More of the same: ökonomischer Liberalismus, Wettbewerbsgeist, Eigentümerindividualismus und Geschenke für die Wohlhabenden und Superreichen.
Legt man einen solchen Maßstab an – und das ist der einzige Maßstab für progressives Regieren –, dann hat dieser Regierungspakt nicht viel zu bieten. Er verspricht „more of the same“ von dem, was man seit 25 Jahren schon gewohnt ist: ökonomischen Liberalismus, Wettbewerbsgeist, Eigentümerindividualismus und Geschenke für die Wohlhabenden und Superreichen. Und er ist recht vage bei Impulsen für die Wirtschaft, die die Wohlfahrt aller heben.
Ambitionen in Fesseln
Die große Stärke dieses Regierungspaktes sind recht ambitionierte Maßnahmen zur ökosozialen Umsteuerung – Stichwort: Klimapaket. Eine Milliarde in den Nahverkehr, eine Milliarde in den Zugausbau. Engere Takte und Intervalle im öffentlichen Verkehr. Klimaneutralität bereits 2040, hundertprozentig nachhaltige Stromversorgung, Umrüstung der Heizungen für Wohnungen und Häuser weg von Öl, Gas und Ähnlichem. All das wäre eine großartige Investitionsoffensive, die das Land weiterbrächte, die sowieso notwendig ist, wenn man die Klimakatastrophe abwenden will, die aber auch Arbeit, Einkommen und Wirtschaftswachstum brächte. Ein Wachstum, das nicht mehr materielle Ressourcen aufzehrt, sondern das umgekehrt materielle Ressourcen spart. Das könnte der Kern eines gigantischen, fortschrittlichen Investitionsplans sein.
Investitionsoffensive: Das könnte der Kern eines gigantischen, fortschrittlichen Investitionsplans sein.
Zugleich fesselt sich die Regierung aber selbst. Sie will am Nulldefizit festhalten, die verschiedenen Steuertarife senken – was GeringverdienerInnen nützt, aber GroßverdienerInnen noch mehr. Die Steuer- und Abgabenquote soll sogar in Richtung vierzig Prozent sinken. Nun sind Steuersenkungen für Erwerbs- und Kapitaleinkommen zwar auch „Konjunkturpakete“ in dem Sinn, dass die zusätzlich verfügbaren Einkommen der Bürgerinnen und Bürger in den Konsum eingehen, aber ihre Wirkung ist begrenzt. Sie fließen nicht notwendigerweise in die heimische Wirtschaft, und Vermögende werden die zusätzlichen Einkommen eher sparen. Und sie werden dezentral ausgegeben – wenn sie einen nützlichen Effekt haben, dann höchstens zufällig. Ihr Beitrag zur Prosperität bleibt gering. Und sie führen zu noch mehr Ungleichheit.
Steuergeschenke
Zugleich sind milliardenschwere Steuergeschenke für große Konzerne geplant, die Körperschaftsteuer soll noch einmal sinken, von 25 auf 21 Prozent.
Erbschaftssteuern, Vermögenssteuern welcher Art auch immer – sie werden nicht kommen. Das ist bei einer Regierung, an der die ÖVP beteiligt ist, auch nicht anders zu erwarten gewesen. Angesichts des Vermögensanstiegs der obersten 10 Prozent in den vergangenen Jahrzehnten und angesichts der gigantischen Aufgaben bei der Klimarettung erscheint das aber noch einmal zusätzlich frivol: Diejenigen, die von einer Ökonomie, die die Welt ins Desaster führte, am meisten profitiert haben, werden an der Reparatur der Schäden nicht einmal minimal beteiligt.
Auch Türkis-Grün wird am Ende feststellen müssen: Das Geld wächst nicht auf den Bäumen.
Vor allem aber: Mit einer Steuerreform, die die Tarife maßvoll senkt, Vermögenssteuern ausschließt und Unternehmenssteuern weiter reduziert, sowie einer CO2-Steuer, deren Ausgestaltung im Dunkeln bleibt (aber bei der letztendlich Aufkommensneutralität unterstellt werden kann), werden der öffentlichen Hand genau die finanziellen Mittel fehlen, die für massive Klimaschutzinvestitionen nötig wären. Das klingt zwar alles schön und gut, aber auch Türkis-Grün wird am Ende feststellen müssen: Das Geld wächst nicht auf den Bäumen. Wenn ich als Staat so investieren will, dass massive ökologische Umsteuerung die Folge ist und die künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens auch noch steigt, dann wird das sehr viel Geld kosten. Eine Jahrhundertaufgabe ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.
Start-up-Lyrik
Der Aufbau von Zukunftsindustrien und sicheren, guten Jobs wird mit „Weniger Staat, mehr Privat“-Unsinnsideologie nicht klappen.
Zumal Automatisierung und auch Ökologisierung Jobs kosten werden. Nehmen wir nur die Umrüstung der Autoindustrie. Wenn man realistischerweise annimmt, dass die Zeit der Verbrennungsmotoren in den kommenden 15 Jahren langsam zu Ende geht und das Zeitalter der Elektromobilität kommt, dann bedeutet das auch herbe Jobverluste in der Autozulieferindustrie, die in Österreich bedeutend ist. Aber E-Motoren haben viel weniger Teile als Verbrennungsmotoren. Simpel gesagt: Wer braucht noch Zylinderkopfdichtungen, Ventile und einen Auspuff in Zeiten des Elektroautos?
