Freie Bahn – für wen?

Eine Aufgliederung der ÖBB in »operative Einheiten« unter einer neuen Holding und letztlich die Suche nach einem »strategischen Partner« seien dazu erforderlich, meint die Regierung. Wird die Bahn nur von altem Ballast frei gemacht, um im Wettbewerb besser bestehen zu können, oder soll nicht doch eine freie Bahn geschlagen werden für die Konkurrenz der ausländischen Eisenbahnen und vor allem für die Lobby der Straßenfrächter?

Die ÖBB – so wieder einmal der Vorwurf der Regierung – hätten zu viele Beschäftigte, die zu teuer arbeiten und zu früh in Pension gingen, was zu Schulden der Bahn führe, die der Staat dann mit Zuschüssen auffangen müsse. Doch die Realität sieht anders aus.

Finanzierungsbedarf und Schulden

Wie kam und kommt es zu den Schulden der Bahn? Seit 1983 gibt es laut Gesetz für die ÖBB die so genannte Trennungsrechnung. Es wurde der kaufmännische vom gemeinwirtschaftlichen Bereich getrennt. Der erste machte und macht Gewinne. Die nicht kostendeckenden Leistungen aus dem gemeinwirtschaftlichen Sektor, die aber gesetzlich zu erbringen sind (Sozialtarife für Schüler, Senioren, Lehrlinge, Pendler usw.) werden vom Staat bezahlt, in der Öffentlichkeit aber als Defizit hingestellt.

Schon mit dem Konzept »Neue Bahn« der großen SPÖ-ÖVP-Koalition 1986 entledigte sich der Bund als Eigentümer eines Teils der Bahnfinanzierung. So wurden ab damals die ÖBB gezwungen – ähnlich der Konzepte für Verstaatliche Industrie und Post – den Investitionsaufwand für den Bahnausbau durch Fremdkapital bei den Banken und nicht mehr aus dem Budget zu finanzieren.

Finanzielle Aushungerung

Der nächste Schritt war die Ausgliederung der ÖBB aus dem Bundesbudget mittels Bundesbahngesetz (BBG) 1992 ab dem Jahr 1994. Damit wurden die ÖBB entsprechend den EU-Vorgaben für den EU-Beitritt Österreichs ab 1995 hergerichtet. Letztendlich bedeutete das eine weitere finanzielle Aushungerung der Bahn. So zahlten die ÖBB ab diesem Zeitpunkt jährlich ein eigenes Schienenbenutzungsentgelt, das sich derzeit auf ca. 280 Millionen Euro im Jahr beläuft. Hinzu kommen für die neue ÖBB-AG bisher nicht gekannte Belastungen wie Mineralöl-, Kommunal- oder Körperschaftssteuer usw.

Anstatt das nötige Geld direkt vom Bund zu erhalten, wurde die Schieneninfrastrukturgesellschaft (»SCHIG alt«) im direkten Besitz des Bundes geschaffen, über die die Gelder an die ÖBB, die Hochleistungsstrecken-AG (HL-AG), die Brennereisenbahn-Gesellschaft und allfällige Privatbahnen laufen. Über die SCHIG soll der Bund die nötigen Investitionen tätigen oder initiieren, welche die ÖBB allerdings zu einem erheblichen Teil durch teure Kreditaufnahmen bei den Banken finanzieren musste und muss. Dadurch entstehen Zinsendienste, so dass sich im Jahr 2003 bei der SCHIG mittlerweile an die 9 Milliarden Euro Schulden angehäuft haben. Die Zahlungen des Bundes welche die ÖBB belaufen sich derzeit für Betrieb, Investitionen, Zinsen, gemeinwirtschaftliche Leistungen – vor allem für den öffentlichen Personennahverkehr, Rückvergütung für die Mineralölsteuer und Pensionszahlungen – auf rund 4,21 Milliarden Euro (siehe Tabelle: »Zahlungen an die ÖBB«).

