Armutskonferenz: Die Armut bleibt weiblich

Claudia F. ist armutsgefährdet. Die 38-jährige allein erziehende Mutter zweier Kinder arbeitet als Reinigungskraft in Teilzeit durchschnittlich sechs Monate im Jahr. Die restlichen sechs Monate bekommt sie schwer eine andere Arbeit, weil sie keine abgeschlossene Ausbildung hat. Da Arbeitslosengeld und Notstandshilfe von ihrem niederem Einkommen bemessen werden, sind sie so gering, dass sie davon nicht leben kann. Die langen Zeiträume ohne Arbeit wirken sich nicht nur auf ihre Stimmung, sondern vor allem auf ihre Pension negativ aus. Geschieht kein Wunder, wird sie im Alter arm sein. Das befürchtet auch ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Csörgits: »2001 erhielt mehr als die Hälfte der Frauen, die in Pension gingen, eine Leistung von weniger als 700 Euro brutto im Monat. Schneidet man da noch einmal – wie in der Pensionsreform der Regierung geplant – zehn Prozent weg, rutschen noch mehr Frauen im Alter in die Armut ab.«

310.000 sind arm

880.000 Menschen in Österreich sind armutsgefährdet. 310.00 sind arm. Was aber heißt Armut im dritten Jahrtausend? Arm laut Statistik ist, wer über nicht mehr als 780 Euro Haushaltseinkommen verfügt und z. B. in einer Substandardwohnung lebt. Oder wer gröbere Rückstände bei Zahlungen von Miete, Betriebskosten und Krediten hat. Arm ist, wer nicht genug Geld hat, um die Wohnung zu heizen oder Kleidung und Lebensmittel zu kaufen.

Die Armutskonferenz

Arm ist man auch, wenn es für einen Haushalt finanziell nicht möglich ist, zumindest einmal im Monat nach Hause zum Essen einzuladen. Denn arm ist, wer aus finanziellen Gründen am Alltagsleben nicht mehr teilnehmen kann. »Zur Armut führen viele Straßen« sagt ein altes Sprichwort. Die österreichische Armutskonferenz – »die Lobby derer, die keine Lobby haben« – weiß von vier Faktoren, die das Armutsrisiko von vornherein steigern: Keine oder vielfach atypische Erwerbstätigkeit, Geschlecht, Familiensituation und Staatsbürgerschaft. Nicht nur soziale Randgruppen – wie Haftentlassene, Wohnungslose und Suchtkranke – tappen in die Armutsfalle, sondern auch Langzeitarbeitslose, stark Überschuldete, Haushalte von Behinderten und Migranten-Haushalte. Und nach wie vor ist die Armut vor allem weiblich. 13 Prozent der Frauen sind armutsgefährdet, 9 Prozent der Männer. 200.000 Frauen und 110.000 Männer sind arm. Armut trifft besonders häufig Alleinerzieherinnen und mehr denn je arbeitende Menschen.

Immer mehr »Working Poor«

Atypische Beschäftigungsformen führen immer öfter zur Verarmung. Auch bei uns gibt es die »Working Poor«, wie man in den USA jene Menschen nennt, die seit Ende des 20. Jahrhunderts trotz mehrerer »McJobs« zu wenig zum Leben haben. Ihre Zahl nimmt auch in Österreich stetig zu, diagnostizieren Karin Heitzmann und Michael Förster im aktuellen Sozialbericht des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen. »Arbeit schützt vor Armut nicht«, warnt die Armutskonferenz und weist auf 57.000 arbeitende Menschen hin, die arm sind, hin: »Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich auch in nicht existenzsichernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder.«

NAP 2003 bis 2005

»Den Interessen nachzugeben, die einen Niedriglohnsektor mit Arbeit um jeden Preis forcieren, bedeutet eine gesellschaftspolitische Zeitbombe auf den Weg zu bringen.« Die Armutskonferenz entstand 1995 in Salzburg. Dort formierte sich ein breites und buntes Bündel von zivilgesellschaftlichen Kräften – Wohlfahrtsverbänden, Dachverbänden von Sozialinitiativen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen, wie den ÖGB-Frauen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen und Zusammenschlüssen von Armutsgefährdeten wie Alleinerziehenden und Arbeitslosen. Das »Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung« hat es sich zur Aufgabe gemacht für soziale Grundrechte der Betroffenen einzutreten. In ihrem Newsletter Nummer 7 vom Mai 2003 legt die Armutskonferenz ihren Nationalen Aktionsplan für 2003 bis 2005 vor.

Geeignetes Forum fehlt

Beim Gipfel von Nizza im Dezember 2000 hat der Europäische Rat nämlich beschlossen, dass die EU-Mitgliedsstaaten alle zwei Jahre Nationale Aktionspläne zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (NAP) ausarbeiten und an die Europäische Kommission übermitteln sollen. Die war vom letzten österreichischen NAP 2000 bis 2002 nicht gerade begeistert und kritisierte, dass er vor allem bestehende Maßnahmen aufliste, aber konkrete Zielvorgaben und Vorschläge fehlen würden. Auch würden keine finanziellen Ressourcen für die Umsetzung des NAP veranschlagt und bereitgestellt. Und von der Einbeziehung aller relevanten AkteurInnen könne keine Rede sein. Diese Ansicht vertritt auch Gabriele Schmid, Sozialpolitikerin der Bundesarbeitskammer, die die ArbeitnehmerInneninteressenvertretung in der Bundesplattform »Nationaler Aktionsplan für soziale Eingliederung« vertritt: »Soll ein ernsthafter Prozess zur Auseinandersetzung mit Armut und sozialer Ausgrenzung in Österreich eingeleitet werden, so braucht es unserer Ansicht nach geeignete Strukturen und Foren oder Plattformen, die den Prozess vorantreiben können. Ein solches Forum, das die wesentlichen Akteure Länder, NGOs, Sozialpartner, Regierungsvertreter umfasst, fehlt bislang.«

