Daseinsvorsorge: Wird Überlebensfrage für Gemeinden

Gemeinden nehmen in Österreichs föderalistischem Staatssystem eine besondere Rolle ein. Sie garantieren zum einen die Nähe zu den BürgerInnen, womit ein Ausgleich zu den Entscheidungen angestrebt wird, die auf zentralstaatlicher und in zunehmendem Maße auf gesamteuropäischer Ebene getroffen werden. Zum anderen sind sie von den rechtlichen Rahmenbedingungen und von den Grundlagen der Finanzierung, die vom Bund, teils auch von den Bundesländern geschaffen werden, stark abhängig.

Die über 2300 österreichischen Gemeinden einschließlich ihrer Unternehmungen und der Gemeindeverbände erbringen verschiedene Sicherheits-, Ordnungs- und Dienstleistungsaufgaben und sorgen für große Teile der öffentlichen Infrastruktur. Dazu zählen vor allem Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Behinderten und älteren Menschen, weiters für Pflichtschulen, für öffentliche Verkehrswege (in den großen Städten betreiben sie auch die öffentlichen Verkehrsmittel), die Wasserver- sowie die Abwasser- und Müllentsorgung.

Gemeinden – vor allem die großen Städte – sind auch von wirtschaftspolitischer Bedeutung, denn mit ihren Investitionen tragen sie zur Entfaltung der Wirtschaft bei und bieten zahlreiche Arbeitsplätze. Der beispiellose Aufstieg Österreichs in den vergangen Jahrzehnten zu einem hochentwickelten Land, das seit 1995 auch seinen Platz in der Europäischen Union einnehmen konnte, ist so dem Wirken der Gemeinden im Sinn einer immer umfassenderen »Daseinsvorsorge« zu verdanken. Sie ist nach Art und Umfang und was den Mitteleinsatz betrifft in allen Gemeinden – in den Städten aber ganz besonders – stark gewachsen. Dies ergibt sich aus den gestiegenen Anforderungen von BürgerInnen, Wirtschaft und anderen Bereichen, wie Ökologie und Umweltgesetzgebung so wie der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Noch haben die Gemeinden die Abschaffung der nicht EU-konformen Getränkesteuer und der Reduzierung der Werbesteuer Ende die Neunzigerjahre nicht voll verkraftet, da ist ihnen ein neues Finanzproblem erwachsen. Denn die seit wenigen Jahren forcierte Konsolidierung des Bundeshaushaltes, teils auch jene der Länder, hat zu einem spürbar gesunkenen Anteil der Gemeinden am gesamten Abgabenaufkommen in der Republik geführt.

Finanzierungsprobleme nehmen zu

Der Bund holte sich mit den verschiedenen steuerlichen Maßnahmen der letzten Zeit nicht nur von den BürgerInnen, sondern auch von den Gemeinden zusätzliches Geld. Und die Bundesländer haben einen Teil ihrer Förderungen an die Gemeinden reduziert, teils auch Umlagen und Beiträge, die sie von den Gemeinden – vor allem von den finanzkräftigeren – erheben, erhöht.

Erstmals seit den Sechzigerjahren ist so der Anteil aller Gemeinden (einschl. Wiens) am gesamten Steueraufkommen um fast 1,5 Prozentpunkte gesunken. Das macht rund 700 Millionen Euro jährlich aus.

Nicht zu vergessen ist, dass die Ausgabenkürzungen und Privatisierungen des Bundes, was bekanntlich u. a. zum Schließen von Bahnhöfen, Kasernen, Postämtern, zum Aufschieben von Erneuerungsinvestitionen (z. B. bei den Bundesschulen), zum Ausfall von Kultursubventionen und von Mitteln für die Krankenanstalten führte, die Gemeinden mehr als bisher belastet. Außerdem hat der Bund größeren Städten neue Aufgaben aufgebürdet, in dem etwa Aufgaben der Bundespolizeibehörden ohne finanzielle Abgeltung an die (städtischen) Bezirksverwaltungsbehörden übertragen worden sind.

In nächster Zeit droht ein weiterer Anschlag des Bundes auf die Gemeindekassen. Sollte nämlich die Kommunalsteuer (früher Lohnsummensteuer) als ein Teil der wirtschaftspolitisch so beklagten »Lohnnebenkosten« gekürzt werden, würde dies die Gemeinden – primär die größeren – stark betreffen. Neben der verhältnismäßig wenig ergiebigen Grundsteuer ist die Kommunalsteuer schließlich die einzig bedeutende eigene Steuer der Gemeinden, die bundesgesetzlich geregelt ist.

In der Regierungserklärung des Kabinetts Schüssel II wird zwar die Senkung der Lohnnebenkosten als wichtig genannt, von einer Schonung der Gemeindekassen ist aber nicht die Rede.

Den Gemeinden wird zum Ausgleich für diese Steuerausfälle empfohlen, Gebühren und Tarife für ihre Dienste und Einrichtungen zu erhöhen. Dies ist ohnehin der einzige einnahmenrelevante Bereich, in dem die Kommunalpolitik eigene Handlungsspielräume besitzt. Dies wird allerdings ungern getan, da sozial Schwächere von solchen Erhöhungen stärker betroffen sind als Wohlstandsbürger.