Zahlungen des Bundes
an die ÖBB
(In Millionen Euro)
Vom Bund
INFRASTRUKTUR
Betrieb 1.359
Investitionen 726
Zinsen 145
Gemeinwirtschaftliche Leistungen 603
MÖST-Rückvergütung 11
Pensionszahlungen 1.365
Zwischensumme 4.209
ANDERE
Familienlastenausgleichsfonds 54
Verkehrsverbünde 146
Verkehrsverträge mit Ländern und Gemeinden 28
Gesamt 4.437
Quelle: BMVIT

»Österreich ist das einzige Land in Europa, das Investitionsmittel und gemeinwirtschaftliche Bestellungen, in diesem Falle bei den ÖBB, nicht als Bezahlung für Aufträge, die sie im Namen von Bund, Ländern und Gemeinden erfüllt, sondern als Zuschüsse oder gar Defizite deklariert. Auch werden keinem anderen Unternehmen in Österreich Pensionszahlungen an seine ehemaligen Beschäftigten vorgehalten, den ÖBB schon«, so der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) Wilhelm Haberzettl.

ÖBB-Pensionen: Vorwand für Kürzungen

Auch die Pensionszahlungen des Eigentümers Staat und das frühe Pensionsantrittsalter für die Bahnmitarbeiter werden bewusst als für das ÖBB-Defizit verantwortlich hochgespielt. Aber die Eisenbahner gehen nicht in Frühpension, sondern sie erwerben die Anwartschaft auf ihre Pension. Bis dato kann jeder Eisenbahner, der mindestens 35 Versicherungsjahre im Unternehmen ÖBB nachweisen kann, in den Ruhestand gehen. Unter Mitwirkung der GdE wurde das Dienstrecht für alle ab 1. 1. 1995 neu eingetretenen Eisenbahner geändert, sie unterliegen dem Angestelltengesetz und dem ASVG. Das heißt, das Thema ÖBB-Pensionen ist ein Auslaufmodell. Die Eisenbahner im alten Dienstrecht – sowohl die Aktiven als auch die Pensionisten – bezahlen überdies in Form eines Pensionssicherungsbeitrages um rund 5 Prozent mehr Beiträge als andere Versicherte. Ein Eisenbahner bezahlt im Jahr rund 900 Euro mehr Pensionsbeiträge als jeder ASVG-Versicherte. Aus diesem Titel ist beim Bund inzwischen eine Summe von rund 870 Millionen Euro gelandet.

»Hinter dieser Strategie steckt das Aushungern der ÖBB zugunsten der Konkurrenz, insbesondere gegenüber dem Straßengüterverkehr«

ÖBB-Holding: Vorwand für Privatisierung und Ausverkauf

»Natürlich öffnet sich die Schere zwischen Beitragsdeckung und Aufwendungen, weil ja in das alte System keine Beiträge mehr fließen. Aber die Neuversicherten bei den ÖBB bezahlen dafür jetzt 40 Jahre in die ASVG ein, ohne in dieser Zeit Leistungsansprüche zu stellen. Man sollte hier einmal gegenrechnen«, so Haberzettl. Nach dem Konzept der Bundesregierung sollen die ÖBB massiv umgebaut werden. Güter- und Personenverkehr sollen stärker getrennt, das Streckennetz verkleinert, weiteres Personal (7000 Arbeitsplätze bis 2006) eingespart, die Bundeszahlungen jährlich um rund 500 Millionen Euro reduziert und Private mehr eingebunden werden. Das für die ÖBB zuständige Verkehrsministerium will mit den ÖBB längerfristige Verträge schließen, um die Höhe der Bundeszahlungen festzuschreiben, d. h. zu deckeln und damit zu reduzieren. Vorgesehen ist im Rahmen so genannter Public-Private-Partnership-Modelle (PPP) private Firmen im Bahnbereich verstärkt einzubinden, etwa bei Güter-Terminals ober bei bestimmten Trassen wie der Pyhrn-Achse.

Gleichzeitig sollen die ÖBB eine neue Struktur erhalten, an die ÖIAG (Österreichische Industrieholding AG) angegliedert und letztlich Teilbereiche – vor allem der Güterverkehr der Bahn – privatisiert werden. Als weiterer wichtiger Grund für diese Veränderungen wird von der Regierung die mit 15. März 2003 wirksam gewordene EU-Bahnliberalisierung genannt. Und so sieht der Plan im Detail aus:

ÖBB-Neu

Unter einer zunächst zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindlichen »ÖBB-Holding« werden die ÖBB in fünf Teile und darunter in weitere selbständige und eigenverantwortliche Teilgesellschaften zerlegt (siehe Grafik »ÖBB-Holding laut Gesetzesentwurf«).

