Faule Früchte

Über der Ebene liegt dichter Nebel, nur hin und wieder schauen unter der Nebeldecke die Füße der Windräder heraus, die sich entlang der Autobahn in Richtung Bratislava aneinanderreihen. Von daher kann man nur erahnen, über welch großes Äckermeer man normalerweise blicken würde, das sich rund um den Neusiedler See erstreckt. Auf dem Weg in den Seewinkel lichtet sich der Nebel langsam und somit wird der Blick frei auf Äcker, Gewächshäuser und Weingärten, so weit das Auge reicht. Noch hat die Saison nicht begonnen, lediglich in den Weingärten werken vereinzelt Menschen an den Weinstöcken. Ansonsten aber herrscht noch Vorfrühlingsruhe.

Verdorbener Appetit
Genuss-Region: Mit diesem Label wirbt nicht nur der Seewinkel. Doch Berichte über die Arbeitsbedingungen von ErntehelferInnen in so manchen Betrieben der Region können einem oder einer den Appetit auf Obst, Gemüse und Wein schon ordentlich verderben.
Im Jahr 2013 erhob die PRO-GE Burgenland schwere Vorwürfe gegen einen Gemüseanbaubetrieb im Seewinkel: Die dort beschäftigten ArbeitnehmerInnen arbeiteten 17,5 Stunden am Tag, 336 Stunden im Monat, und das für gerade einmal 100 Euro in der Woche. Umgerechnet ergibt dies einen Stundenlohn von einem Euro. Untergebracht waren die Betroffenen „in menschenverachtenden, eher pferchähnlichen Containern“, berichtete der burgenländische Landessekretär Anton Wesselich in einer Aussendung. Im Herbst 2013 berichteten Medien über Kontrollen durch die Finanzpolizei im Burgenland. Sie statteten 54 Weinbaubetrieben in 37 Gemeinden einen Besuch ab mit dem Ergebnis, dass jede/r dritte ErntehelferIn nicht angemeldet war.

Neue Anlaufstelle
Um ArbeitnehmerInnen, die unter solch unmenschlichen Arbeitsbedingungen arbeiten, zu unterstützen, wurde Anfang Juni 2014 im ÖGB die neue Anlaufstelle für undokumentierte ArbeitnehmerInnen eröffnet. Undokumentiert: So werden MigrantInnen bezeichnet, die in Österreich arbeiten, ohne eine gültige Aufenthaltsgenehmigung oder Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben. Karin Jović ist eine von zwei Beraterinnen der UNDOK-Stelle. „Uns kontaktieren viele Personen allgemein wegen Informationen“, berichtet sie aus dem Beratungsalltag. „Dabei geht es oft um aufenthaltsrechtliche Fragen und den Zugang zum Arbeitsmarkt.“ Dass diese grundsätzlichen Fragen eine so große Rolle spielen, hat seinen guten Grund: In Österreich wird es MigrantInnen nicht gerade leicht gemacht, die Regeln in Sachen Aufenthalt und Arbeit zu durchschauen, wie Jović illustriert: „Es gibt 28 verschiedene Aufenthaltstitel.“ Selbst für Menschen, die sich für das Thema interessieren, fällt es alles andere als leicht, den Durchblick zu bewahren. Auch hier steht die UNDOK-Stelle den Betroffenen zur Seite und vermittelt sie an die für die jeweilige Frage zuständige Stelle weiter.
Das zentrale Thema der Anlaufstelle aber sind natürlich arbeitsrechtliche Fragen undokumentierter MigrantInnen. Und hier gilt es, viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn nur wenige wissen, dass jeder Mensch, der in Österreich arbeitet, gewisse Rechte hat – und zwar ganz unabhängig davon, ob er oder sie sich legal hier aufhält oder nicht. Genau dies zu vermitteln hat sich die UNDOK-Stelle zum Ziel gemacht. Was sind nun die gängigsten arbeitsrechtlichen Fälle? „Oft erhalten die Personen von den Arbeitgebern den Lohn nicht – entweder gar nicht oder nur zum Teil“, erzählt Jović. „In allen Fällen passt das, was sie erhalten haben, nicht mit den kollektivvertraglich vereinbarten Mindestlöhnen zusammen. Auch Sonderzahlungen werden ihnen vorenthalten, und wir hatten ein paar Fälle, wo es zu Arbeitsunfällen gekommen ist“, berichtet die Beraterin weiter. Da die Betroffenen nicht offiziell angemeldet sind, wird von Arbeitgebern bisweilen versucht, an den offiziellen Behörden vorbei zumindest die Notfallversorgung zu gewährleisten. All diese Fälle sind im Übrigen im Tätigkeitsbericht der UNDOK-Stelle unter tinyurl.com/m7pbwz3 dokumentiert.