Der Finanzausgleich als zentrales Instrument der Aufteilung der Abgabenerträge auf Bund, Länder und Gemeinden muss bis Herbst 2004 neu geregelt werden, da das gültige Finanzausgleichsgesetz 2001 abläuft. Hier zeichnet sich – ein bisher in dieser Schärfe nicht bekannter – Konflikt zwischen den Gemeinden, konkreter zwischen kleinen Gemeinden (vertreten durch den Österreichischen Gemeindebund) und größeren Städten (vertreten durch den Österreichischen Städtebund) ab. Beide machen sich für einen besser »aufgabenorientierten« Finanzausgleich stark, wenngleich mit unterschiedlicher Gestaltung.

Hinter der Aufgabenorientierung steht eine partiell an den unterschiedlichen faktischen Aufgaben der Gemeinden ausgerichtete Mittelverteilung des Steuerverbundes (Ertragsanteile der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben) anstelle der jetzt in höherem Maße einwohnerorientierten Verteilung. Allerdings stellt der Steuerverbund nur ein wichtiges Element des gesamten Finanzausgleichssystems dar.

Die derzeitige Verteilung der Gemeindeanteile am Steuerverbund erfolgt in hohem Maße nach einem Schlüssel, der sich stark an der Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde orientiert (abgestufter Bevölkerungsschlüssel). Demzufolge werden in Gemeinden zwischen 10.001 und 20.000 Einwohnern um rund 12,5 Prozent höhere Pro-Kopf-Mittel zugewiesen als in den Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern. Eine weitere Abstufung betrifft die Gemeinden mit 20.001 bis 50.000 sowie Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohner. Letztere erhalten pro Einwohner um 75 Prozent höhere Mittel als die Kleingemeinden. Dieses schon seit Jahrzehnten im österreichischen Finanzausgleich verwendete und im Lauf der Zeit deutlich abgeschwächte Verteilungskriterium fußt vor allem auf der Vorstellung, dass mit steigender Gemeindegröße mehr Aufgaben (z. B. städtischer Nahverkehr, zentralörtliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Theater, Betreuungseinrichtungen für Randgruppen) wahrgenommen werden und ein guter Teil der Aufgaben teurer zu erledigen ist als in Kleingemeinden.

Vertreter der Kleingemeinden wiederum weisen – nicht zu unrecht – daraufhin, dass einige Aufgaben, wie etwa Straßen- und Kanalnetze, in dünn besiedelten Kleingemeinden höhere Kosten pro Einwohner erfordern als in dichter bebauten und meist größeren Gemeinden.

Verteilungsstreit

Leider überschattet dieser Streit zwischen den Gemeinden den oben beschriebenen Umstand, wonach trotz gewisser zusätzlicher Aufgaben auf der Gemeindeebene der Bund sich höhere Anteile am »Steuerkuchen« reserviert. Es wäre besser, wenn sich alle Gemeinden gegen die Aushöhlung ihrer Finanzbasis durch den Bund wehrten.

Überschattet werden von diesem Streit aber auch die Reformperspektiven: So steht im Bundesstaat eine tief greifende Reform der Aufgabenverteilung an. Und auch auf Gemeindeebene ist seit vielen Jahren eine Reform der Gemeindestrukturen überfällig.

Während viele Industrieländer längst durch intensive Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden (vor allem in den dicht besiedelten Zonen der großen Städte) und teils auch durch Schaffen von Großgemeinden – so zählt etwa Schweden mit etwas mehr Einwohnern und einer deutlich größeren Fläche als Österreich nur 400 Gemeinden! -, während es allein im Bundesland Steiermark rund 250 Kleinstgemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern gibt) eine gute Basis für effektives und effizientes Wirtschaften der Gemeinden geschaffen haben, gibt es dies in Österreich viel zu wenig.

Nicht in allen Infrastrukturbereichen und schon gar nicht in der örtlichen Raumplanung, in der Verkehrsplanung, im Verwaltungsbereich besteht eine weit reichende und Kosten sparende Zusammenarbeit der österreichischen Gemeinden. So manche Umlandgemeinde siedelt dagegen große Supermärkte zum Schaden der Kernstädte bzw. der Stadtzentren an. Auch um neue Betriebe kämpfen die Gemeinden untereinander mit »Dumpingpreisen« für aufgeschlossene Industriegrundstücke, statt die gesamten Lasten und Vorteile gemeinsam zu tragen.

Ein guter Teil dieser Konkurrenzkämpfe zwischen den Gemeinden wird auch auf dem Rücken der Bewohner ausgetragen, wenn die Qualität der Aufgabenerfüllung (z. B. Öffnungszeiten der Kindergärten) nicht stimmt oder wenn teure Einrichtungen, wie Veranstaltungszentren, Hallenbäder, Sportstadien wegen mangelnder Zusammenarbeit nicht gut ausgelastet und damit defizitär sind.

Von Helfried Bauer (KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung in Wien)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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