Getrennt von der Holding, direkt unter den Fittichen des Bundes, bleiben nur zwei Gesellschaften. Erstens die Brenner-Eisenbahn GmbH (BEG), die Kern einer internationalen Brenner-Infrastrukturgesellschaft werden soll. Zweitens die neu zu errichtende Schieneninfrastruktur-Vermittlungs GmbH (»SCHIG neu«), in der die Trassenvergabe, die Festsetzung und Einhebung des Schienenbenutzungsentgelts, die Finanzierungsgestaltung und die technologische Weiterentwicklung angesiedelt wird.

Nach dieser Reorganisation, die 2004 abgeschlossen sein soll, sieht die Regierung die »strategische Ausrichtung« der darunter liegenden Gesellschaften vor. Ende der Legislaturperiode 2007 soll die Holding mit autonomen Subgesellschaften operativ tätig sein. In weiterer Folge werde, so Staatsekretär Kukacka, die Privatisierung von Teilbereichen angepeilt.

Die finanziellen Auswirkungen dieser Regierungspläne bringen die ÖBB in noch größere Schwierigkeiten. Die Schulden der »SCHIG alt« in Höhe von ca. 9 Milliarden Euro mit einem Haftungsrahmen von bis zu 14,5 Milliarden Euro sollen durch Eingliederung der »SCHIG alt« und praktisch des gesamten Anlagevermögens der ÖBB samt Immobilien in den neuen ÖBB-Teilbereich »Bau/Planung« als – wie es nach diesem Konzept heißt – »Gegenfinanzierung« für die »SCHIG neu« den ÖBB umgehängt werden. Damit wird sich der schon bestehende Zinsendienst der ÖBB von derzeit 591 Millionen Euro weiter erhöhen und deren Handlungsspielraum noch mehr einschränken. Um die so »entstandenen« neuen Schulden zu reduzieren, sollen die ÖBB laut Regierungsvorhaben jährlich 500 Millionen Euro selbst aufbringen, unter anderem durch den Verkauf von Immobilien. Zusätzlich soll für die ÖBB das Schienenbenutzungsentgelt von derzeit knapp 280 auf über 550 Millionen Euro verdoppelt werden. Ein Todesstoß- statt einem Ausbauprogramm.

Gleichzeitig wird die vom Bund geplante »SCHIG neu« als eine in der beschriebenen Weise von den »Altlasten« befreite Gesellschaft errichtet. Diese erhält künftig die für die Bahn vorgesehenen Bundesgelder und finanziert damit den Neuausbau und die Trassenvergabe, wobei verstärkt Private einbezogen werden sollen. Bundesgeld, das für die ÖBB angeblich nicht da ist, wird über die »SCHIG neu« an den ÖBB vorbei zu privaten Firmen umgeleitet. So wird die Privatisierung und der Ausverkauf der österreichischen Bahn – möglichst unbemerkt vor der Öffentlichkeit – eingeleitet und forciert.

Dabei stehen die ÖBB keineswegs schlecht da. Der Umsatz war 2002 mit 2,11 Milliarden Euro gleich hoch wie 2001, der Gewinn stieg um 3 Millionen auf 125 Millionen Euro, der Personenverkehr auf fast 279 Millionen beförderter Personen, der Gütertransport auf fast 88 Millionen Tonnen, was den achten Tonnage-Rekord in Folge seit 1994 bedeutet. Die Produktivität stieg weiter auf über eine Million Einheitskilometer je Beschäftigten. Lediglich der ÖBB-Personalstand wurde weiter reduziert – auf 47.000 Beschäftigte im Jahr 2002.

