nach Ruiru im Umland von Nairobi. Seine Heimat ist eine Tagesreise entfernt, nach dem College hat er dort keine Arbeit finden können. Nun schneidet er Rosen in einer modernen Farm und verdient einschließlich Wohngeld knapp 4000 Shilling, umgerechnet 40 Euro im Monat. Das entspricht dem Tarifvertrag und liegt über dem gesetzlichem Mindestlohn. »Meine Familie erwartet, dass ich ihnen regelmäßig Geld überweise. Ich bin der einzige mit einem festen Einkommen. Doch es reicht einfach nicht. Ich wohne mit meiner Frau und dem kleinen Kind in einem Zimmer, ohne Strom und Wasser. Dafür zahlen wir schon 1000 Shilling, dazu kommen Ausgaben für Essen, Kleidung.« Der Gewerkschaftsbund COTU hat errechnet, dass eine vierköpfige Familie zehn Monatslöhne benötigt, um die Grundbedürfnisse befriedigen zu können.
Zwei Tageslöhne für Kinobesuch
Konsequenzen haben Kenias Gewerkschafter hieraus kaum gezogen. Das Land ist wichtiger Lieferant für Blumen und Gemüse auf dem Weltmarkt, der Gartenbausektor expandierte im vergangenen Jahr um 17 Prozent, doch die Löhne bleiben stabil niedrig. Nach einem Seminar mit Plantagenarbeitern sitze ich abends im Kino des Sarit Centers von Nairobi. 300 Shilling kostet der Eintritt – mehr als zwei Tageslöhne von Jonathan Quiro. Nicht nur dass die Löhne keinen Kinobesuch zulassen, sie gestatten auch keine Grundbedürfnisbefriedigung. Auf dem Seminar habe ich gesehen, wie sich die Kolleginnen und Kollegen die Teller bis zum Anschlag füllten. So viel und so reichhaltige Nahrung kommt bei ihnen offenbar nie auf den Tisch. Hungerlöhne in der Wachstumsbranche.
Historisch sind Kenias Gewerkschaften eng mit der Unabhängigkeitsbewegung verbunden und haben lange klassische Arbeiterinteressen den nationalen untergeordnet. »Privatkriege zwischen Arbeit und Management können in armen Entwicklungsländern nicht erlaubt werden. Die Kosten eines Streiks mögen für Arbeit und Management zu tragen sein, aber die sozialen Kosten sind untragbar«, sagte Tom Mboya, der erste bekannte Gewerkschaftsführer des seit 1963 unabhängigen Kenia, der Minister unter Kenyatta wurde. Die Regierungspartei KANU erwarb sich direkten Zugang auf Entscheidungen in der Gewerkschaftsbewegung, der COTU-Präsident musste von ihr bestätigt werden. Unter Kenyatta und Arap Moi entwickelte sich die -Regierungspartei zum alles entscheidenden Faktor für Grundsatzentscheidungen oder Postenvergabe – auch jenseits des direkten Regierungsapparats. Das reichte von der Gewerkschaft über die nationale Frauenvereinigung bis zum Fußballverband.
Korruption
An diesen Strukturen hat sich bis heute wenig geändert. Die KANU wurde abgewählt, aber fast alle hohen Regierungsbeamten blieben im Amt und die klientelistischen Entscheidungsstrukturen in Kraft. Kibaki hat den Kampf gegen die Korruption als Priorität eingestuft. Zunächst wurde die Polizei besser bezahlt und in deren Apparat gegen die üblichen Geldforderungen bei jeder Verkehrskontrolle vorgegangen. Das brachte spürbare Erleichterungen im Alltag. Doch die großen Fische im Korruptionssumpf wurden nicht bestraft. Berichte über vorteilhafte Landverkäufe gigantischen Ausmaßes seit der Ära Kenyatta zirkulieren, werden aber nicht weiter verfolgt. Die Lehrergewerkschaft und Krankenhausangestellte beklagen sich öffentlich, dass Arbeitsplätze nicht auf Grundlage der Qualifikation, sondern der Protektion vergeben werden.
»Die Korruption ist in vielen Bereichen noch schlimmer geworden«, erzählt mir eine Universitätsdozentin. »Früher nahmen die Beamten 10 Prozent, jetzt sind es 30 Prozent auf den Geschäftswert. Früher wussten die Beamten, dass sie ewig im Amt bleiben würden, heute sind sie nicht sicher, ob sie bei einer Abwahl der Regierung nicht ihren Job verlieren, da wollen sie sich vorab noch sanieren.«
COTU-Generalsekretär Francis Atwoli ist als KANU-Mann auf diesen Führungsposten gekommen. Nun muss er sich mit der ehemaligen Opposition arrangieren. Da scheinen ihm massive Arbeitskämpfe kaum angesagt. Doch die Arbeiterinnen und Arbeiter nehmen zunehmend selbst ihre Rechte in die Hand. Interessant ist die Entwicklung in den Exportproduktionszonen, wo internationale Konzerne wie GAP und Walmart kostengünstig Kleidung produzieren lassen. Wir treffen uns mit einer Gruppe gewerkschaftlich organisierter Frauen in Athi River, eine knappe Stunde außerhalb Nairobis.
