Nun sind Demonstrationen an sich ja nichts Neues, aber manche Ausprägungen sind doch bemerkenswert. Während bei den „Fridays for Future“ vor allem die unglaubliche Popularität Greta Thunbergs und das weltweit rasche Anwachsen ungewöhnlich erscheinen, so überraschen bei anderen Bewegungen die Kontinuität und das Durchhaltevermögen, etwa bei den wöchentlichen „Donnerstagsdemos“ gegen Schwarz-Blau von 2000 bis 2002 und zuletzt gegen Türkis-Blau.
28 Prozent NichtwählerInnen
Weltweit brachte die Digitalisierung zahlreiche Vorteile für jede Art von Protestaktionen und sozialen Bewegungen. Das kann aber keineswegs die einzige Erklärung dafür sein, dass auf der ganzen Welt Unzufriedene aller Altersgruppen und sozialen Schichten auf die Straße gehen. Hier drängt sich der Zusammenhang mit dem globalen Phänomen der sinkenden Wahlbeteiligung auf. Bei der Nationalratswahl 2019 gingen beispielsweise in Wien 28 Prozent der Wahlberechtigten gar nicht zur Urne. Naturgemäß ist der Anteil der unzufriedenen NichtwählerInnen unter den sozial schlechter Gestellten höher, das bedeutet, dass der Anteil Gutsituierter unter den WählerInnen steigt. Diese votieren für jene KandidatInnen, die auch ihre Interessen vertreten. Dadurch rücken die Interessen der sozial schlechter gestellten und nicht finanzkräftigen Menschen noch mehr in den Hintergrund – ein Teufelskreis.
Weltweit brachte die Digitalisierung zahlreiche Vorteile für jede Art von Protestaktionen und sozialen Bewegungen.
Für den kanadischen Politikwissenschafter und Philosophen Charles Taylor ist die Demokratie in der Krise. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass ihre Anliegen ohnehin nicht gehört werden. Viele, die den Gang zur Wahlurne nicht von vornherein verweigern, werden dann zu ProtestwählerInnen, die extrem rechte Politiker oder Spaßparteien wählen, einfach weil sie, wenn sie schon nichts ändern können, damit den Verantwortlichen wenigstens eins auswischen wollen. Beim Thema Klimawandel bieten „Fridays for Future“ immerhin den Menschen die Möglichkeit, ihren Ängsten ein Gemeinschaftsgefühl entgegenzusetzen.
Buchtipp: Nina Horaczek, Sebastian Wiese: Wehrt euch! Wie du dich in einer Demo- kratie engagieren und die Welt verbessern kannstGreta als Identifikationsfigur
Seit dem Frühjahr 2019 beschäftigt sich die Forschungswerkstatt Protest – ein Kollektiv von Lehrenden und Studierenden am Institut für Internationale Entwicklung der Uni Wien – mit den „Fridays for Future“. „Die ersten Ergebnisse“, so berichtet die Protest- und Bewegungsforscherin Antje Daniel, „bestätigen nur zum Teil das von den Medien vermittelte Bild der Bewegung.“ Offensichtlich handelt es sich bei „Fridays for Future“ um eine sehr junge Bewegung, anfangs waren viele TeilnehmerInnen zum ersten Mal auf einer Demo. Mittlerweile haben sich immer mehr Erwachsene angeschlossen, etwa junge Familien, die Angst um die Zukunft ihrer Kinder haben. Mit über 56 Prozent war der Anteil weiblicher Demonstrationsteilnehmerinnen vor allem anfangs ungewöhnlich hoch, erzählt Antje Daniel. „Als Greta Thunberg Ende Mai auf der Klimademo Wien war, lag der Frauenanteil sogar bei über 60 Prozent.“ Die ungeheure Popularität der 16-jährigen Galionsfigur entspreche allerdings nicht ganz der Realität innerhalb der Bewegung. Unter den AktivistInnen stehe Greta wesentlich weniger im Rampenlicht, als der Medien-Hype vermuten ließe, so die Forscherin.