Nach Ansicht der AK ist es Ziel der Regierung, die ÖBB als integriertes und erfolgreiches staatliches Eisenbahnunternehmen in Europa zu schwächen. AK-Verkehrsexpertin Sylvia Sarreschtehdari-Leodolter: »Die ÖBB liegen international im Spitzenfeld«. Bei der gewinnträchtigen Güterbeförderung ist die ÖBB fünftgrößter Player in Europa. Trotz des massiven Lkw-Verkehrs werden in Österreich 35% der Güter auf der Schiene transportiert. Der EU-Durchschnitt liegt nur bei 14%. Aus einer Studie der ÖBB geht hervor, dass den ÖBB durch eine Aufgliederung und allein durch den Wegfall der damit verbundenen Synergieeffekte jährlich Mehrkosten in Höhe von 109 Millionen Euro erwachsen.1)

»Da es derzeit nur bedingt europäische Rahmenbedingungen bzw. österreichische Regelungen dafür gibt, müssen sich weder ausländische noch inländische Privatbahnen an Sicherheits-, Ausbildungs- und Arbeitsrechtsstandards halten«

Weniger Geld des Bundes für die von den ÖBB erbrachten Leistungen bedeutet aber weniger Geld für Investitionen, Instandhaltung und Schienenausbau. Im Endeffekt führt das aber zu weniger Sicherheit, weniger Nahverkehr und insgesamt zur Verschlechterung des Bahnangebots. Damit werden die Kunden ausbleiben und es findet eine indirekte Bevorzugung des Individualverkehrs und des Güterverkehrs auf der Straße statt.

Liberalisierung – weitere Benachteiligung der Bahn

Marktmäßig liegen die ÖBB als integriertes staatliches Unternehmen in Bezug auf die EU-Liberalisierung schon jetzt im guten europäischen Mittelfeld.2) Durch die mutwillige Schwächung der erfolgreichen ÖBB wird eine Wettbewerbssituation zu privaten Anbietern erst künstlich erzeugt. Die Bundesregierung erweist sich damit als Musterschüler mit vorauseilendem Gehorsam. Denn der geplante ÖBB-Umbau, der einen wesentlichen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Bahndienstleistung, der Privatisierung zuführt, stellt einen Vorgriff auf das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade and Services) der Welthandelsorganisation (WTO) dar.

Dieses strebt die volle Liberalisierung und Privatisierung von Dienstleistungen an. Allerdings hat die Bundesregierung auf die aus der bereits existierenden EU-Liberalisierung und aus den noch viel weiter reichenden GATS-Plänen resultierenden Veränderungen für die ÖBB in den Bereichen Sicherheit, Arbeitszeit- und Ausbildungsregelung immer noch nicht reagiert.

»Hier sind die Versäumnisse besonders groß«, kritisiert der Verkehrsexperte der AK Wien Gregor Lahounik die Situation. Und weiter: »Derzeit gelten für die angesprochenen Bereiche in Österreich die internen Vorschriften und Richtlinien der ÖBB.

Dies ging so lange gut, als es in Österreich nur die ÖBB und einige österreichische Privatbahnen gab, die die ÖBB-Vorschriften übernahmen. Mit der Liberalisierung fahren auch ausländische Bahnen im grenzüberschreitenden Verkehr auf Österreichs Schienen. Da es derzeit nur bedingt europäische Rahmenbedingungen bzw. österreichische Regelungen dafür gibt, müssen sich weder ausländische noch inländische Privatbahnen an Sicherheits-, Ausbildungs- und Arbeitsrechtsstandards halten. Es herrscht ein gesetzliches Vakuum. Überdies gibt es weder technische Vorkehrungen (wie Tachographen), noch Instanzen und Personal, um Verstöße – ähnlich wie im Straßenverkehr – zu kontrollieren«.3)

Anstatt hier schnell Abhilfe zu schaffen, zum Beispiel die Eisenbahnbehörde personell besser auszustatten und ihr mehr Kompetenz mit klaren gesetzlichen Grundlagen für alle Eisenbahnunternehmen zu übertragen, ist durch die so genannte Verwaltungsreform (Deregulierungsgesetzes 2001) eine gegenteilige Entwicklung eingetreten: Es fand eine Regionalisierung der Prüfung und Überwachung eisenbahnrelevanter Betriebs-, Sicherheits- und Baubestimmungen auf 94 regionale Eisenbahnbehörden (Bezirkshauptmannschaften) für die Anschlussbahnen, sowie neun weiterer Behörden für die Nebenbahnen statt. Dementsprechend herrscht auf diesem Gebiet ein völliges Chaos. Überdies haben in den letzten Jahren die Kürzungen der Budgetmittel im Erhaltungsbereich um 220 Millionen Euro zu einem Raubbau an der Substanz der ÖBB geführt.4)

