Nicht der Heilige Gral

Für die kaufkräftigen Unternehmen dieser Welt ist Europa seit einigen Jahren so etwas wie ein riesiges Shoppingcenter, wo am laufenden Band Häfen, Flughäfen, Wasserkraftwerke, Energiefirmen, Banken, Glücksspielunternehmen, Strände und Co sehr günstig angeboten werden. Die Verkäufer sind Staaten, die dringend Geld brauchen, um ihre Schulden zu tilgen – eine schlechte Verhandlungsbasis. Der deutsche „Tagesspiegel“ bezeichnete diese Vorgänge in einem Multimedia-Projekt als „Europoly“, als ein „gigantisches Monopoly“, welches „von Oligarchen und Finanzinvestoren“ gespielt werde. Nachdem Länder wie Portugal und Irland schon eine Menge staatlichen Eigentums veräußert haben, lässt es sich derzeit in Griechenland „besonders gut shoppen“. Dort ist sogar etwas ganz Besonderes im Angebot: der größte Seehafen des Landes.

Strategisch gut gelegener Hafen

Im Jahr 2009 wurde der Hafen von Piräus zunächst für die Dauer von 35 Jahren an das chinesische Staatsunternehmen Cosco (China Ocean Shipping Company) verpachtet, das noch von Mao Zedong gegründet worden war. Die neue griechische Syriza-Regierung hatte sich anfangs noch geweigert, den strategisch gut gelegenen Hafen zu veräußern. Doch zuletzt wurden laut Medienberichten drei ausländische Unternehmen um Angebote für 51 Prozent des Hafens gebeten: der niederländische Terminal-Betreiber APM, das philippinische Unternehmen International Container Terminal Services und Cosco. Mit Aussicht auf mehr: Nimmt der Käufer Investitionen im Ausmaß von 300 Millionen Euro vor, könnte der Anteil innerhalb von fünf Jahren auf 67 Prozent aufgestockt werden. Privatisierungen sind ein wichtiger Teil der Auflagen der Troika an die europäischen Krisenstaaten. Es erscheint logisch: Wer nicht weiß, wie er die Miete zahlen soll, veräußert das Familiensilber. Der Vergleich hinkt jedoch: Das Familiensilber liegt herum oder wird bestenfalls benutzt und gepflegt, es bringt aber keine laufenden Einnahmen. Auch Unternehmen in staatlichen Händen können unprofitabel sein, sind es aber nicht automatisch. In Privatisierungen wird die Hoffnung gesteckt, dass jemand kommt, der mehr vom Geschäft versteht und das Unternehmen in eine rosige Zukunft führt. Doch einige Ökonomen sehen das kritisch und warnen davor, Privatisierungen als Allheilmittel für Staaten in Not zu betrachten.
Joachim Becker, Professor für Volkswirtschaft am Institut für Außenwirtschaft und Entwicklung der Wirtschaftsuniversität Wien, ist einer der Kritiker. Aus seiner Sicht sprechen Erfahrungswerte gegen Privatisierungen: „Schon in manchen Ländern hat man Privatisierungen bereut.“ So sei etwa in Lateinamerika Ernüchterung eingetreten. Ein prominentes Beispiel sei auch das britische Bahnsystem, dessen Verkauf heute als große Torheit angesehen werde. Selbst jüngste Staatsveräußerungen in den südeuropäischen Ländern würden bereits kritischer betrachtet als noch vor wenigen Jahren. Ein Beispiel sei Slowenien, wo nicht nur private Haushalte, sondern auch Unternehmen stark verschuldet waren und viele Kredite nach der Krise nicht getilgt werden konnten. Mittlerweile wurde etwa der Flughafen von Ljubljana an die deutsche Fraport verkauft. Auch viele Industrieunternehmen wurden veräußert. Und der Verkauf der slowenischen Telekom steht zur Diskussion. All das passiere „in rasender Geschwindigkeit und unter weitgehender Vermeidung einer öffentlichen Debatte“, kritisiert Becker.

