Eine Bedrohung unserer Daseinsvorsorge? | »Für ein Moratorium der GATS 2000 Verhandlungen …« durch die Hintertür?

A&W: Worum geht es im Kern der GATS-Verhandlungen?
Lori Wallach: Es geht darum, wer die öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheit oder Erziehung kontrolliert. Wer wird bestimmen, welche Menschen Zugang zu ihnen haben? Wie werden die Arbeitsbedingungen für jene aussehen, die sie erbringen? Welchen politischen Spielraum werden die Regierungen haben, um das öffentliche Interesse von Arbeitnehmern und Konsumenten zu wahren.

A&W: Welche Themen betreffen die Arbeitnehmer direkt?
Wallach: Sowohl hinsichtlich der Teilhaberchancen der Bevölkerung als auch des Handlungsspielraums der Regierungen, Dienstleistungen zu regulieren, sind die laufenden Verhandlungen eine ernsthafte Bedrohung der Arbeitnehmer. Der Druck steigt, alle Dienstleistungen zu privatisieren. Die nordamerikanischen Anbieter im privaten Gesundheits- und Erziehungsbereich schauen bereits gierig nach dem österreichischen Markt mit seinem funktionierenden System. Sie sehen ihn ausschließlich als Handelspotential und nicht aus der Perspektive, den Zugang auch für ärmere Arbeitnehmer zu garantieren.

Unter dem Begriff »Marktzugang« ist auch die Liberalisierung des so genannten Mode 4 eine ernste Gefahr. Dieser Mechanismus gestattet es ausländischen Unternehmen, Verträge zur Dienstleistungserbringung zu schließen und die Arbeiter hiefür selbst bereitzustellen. Und zwar (wenn es nach manchen Liberalisierungsbefürwortern geht, Anm. d. Übers.) zu den Bedingungen des Landes, mit dem der Vertrag geschlossen wurde. Das bedeutet, dass Arbeitskräfte nach der Farbe des Reisepasses bezahlt werden.

A&W: Die Befürworter der GATS-Liberalisierung argumentieren, dass nicht die Privatisierung, sondern die Liberalisierung der Dienstleistung verhandelt wird. Worin liegt der Unterschied?
Wallach: Es ist ein rein technischer Unterschied. In der Praxis, wie wir bei unserem Freihandelsabkommen NAFTA gesehen haben, gibt es keinen. Im NAFTA gibt es keine Forderung nach Privatisierung, wie auch die GATS-Befürworter betonen. Gefordert werden allerdings der freie Marktzugang und die so genannte »Inländerbehandlung«. Ein Unternehmen aus den drei Partnerstaaten (USA, Kanada, Mexiko) hat Garantie auf Marktzugang, sobald irgendeine Dienstleistung auf den privaten Markt kommt. Und es gelingt den Unternehmen, das Vertrauen in die öffentlichen Dienst-leistungen zu erodieren. Etwa weil sie – vordergründig – billiger sind. Und haben sie einmal den Markt, können sie mit der Qualität anstellen, was sie wollen.

A&W: Die Zivilgesellschaft und NGOs kämpfen gegen diese antidemokratischen Bestrebungen. Inwieweit kooperieren US-Gewerkschaften?
Wallach: Eines der aufregendsten Dinge in unserer fortschrittlichen Politik ist die breite und mächtige Koalition zwischen Arbeiterbewegung und Nichtregierungsorganisationen, die 1991 begonnen hat. Wir haben eine neue Organisation, die »Citizens Trade Campaign«, gebildet. Mit dabei sind die größten Gewerkschaften unseres Landes, die wichtigsten Umweltgruppen, NGOs, Konsumentenschützer, Bauernorganisationen, Kirchen und Menschenrechtsgruppen. Und wir haben Durchschlagskraft quer durch das Land. Wir haben eine »Du-kannst-nicht-weglaufen-und-dich-verstecken«-Koalition. Denn normalerweise sagt der Politiker zum Umweltschützer: »Ich will dir helfen, aber ich muss auch an den Gewerkschafter denken.« Und umgekehrt. Weil wir aber alle gemeinsam vertreten sind, konnten wir die Debatte politisch vorwärts bringen.

A&W: Wie können die GATS-Verhandlungen demokratischer und transparenter werden?
Wallach: Unsere internationale Kampagne »Stop the GATS-Attac« fordert ein Moratorium der Verhandlungen und eine detaillierte Studie der Auswirkungen und Bedeutung der Zweideutigkeiten des gegenwärtigen GATS-Textes. Denn derzeit kommt es auf die Interpretation an und das hat schwerwiegende Folgen auf die Qualität der Dienstleistungen für Konsumenten und Arbeitnehmer. Es sollen keine weiteren WTO-Regelungen getroffen, sondern die bestehenden verändert werden. Innerhalb unserer Zivilbewegung herrscht weitgehender Konsens, dass eine Regulierung des internationalen Handels nötig ist. Aber die Frage ist, wem diese Regeln nutzen und welches Ziel sie verfolgen.

Unsere primäre Frage ist daher: Welcher Verhandlungsprozess ermächtigt auch die Betroffenen, denen der Zugang zu den grundlegenden Dienstleistungen zunehmend verwehrt wird, diese Regeln festzulegen bzw. zu verändern. Es geht um die Entrümpelung des GATS von jenen Punkten, die nichts mit der Handels-agenda, sondern mit dem neoliberalen Plan zu tun haben, den Staat und seine regulative Rolle zurückzudrängen. Und andrerseits um die Ergänzung fehlender Punkte, wie etwa der Regulierung der Finanzmärkte zur Verhinderung von Spekulation.

Von (Das Gespräch mit Lori Wallach führten Werner Raza und Gabriele Müller. Übersetzung aus dem Englischen: G. Müller)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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