Wohin die Liberalisierung führen kann, zeigen ausländische Beispiele. Höhere und unübersichtliche Fahrpreise, mehr Bahnunfälle, mehr Verspätungen, geringeren Komfort, Ausdünnung des Angebots und eine Verschlechterung der Qualität besonders im ländlichen Raum. »In Dänemark zum Beispiel entfallen Züge, weil die Privatbetreiber zu ihren Konditionen keine Beschäftigten mehr bekommen. In Großbritannien, dem Musterland der Privatisierung, musste nach dem Zusammenbruch des liberalisierten Eisenbahnmarktes wieder der Staat in die Bresche springen. Der Nachholbedarf lag bei 5 Milliarden Euro«, skizziert der oberste ÖBB-Personalvertreter Haberzettl die Nachteile für Steuerzahler und Bahnkunden.

1) Vergleiche Gregor Lahounik, Karl Delfs, Christine Kainz, Sylvia Sarreschtehdari-Ledodolter, Ernst Spuller, Harald Voitl: Endstation Trennung. Ein Memorandum der AK und der GdE zur Trennungsdiskussion bei den ÖBB, Wien 2001
2) Das ergibt eine Studie der IBM Business Consulting Services in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner von der Humboldt-Universität Berlin zur Liberalisierung der europäischen Eisenbahnverkehrsmärkte, Brüssel Dezember 2002
3) Vergleiche auch: Christine Kainz/Ernst Spuller/Harald Voitl; GdE/AK: Eisenbahnsystem in Österreich, Defizite/Herausforderungen, Wien 2002
4) Vergleiche Memorandum der GdE an eine künftige Bundesregierung über notwendige verkehrspolitische Schwerpunkte, 5.12.2002

Arbeit & Wirtschaft – Interview
Wilfried Leisch spricht mit Wilhelm Haberzettl

Das bedeutet das Ende der ÖBB

A&W: Warum sind die Regierungspläne zur ÖBB so gefährlich?
Wilhelm Haberzettl:
Weil man das einheitliche Unternehmen ÖBB mutwillig auseinanderreißt. Das hat gravierende Folgen für die Geschäftstätigkeit, die Beschäftigten und die Bahnkunden.

Zum Beispiel der geplante Teilbereich Absatz: Da wird es sofort zur Trennung in Personen- und Güterverkehr kommen. Der Güterverkehr wird, weil der Finanzministers dafür nichts mehr bezahlen will, gezwungen werden, sich entweder Partner zu suchen, oder an die Börse zu gehen. Der Personenverkehr wird noch weiter regionalisiert werden.

Derzeit ist es noch so, dass der lukrativere Güterverkehr den nicht profitabel zu führenden öffentlichen Personennahverkehr, der letztlich 80 Prozent des gesamten Personenverkehrs ausmacht, indirekt mitfinanziert.

Bei einer Trennung der beiden Bereiche, wird der Gewinn aus dem Güterverkehr mit anderen – höchstwahrscheinlich privaten Partnern – geteilt, und es ist sicher nicht mehr möglich, Geldflüsse zum Personenverkehr herzustellen.

Das heißt, entweder hat die öffentliche Hand Mehrausgaben zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs zu leisten, oder es kommt zu eklatanten Fahrpreiserhöhungen oder zu einer Angebotskürzung (Fahrplanreduktion) oder zu einem Mix aus allen dreien.

A&W: Sie sprechen sich auch vehement gegen eine eigene Personalfirma aus.
Wilhelm Haberzettl:
Ja. Damit sollen jene Beschäftigten, die Manager als »gute« definieren, herausgenommen werden und der »Rest« bleibt bei den ÖBB. Erstens weiß keiner, wer den »Rest« bezahlen soll. Zweitens werden das dann diejenigen sein, die etwas »schwächer« sind, die etwa eine bestimmte Anzahl an Krankenständen oder einen schlechteren Ausbildungsstand haben, die älter sind, die nach Meinung der Manager zu teuer sind. Das ist ein schlichtweg menschenverachtendes Vorgehen und hat System. Verkehrsstaatsekretär Kukacka hat ja schon angedroht, notfalls das ÖBB-Dienstrecht »per Gesetz« zu ändern, um einen »flexibleren Einsatz« der Eisenbahner zu erreichen. Ich befürchte, dass es zu eklatanten Verschlechterungen in Arbeitsrecht und Einkommen für die Eisenbahner kommt.