Vorerst Verzögerung

Zurück zu Griechenland, wo 2011 eine eigene Privatisierungsbehörde, der Hellenic Republic Asset Development Fund (HRADF), eingerichtet wurde. Doch manches ist derzeit unklar, denn eigentlich hat der neue Regierungschef Alexis Tsipras im Jänner angekündigt, die Privatisierungen zu bremsen. Es mehrten sich die Zweifel an bereits kolportierten Deals wie etwa dem Verkauf von 14 regionalen Flughäfen an ein Konsortium von Fraport AG und einem griechischen Unternehmen. Allerdings scheint der Deal nach neuesten Meldungen bald abgeschlossen zu werden, wenn auch mit Zugeständnissen an den Staat.
Auch für Stephan Schulmeister, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), sind Privatisierungen für Griechenland keine Lösung, denn sie könnten am systemischen Problem nichts ändern. So gehe es bei der Griechenland-Krise um viel mehr als um Budgetprobleme: „Griechenland wurde zum Kriegsschauplatz des Konflikts zwischen zwei Weltanschauungen: der neoliberalen Weltsicht, wie sie seit gut 25 Jahren in Europa von den Eliten vertreten wird, und einem Gegenkonzept, das die griechische Syriza-Regierung nun ins Zentrum zu rücken versucht.“ Schulmeister vergleicht die Griechenland-Krise mit einer Krankheit, die von den Ärzten selbst übertragen wird. Die Ärzte sind die europäischen Eliten: „Damit meine ich nicht nur die Politiker, sondern auch die sogenannten Experten, die Universitätsprofessoren und insbesondere die Journalisten.“ Sie würden die Symptome einer Krankheit bekämpfen, die sie selbst verursacht hätten. Mit dieser Medizin: „Sparpolitik, Abbau des Sozialstaates, Lockerung des Arbeitnehmerschutzes und nachhaltiger Schwächung der Gewerkschaft und Privatisierungen“.
Schulmeister ist kein prinzipieller Privatisierungsgegner: „Der entscheidende Punkt ist, welche Aufgabe die Unternehmen in der Wirtschaft und der Gesellschaft übernehmen.“ So habe er wenig gegen die Privatisierungen von Industrie-Unternehmen, die im Wettbewerb mit Konkurrenten stehen. Doch Unternehmen, „die für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft von Bedeutung sind, wie Energieversorgung oder öffentlicher Verkehr“, sollten nicht ganz aus staatlicher Hand gegeben werden. Insbesondere, wenn Unternehmen eine monopolähnliche Stellung hätten, müssten Privatisierungen mit Regulierungen einhergehen, damit etwa Bustickets nicht überteuert angeboten oder zu hohe Gehälter ausbezahlt werden. Eine Schwierigkeit, die es immer gibt, ist die Paradoxie bezüglich der Preise für staatliches Eigentum: „In einer prosperierenden Wirtschaft würde der Staat einen höheren Preis für seine Unternehmen bekommen, doch gerade dann braucht er diese nicht zu privatisieren.“

Kompromissbereitschaft

Wichtiger als Privatisierungen wäre zahlreichen Ökonomen zufolge die Stärkung der Realwirtschaft. Für Joachim Becker von der WU wäre in Griechenland insbesondere eine regionalspezifische Industriepolitik „unbedingt notwendig“, ansonsten würden sich die Spannungen in der Eurozone weiter verschärfen. Das sieht auch Panagiotis Kavartinas so, ein Mitarbeiter im Ministerium der Regionen Makedonien und Thrakien in Thessaloniki: „Die Gelder aus Europa wurden weder in Infrastruktur noch in die Umstellung auf ein Wirtschaftsmodell gesteckt, das auf Innovation und neuen Technologien basiert. Die Mittel wurden auch nicht dafür verwendet, um den öffentlichen Sektor produktiver zu gestalten.“ Für Kavartinas ist Privatisierung „nicht immer der Heilige Gral“. Es gebe positive Beispiele von Privatisierungen, aber er zweifelt daran, wie sich ein Land erholen könne, „wenn es all seinen staatlichen Besitz verkauft“. Jeder Fall müsse gesondert überprüft werden. Die griechische Bevölkerung habe Vorurteile gegenüber Privatisierungen aufgrund der zahlreichen Skandale, wie zum Beispiel jenen rund um den Verkauf der lukrativen staatlichen Lotterie OPAP oder des Helliniko Park, der zu billig verkauft wurde. Er fragt, wie wohl die Bedingungen für erfolgreiche Privatisierungen mit maximiertem Nutzen geschaffen werden könnten, wenn man ein Land zum Ausverkauf zwinge. Das griechische Volk habe das Gefühl, dass all das passiere, damit griechisches Eigentum sehr billig gekauft werden könne. „Die Menschen in Griechenland sind sehr müde und frustriert nach fünf Jahren der Austeritätspolitik, die zu einem toten Ende geführt hat. Sie suchen eine Lösung und sagen Ja zu einem Kompromiss, aber zu einem fairen Kompromiss.“ Die GriechInnen hätten das Gefühl, dass die Syriza-Regierung bereit für einen solchen Kompromiss sei, „aber die Europäer nicht“.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.hradf.com
Blogtipp:
tinyurl.com/kltx8kz

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Von Alexandra Rotter, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/15.

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