Emotionen als Politikfaktor
Das Klima ist ein sehr umfassendes Thema und betrifft alle Menschen. Auch das sei, meint Lukas Franta, Stadtforscher am Raumplanungsinstitut der TU Wien, eine Erklärung für die rasche Verbreitung der Bewegung: „Als junge, globale Bewegung ist sie aber auch ein deutliches Zeichen dafür, dass die Jugend nicht so desinteressiert ist, wie vielfach behauptet, und Politisierung unabhängig von Parteien möglich ist.“
Vor allem nach ihrem „How dare you?“-Ausspruch vor dem UN-Klimagipfel sorgte Greta Thunberg wieder für Kontroversen. Dabei, so Franta, sei Emotionalisierung auch abseits solcher Bewegungen derzeit zentraler Bestandteil in der Politik. Von einer echten Krise der liberalen Demokratie möchte der Wissenschafter, der sich auch mit den „Donnerstagsdemos“ befasst hat, zwar nicht sprechen, aber die Ansprüche an die Demokratie hätten sich verändert. „Es müssen neue Wege gefunden werden, um Grassroots-Themen miteinzubeziehen. Protest sollte als legitime Form der Beteiligung gesehen werden.“
Viele moderne Protestbewegungen, ob global oder regional, wollen vor allem eines: ihre Ideen durchsetzen.
Viele moderne Protestbewegungen, ob global oder regional, wollen vor allem eines: ihre Ideen durchsetzen. Sie wollen nicht die Gesellschaft verändern, Kritik am Kapitalismus oder der Wachstumsgesellschaft an sich wird nur selten laut. Andere wiederum haben sehr wohl den Anspruch, neue Formen der BürgerInnenbeteiligung zu etablieren. Dazu zählt etwa „Extinction Rebellion“ (Rebellion gegen das Aussterben). Die 2018 gegründete globale Umweltschutzbewegung hat schon durch radikaleres Vorgehen, wie beispielsweise das Färben des Zürcher Flusses Limmat in Giftgrün, oder durch Straßenblockaden Aufsehen erregt. Mit gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams will Extinction Rebellion (XR) die sofortige Änderung der Klimapolitik erreichen und fordert dafür auch die Etablierung neuer partizipatorischer Demokratieelemente wie etwa Bürgerversammlungen.
Veränderungsbedarf
Manche BürgerInnenbewegungen haben tatsächlich den politischen Alltag verändert. So ist etwa 2014 in Spanien aus der Bewegung 15-M die linkspopulistische Partei Podemos (Wir können) entstanden. Bratislavas neuer Bürgermeister, der Architekt Matúš Vallo, war vor seiner Wahl Aktivist und setzt auch jetzt noch auf verstärkte BürgerInnenbeteiligung.
Manche BürgerInnenbewegungen haben tatsächlich den politischen Alltag verändert.
In vielen Städten, von Irland über Italien bis nach Spanien, haben sich in den vergangenen Jahren BürgerInnenbewegungen bzw. -plattformen gebildet, aus denen wiederum neue Formen der Beteiligung hervorgegangen sind. So verfügt beispielsweise in Madrid die BürgerInnenversammlung Observatorio de la Ciudad aktuell über ein Budget von 100 Millionen Euro.
Aber nicht nur in Europa gibt es diese Bestrebungen, 2015 wurde der junge Pedro Kumamoto als erstes Mitglied ins mexikanische Parlament gewählt, das keine Anbindung an eine Partei hatte. Er war Teil der Gruppe „Wikipolitica“, die aus der mexikanischen Version von „Occupy Wall Street“ entstanden war. Mittlerweile hat Kumamoto, der für mehr Unabhängige in der Politik kämpfte, eine Partei gegründet.
Astrid Fadler
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/19.
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