Aber es genügt schon das Vorhaben der Regierung, bei den ÖBB jährlich 500 Millionen Euro einzusparen. Das würde bedeuten, dass sich die ÖBB massiv zurückziehen. So groß können die Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte gar nicht sein, dass man 500 Millionen Euro einsparen kann. Da ist kein Betrieb aufrecht zu erhalten. Daher bekämpfen wir das.

A&W: Was steckt hinter dieser Strategie?
Wilhelm Haberzettl:
Das Aushungern der ÖBB zugunsten der Konkurrenz, insbesondere gegenüber dem Straßengüterverkehr.

Wenn man sieht, dass die Zahlungen des Bundes für die Frächter via die Asfinag (Autobahn- und Schnellstraßenfinanzierungsgesellschaft) ständig steigen und die Steuerzahler den Straßenausbau für die Frächterlobby finanzieren müssen, dann wird das hingenommen und kaum thematisiert. Bei der Bahn wird immer mehr gekürzt, jedoch von Belastungen des Steuerzahlers gesprochen. Da wir doch absichtlich mit zweierlei Maß gemessen.


Arbeit & Wirtschaft – Interview
Mit S. Sarreschtehdari-Leodolter und G. Lahounik, AK Wien

Sicherheitsloch durch Liberalisierung

A&W: Mit 15. März 2003 trat die EU-Liberalisierung in Kraft. Was bedeutet das für die ÖBB?
Sylvia Sarreschtehdari-Leodolter: Die ÖBB sind gut darauf vorbereitet, sie hatten ja hohe Sicherheits- Ausbildungs- und arbeitsrechtliche Standards. Jetzt können aber auch ausländische Bahnunternehmen in Österreich fahren und für die gibt es keine Bestimmungen.

Das verzerrt nicht nur den Wettbewerb für die ÖBB, sondern führt auch zu einem Sicherheitsloch: Niemand weiß genau und kontrolliert, wer mit welcher Ausbildung und welchem Lok- und Wagenmaterial, mit oder ohne Streckenkenntnis auf Österreichs Schienen unterwegs ist. Hier ist die Regierung säumig, zum Schaden des Unternehmens ÖBB, der dort Beschäftigten und der Fahrgäste.

A&W: Was fordert die AK von der Regierung?
Gregor Lahounik: Zwar müssen ausländische Bahnbetreiber eine Sicherheitsbescheinigung, eine nationale Konzession, die Trassenzuweisung und eine ausreichende Haftpflichtversicherung vorweisen. Es fehlen aber die detaillierten gesetzlichen Bestimmungen dazu, insbesondere über die Ausbildung der Eisenbahner für den europaweiten Personaleinsatz, über den Nachweis dieser Ausbildung (»Lokführerschein«), über Lenk- und Ruhezeiten im grenzüberschreitenden Personaleinsatz, über Bauart, Genehmigung und Sicherheitsvorschriften der Waggons und Loks, über Kontroll- und Sanktionsbestimmungen bei Verstößen und über klare Rahmenbedingungen für die Neuerteilung von Konzessionen auf der Schiene in Österreich.


R E S Ü M E E

Abwehrmaßnahmen

Eisenbahngewerkschaft und AK fordern daher von der Regierung, die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Bereichen Sicherheit, Ausbildung und Arbeitsrecht für den liberalisierten Markt zu schaffen, die Wettbewerbsverzerrungen zum Straßengüterverkehr zu beseitigen, die ÖBB mit den nötigen Finanzmitteln auszustatten und von einer für die Allgemeinheit teureren Aufsplitterung und Veräußerung ertragreicher Bereiche der ÖBB abzusehen.
Haberzettl kämpferisch: »In dem Augenblick, wo es zu den ersten konkreten Schritten zur Holdingbildung mit der Trennung in Teilbereiche kommt, bedeutet das für uns eine Kampfansage. Da brauchen wir noch gar nicht von Streik reden. Dann machen wir Dienst nach Vorschrift. Denn wenn in den ÖBB keine Überstunden mehr gemacht werden, steht binnen dreier Wochen das gesamte Unternehmen. Schon jetzt haben wir bei den ÖBB rund 6000 Leute zu wenig.«

Von Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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