Der Aufbau von Zukunftsindustrien und sicheren, guten Jobs wird mit „Weniger Staat, mehr Privat“-Unsinnsideologie nicht klappen.
Damit nicht die normalen Beschäftigten die Zeche zahlen, braucht Ökologisierung auch eine akzentuierte Joboffensive. Viele Ideen dazu findet man im Regierungsprogramm nicht, abgesehen von liberaler Start-up-Lyrik und Innovationsprosa, die vielleicht in Neubau und den Hietzinger Villenbezirken gut ankommt, aber mehr in die Kategorie „Fiction und Märchen“ gehört.
Keine neuen Grauslichkeiten
Auf dem engeren Feld der Arbeitsmarktsicherheit und des sozialen Netzes plant diese Regierung keine weiteren Grauslichkeiten. Insofern wurden der ÖVP durch die Grünen wohl die neoliberalen Giftzähne gezogen. Aber was die Vorgängerregierung ruiniert hat, bleibt weitgehend intakt. Sie hat die Aktion 20.000 abgeschafft, die wichtigste Maßnahme für Menschen mit schlechten Arbeitsmarktchancen. Sie hat den 12-Stunden-Tag eingeführt, die Sozialpartner an den Rand gedrängt. Sie hat die Mindestsicherung durchlöchert (einiges davon hat der Verfassungsgerichtshof rückgängig gemacht) und plante sogar die Abschaffung der Notstandshilfe, also die Einführung von Hartz IV. Das wird jetzt nicht kommen.
Die Regierung verspricht sogar – eines der raren positiven Elemente im Pakt – höhere Mindestlöhne in jenen Branchen, in denen immer noch Hungerlöhne gezahlt werden. So heißt es in der Koalitionsvereinbarung: „Es gibt derzeit Bereiche in der österreichischen Wirtschaft, in denen Löhne gezahlt werden, die unter den niedrigsten Kollektivvertragslöhnen der gewerblichen Wirtschaft liegen. Diese Lücke soll unter Einbindung der Sozialpartner mit geeigneten Mitteln geschlossen werden. Erforderlichenfalls kann dieser Lückenschluss auch auf anderem Wege erfolgen (z. B. durch das Bundeseinigungsamt).“ Auch in Kollektivverträgen sollen äußerst niedrige Lohnuntergrenzen angehoben werden. Aber von der Ankündigung bis zur Realisierung wird das selbst im besten Fall Zeit brauchen.
Wer mehr hat, bekommt mehr.
Eine der populärsten Maßnahmen der alten Regierung war der Familienbonus. Er verschaffte Familien, besonders jenen mit mehreren Kindern, Steuergutschriften. Davon profitierten auch die unteren Mittelschichtseinkommen und die BezieherInnen durchschnittlicher Mittelschichtseinkommen. Aber es profitierten diejenigen mehr, die sowieso mehr hatten. KleinverdienerInnen gingen weitgehend leer aus. Auch mit der Reform, die im Regierungspakt nun akkordiert wurde, wird sich daran nichts Grundlegendes ändern. Zwar bekommen GeringverdienerInnen – sofern sie überhaupt Steuern zahlen – etwas mehr dazu, aber am Prinzip ändert sich nichts. Das lautet: Wer mehr hat, bekommt mehr. Das widerspricht eklatant dem Prinzip, dass Maßnahmen ungerecht sind, wenn jene, die es am meisten nötig haben, weitgehend leer ausgehen.
Mehr Innovation, Flexibilität, Unsicherheit
Dieser Regierungspakt wird also nichts an den großen Problemen unserer Zeit ändern. Ins Leben der arbeitenden Klassen hat sich chronische Unsicherheit eingeschlichen. Statt des Fahrstuhleffekts (bei dem es für alle aufwärts geht), hat sich der Rolltreppeneffekt eingenistet – die fährt bergab, und wer seinen Status erhalten will, muss immer schneller laufen. Einkommen stagnieren, und der permanente Strukturwandel führt zu immer mehr Instabilität. Mit Deregulierung und der Durchlöcherung von rigiden Arbeitsmarktregeln verspricht man „Innovation“ und „Flexibilität“, die aber nicht mehr Prosperität zur Folge hat, sondern nur noch mehr Unsicherheit. Und wer schlechte Startbedingungen hat, der bleibt unten – und wird damit vertröstet, dass es seine Kinder wenigstens mit Bildung schaffen könnten (können sie natürlich in aller Regel nicht).
Wer schlechte Startbedingungen hat, der bleibt unten.
Wenn da etwas Positives herauskommen soll, dann eher zufällig und hinter dem Rücken der Regierenden. Dann nämlich, wenn trotz der Selbstfesselung durch Steuersenkungen und Nulldefizit die Investitionen in Klimaschutz und Energiewende ausreichende ökonomische Impulse entfalten. Wenn diese neue industrielle Revolution so viele neue Jobs schafft, dass sie zur Konjunkturlokomotive wird, die alle Boote hebt, nicht nur die Luxusyachten. Das ist nicht unmöglich – aber in den Plänen, die diese Regierung vorlegt, ist wenig, das ein solches Resultat begünstigt.