Mundpropaganda
Wenig überraschend scheint die Liste der Berufsfelder, in denen undokumentierte ArbeitnehmerInnen am häufigsten eingesetzt werden: Bau, Reinigung, Gastronomie und Privathaushalt. Doch wie finden Menschen, die in so schwer zugänglichen Jobs arbeiten, überhaupt zu UNDOK? Eine wichtige Rolle spielt dabei die Mundpropaganda: „Teilweise haben wir Fälle, wo Kollegen und Kolleginnen, die undokumentiert gearbeitet haben, ihre Ansprüche geltend gemacht und auch durchgesetzt haben. Und danach haben uns Bekannte dieser Personen kontaktiert“, erzählt Jović. Andere finden ihren Weg übers Internet, wieder andere werden von den verschiedenen UNDOK-KooperationspartnerInnen, die MigrantInnen zu unterschiedlichen Themen beraten, in die Anlaufstelle geschickt.

Wichtige Rolle der BetriebsrätInnen
Für Sandra Stern, eine der MitbegründerInnen von UNDOK, gibt es eine weitere Gruppe, die eine zentrale Rolle spielt: die BetriebsrätInnen. Immerhin sind diese tagtäglich vor Ort, kennen von daher die Umstände nur allzu gut und wissen auch um die Problemfelder in den eigenen Betrieben. „Sie haben außerdem den Vorteil, dass sie die KollegInnen direkt ansprechen können“, so Stern. Deshalb will die UNDOK-Stelle BetriebsrätInnen verstärkt als MultiplikatorInnen gewinnen. „Wir sind immer für Fragen da, zum Teil wenden sich BetriebsrätInnen auch schon an uns“, freut sie sich. „Das wollen wir auf jeden Fall ausbauen.“ Schließlich ist eine der schwierigsten Aufgaben, zu den Betroffenen Vertrauen aufzubauen. Wie sensibel dies ist, weiß Jović aus dem Alltag. Es gebe viele Anfragen am Telefon oder per Mail, erzählt die Beraterin. Doch auch wenn die Fälle von UNDOK jedenfalls anonym behandelt werden, ist es für viele Betroffene eine große Überwindung, persönlich vorzusprechen, schließlich befinden sie sich meist in einer mehr als unsicheren Situation. Ebendiese wird von manchen ruchlosen Arbeitgebern leider ausgenutzt.

Gratwanderung
In der UNDOK-Stelle werden die Betroffenen beraten. Zwar bietet UNDOK selbst keinen Rechtsschutz an, sie vermittelt die undokumentierten ArbeitnehmerInnen aber an jene Stellen weiter, die ihnen bei der Rechtsdurchsetzung zur Seite stehen, und begleitet die Betroffenen auf diesem Weg. Bisweilen ist dies auch eine Gratwanderung, denn manchmal ist es für die Betroffenen langfristig aussichtsreicher, auf die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche zu verzichten, um einen regulären Aufenthaltstitel zu bekommen. Eine schwierige Herausforderung, weil man die Betroffenen möglicherweise erst recht der Willkür rücksichtsloser ArbeitgeberInnen aussetzt? Sandra Stern widerspricht vehement: „Das macht das Gesetz. Migrationsgesetze beschränken den Arbeitsmarktzugang und drängen Leute in informelle Sektoren, in Wahrheit weiß das auch jeder – und dann wundert man sich über die Konsequenzen.“ Vor allem aber ist ihr wichtig, dass es immer um die Nicht-Einhaltung von Kollektivverträgen geht, wovon letztlich alle ArbeitnehmerInnen bedroht sind, egal, woher sie kommen. Deshalb hält sie fest: „Es reicht nicht, nur ArbeitgeberInnen zu strafen, sondern es braucht die Unterstützung von den Kolleginnen und Kollegen, da die Standards sonst generell unterlaufen werden.“
Demnächst beginnt nicht nur im Burgenland die Saison, und damit steht der Einsatz von ErntehelferInnen kurz bevor. Um der Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen vorzubeugen, laufen in der PRO-GE die Vorbereitungen gerade auf Hochtouren. Info-Folder in vier Sprachen sind gedruckt und warten nur darauf, an die Betroffenen verteilt zu werden. Und wenn die Genuss-Regionen tatsächlich etwas darauf geben, dass diese Qualitätsbezeichnung hält, was sie verspricht, werden sie hoffentlich ein schärferes Auge darauf haben, dass ihr Obst und Gemüse unter menschenwürdigen Bedingungen geerntet wird.
Das haben nämlich nicht nur die hiesigen KonsumentInnen verdient, sondern vor allem jene Menschen, die unter schweren Bedingungen jene Früchte ernten, von denen wir uns ein gesundes Leben versprechen.

Webtipps:
Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender:
undok.at
Das Informationsportal für SaisonarbeiterInnen:
www.sezonieri.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Von Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/15.

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