Streiks in den Weltmarktfabriken
»Sie haben nur unverheiratete Frauen zwischen 18 und 25 Jahren eingestellt. Sie dachten, die wären leichter auszubeuten«, beantwortet Nancy lachend meine Frage, ob denn keine Männer kämen. Diese gibt es in den Textilfabriken in Athi River fast nur als Aufseher, meist asiatischer Herkunft. Die hiermit verbundenen rassistischen und sexistischen Übergriffe haben – neben den »normalen« Ausbeutungsstrukturen – maßgeblich zu dem großen Streik vom Februar 2003 beigetragen. Überstunden wurden bis -dahin nie gezahlt, oft kamen die jungen Frauen erst abends um zehn aus der -Fabrik, Mutterschaftsurlaub war unbekannt.
Präsident Kibaki hatte die Arbeiter nach dem Amtsantritt zu mehr Selbstbewusstsein ermuntert und auf ihre Rechte hingewiesen – auch in den Exportzonen, die unter der Regierung Moi quasi rechtsfreier Raum waren. Zunächst brachen Streiks in der Freihandelszone von Nairobi aus, dann schwappte die Bewegung nach Mombasa und Athi River über. »Wir hatten uns in kleinen Gruppen heimlich getroffen, einige Studenten aus Nairobi haben uns geholfen. Du hättest die Überraschung bei den Wachleuten und Managern sehen sollen, als am 29. Februar 2003 fast alle 25.000 Beschäftigten aus den Fabriken auf die Straße zogen«, berichtet Nancy mit leuchtenden Augen. COTU hatte zunächst sehr zurückhaltend auf die Streikwelle reagiert, doch die Textilarbeitergewerkschaft TTWU ergriff die Gunst der Stunde, zumal ihre Frauensekretärin die erste Gewerkschaft bereits 1997 in Athi River aufgebaut hatte. Schnell schlossen sich fast alle Arbeiterinnen der Gewerkschaft an und die TTWU konnte einen ersten Tarifvertrag für die Textilbetriebe in der Exporthandelszone abschließen.
»Der Tarifvertrag hat uns relevante Verbesserungen ermöglicht. Wir haben nun ordentliche Verträge und damit alle gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen zu Überstundenzahlung, Mutterschutz und Urlaub. Der Mindestlohn von 2480 Shilling wurde auf 3999 zuzüglich 750 Shilling Wohngeld erhöht,« erläutert eine der jüngeren Kolleginnen. »Das ist noch nicht genug, wir müssen uns meist mit zwei oder drei Frauen ein Zimmer teilen. Aktuell diskutieren wir mit den Kolleginnen im Betrieb einen Tarifvertrag fürs kommende Jahr. Wir müssen dabei einbeziehen, dass einige Betriebe wirtschaftlich sehr viel besser dastehen als andere.«
Neue Frage für Gewerkschaften
Einen ähnlich guten Tarifvertrag konnte die mächtige Plantagenarbeitergewerkschaft KPAWU – mit 120.000 Mitgliedern eine der größten ganz Afrikas – nur bei dem Ananasproduzenten Del Monte abschließen, worauf mich ihr stellvertretender Generalsekretär Francis Waweru stolz hinweist. Er vergisst dabei zu erwähnen, dass dieser Tarifvertrag erst zustande kam, nachdem Menschenrechtsgruppen eine internationale Kampagne gegen die katastrophalen Arbeitsbedingungen bei dem Fruchtmulti gestartet hatten.
Mit neuen Allianzen und neuen Themen tut sich Kenias Gewerkschaftsbewegung schwer. »Frauenfragen und die Einbettung Kenias in die globalisierte Weltwirtschaft haben in der Politik der Gewerkschaften noch viel zu wenig Widerhall gefunden. Damit entgehen ihr wichtige Chancen«, bemängelt Kathini Maloba. Die ehemalige Afrika-Koordinatorin der internationalen Landarbeitergewerkschaft IUF leitet heute die Frauenorganisation KEWWO und unterhält Netzwerke mit Organisationen in Abnahme-ländern kenianischer Waren wie auch im afrikanischen Umfeld. »Die Konsu-menten fordern zunehmend faire Arbeitsbedingungen, die Arbeiterinnen in den Blumenplantagen oder Textilfabriken auch. Wenn sich unsere Gewerkschaften stärker dieser Allianzen bedienen wür–den, könnten die wirtschaftliche Erfolge Kenias auch stärkere soziale Früchte -tragen.«
Von Frank Braßel
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