Wenig Interesse am Dialog

»Unser soziales Netz ist dicht geknüpft, und wir wollen im Verbund mit der Europäischen Union alles dazu beitragen, dass dies auch so bleiben kann. Denn damit wir unser ausgezeichnetes Sozialsystem erhalten, dürfen wir uns vor demografischen und sozialen Entwicklungen nicht verschließen, sondern müssen dieser Herausforderung aktiv begegnen« So weit Vizekanzler und Sozialminister Herbert Haupt in einer Presseaussendung am Vormittag des 16. April dieses Jahres.

Anlass für diese schönen Worte war die Tagung eben dieser Bundesplattform »Nationaler Aktionsplan für soziale Eingliederung«. Haupt dazu: »Gerade bei diesem entscheidenden Thema ist es sehr wichtig, dass alle Beteiligten ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen, damit unter Bündelung aller Kräfte gemeinsam auf dieses Ziel hingearbeitet werden kann.«

Gabriele Schmid von der Abteilung Sozialpolitik der AK-Wien erinnert sich noch gut an den 16. April: »Am Nachmittag gab es eine Podiumsdiskussion, zu der aber weder Minister Haupt noch Staatssekretärin Ursula Haubner kamen. Das Podium kam daher einhellig zum Schluss, dass die politisch Verantwortlichen wohl wenig Interesse am Dialog haben.« Dabei hätte es viel zu besprechen gegeben, meint Gabriele Schmid: »Es tut mir leid, sagen zu müssen, eine Fortentwicklung, Anstrengungen, Bemühungen, das Thema Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung aktiv anzugehen, kann ich seitens der Regierung keine erkennen.«

Armutsfalle geht weiter auf

Denn nach wie vor würden dringend erforderliche Aktivitäten für armutsgefährdete und arme Bevölkerungsgruppen im NAP fehlen. Die Regierungspläne das Pensions- und Gesundheitswesen betreffend, würden noch mehr Menschen als bisher in die Armut treiben. »Die geplanten Selbstbehalte in der Krankenversicherung treffen insbesondere Arme, chronisch und schwer Kranke«, erklärt die Expertin und: »Die geplante Verlagerung der Notstandshilfe in die Sozialhilfe grenzt Langzeitarbeitslose weiter aus und verschärft deren ökonomische Situation.«

Maßnahmen, von denen auch Claudia F. betroffen sein wird. Ihr kleines Budget wird noch mehr schrumpfen, damit das große Budget weiter glänzen kann. Dass die Regierung an einem Nationalen Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung arbeitet, wird relativ spurlos an ihr vorüber gehen. Wenn sie ein paar Euro übrig hat wird sie wieder einmal Lotto spielen, vielleicht hat sie ja Glück. Wie sagt ein Schweizer Sprichwort: »Hinter jedem Reichen steht ein Teufel, und hinter jedem Armen – zwei.« Hinter jeder armen Frau sind es vermutlich noch ein paar mehr.

Armutsgefährdungsschwellen für unterschiedliche Haushaltstypen, 1999
Haushaltszusammensetzung Jahreswerte, öS Jahreswerte, EUR
Einpersonenhaushalt 128.900 9.370
Ein Erwachsener + 1 Kind 167.600 12.180
Zwei Erwachsene 193.400 14.050
Zwei Erwachsene + 1 Kind 232.000 16.860
Zwei Erwachsene + 2 Kinder 270.700 19.680
Zwei Erwachsene + 3 Kinder 309.400 22.490

Quelle: IFS (2002), Europäisches Haushaltspanel (ECHP/PDB), 6. Welle, eigene Berechnungen
Bemerkung: Armutsgefährdungsschwellen in Netto-Jahreswerten. Zahlen auf 100er-Stellen (öS) bzw. 10er-Stellen (EUR) gerundet.

Von akuter Armut wird gesprochen, wenn zu den oben beschriebenen beschränkten finanziellen Verhältnissen auch Einschränkungen zur Abdeckung grundlegender Lebensbedürfnisse treten. Dies wird dann angenommen, wenn – zusätzlich zu geringem Einkommen – eine der fünf folgenden Situationen auftritt:

  1. Substandardwohnung;
  2. Rückstände bei Zahlungen von Mieten und Krediten;
  3. Probleme beim Beheizen der Wohnung;
  4. Unmöglichkeit, abgenutzte Kleidung durch neue Kleider zu ersetzen;
  5. Unmöglichkeit, zumindest einmal im Monat nach Hause zum Essen einzuladen.

Akute Armut umfasst also die am meisten gefährdete Untergruppe innerhalb der armutsgefährdeten Bevölkerung.

Armutsgefährdung im europäischen Vergleich:
Armutsgefährdungsrate (%)
Dänemark 8
Finnland 9
Schweden 12
Österreich 13
Niederlande 13
Deutschland 14
Belgien 15
Frankreich 17
Italien 19
Spanien 19
Irland 20
Vereinigtes Königreich 22
Griechenland 22
Portugal 23
Quelle: Europäisches Haushaltspanel

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