Die ungeschriebenen Regeln der Kollektivvertragsverhandlungen
Die Regeln der Kollektivvertragsverhandlungen können von Branche zu Branche differieren. Wie stark eine Gewerkschaft in den Gesprächen mit den Arbeitgeber:innen auftreten kann, hängt allerdings immer vom Rückhalt in den Betrieben ab. Gewerkschaftsintern spricht man dann von Organisationsgrad. Soll heißen: Je mehr ArbeitnehmerInnen in einer Branche gewerkschaftlich organisiert sind, desto mehr ArbeitnehmerInnen werden auch zu Kampfmaßnahmen bereit sein, wenn Forderungen nicht erfüllt werden.
Die Forderungsübergabe
Noch vor der ersten Verhandlungsrunde übergeben die Metaller:innen, die in sechs Gruppen – jeder Fachverband verhandelt einzeln – mit der Arbeitgeber:innenseite um einen Abschluss ringen, dem Gegenüber ihre Forderungen. Die Metaller:innen forderten beispielsweise ein Gehaltsplus von 10,6 Prozent. Eine Steigerung, die sich an der Benya-Formel orientiert. Dazu kommt ein kollektivvertraglicher Mindestlohn von 2.000 Euro, dier sich an den gestiegenen Lebenskosten orientiert. Auch im Handel übermitteln die Arbeitnehmervertreter:innen den Arbeitgeber:innen ihre Wünsche vorab, sagte Franz Georg Brantner, der ehemalige Handels-KV-Verhandler. Im Jahr 2023 erwiesen sich die KV-Verhandlungen im Handel als besonders schwierig.
Kollektivvertragsverhandlungen sind eben nicht einfach eine Formsache, hier schauen beide Seiten darauf, möglichst vorteilhaft auszusteigen.
Franz Georg Brantner verhandelte früher den Handels-KV
Die ersten Verhandlungsrunden
In der ersten Verhandlungsrunde werden die einzelnen Forderungen präzisiert. Und dann braucht es einmal mehr, einmal weniger Runden, bis sich beide Seiten einigen. Im Handel waren es in der Vergangenheit meist vier Runden mit je zwei Tagen und nach sechs bis acht Wochen lag eine Einigung am Tisch. Eine, wie man auf gut Wienerisch sagt, „gmahte Wiesn“ ist es aber nie, wie Brantner betont. Kollektivvertragsverhandlungen sind eben nicht einfach eine Formsache, hier schauen beide Seiten darauf, möglichst vorteilhaft auszusteigen.
Der gute Ton
Hart in der Sache, höflich im Ton: Wenn etwa die Metaller während der Verhandlungen einen Streik in Aussicht stellen oder sogar Warnstreiks abgehalten werden, heißt das nicht, dass in den Verhandlungen zuvor verbal die Fetzen geflogen sind. „Einerseits sagen wir dem Gegenüber natürlich nicht, was wir konkret vorhaben“, so Schleinbach. Man ziehe sich zurück, um die ArbeitnehmerInnen in den Betrieben über den bisherigen Verhandlungsfortgang zu informieren. Aktuell gilt das nicht immer. Wirtschaftsnahe Kreise haben in jüngster Zeit einen sehr viel raueren Ton eingeschlagen.
In den Verhandlungen bemühen wir uns aber um eine zurückhaltende Rhetorik, Beleidigungen haben da nichts zu suchen.
Peter Schleinbach, PRO-GE
Und dann falle eben etwa die Entscheidung, zu streiken. „In den Verhandlungen bemühen wir uns aber um eine zurückhaltende Rhetorik, Beleidigungen haben da nichts zu suchen.“ Auch Brantners Erfahrung ist, dass man durch verbale Ausfälle in der Regel wenig erreicht.
Abstimmung in der Branche
Wichtig ist immer der Rückhalt der Arbeitnehmer:innen, für die der jeweilige Kollektivvertrag gerade ausverhandelt wird. Dazu gehört ständiger Kontakt das ganze Jahr über, nicht nur während der Kollektivvertragsverhandlungen, macht Schleinbach klar. Eine wichtige Rolle spielen hier aktive Betriebsrät:innen. Während der KV-Verhandlungen ist es sowohl bei den Metaller:innen als auch im Handel so, dass große Teams das eigentliche Verhandlungsteam unterstützen. Schon zuvor werden in KV-Betriebsrät:innenkonferenzen – im Handel nehmen hier etwa 300 BetriebsrätInnen aus ganz Österreich teil – die Forderungen der Branche abgesteckt und gemeinsam formuliert.
Kampfmaßnahmen können von den VerhandlerInnen nur zur Durchsetzung von Interessen eingebracht werden, wenn diese dann in den Betrieben auch mitgetragen werden.
Franz Georg Brantner, ehemaliger GPA-djp und Betriebsratsvorsitzender Herba-Chemosan
Während der Verhandlungen kann das Kernteam immer wieder das größere Arbeitnehmer:innen-Team vor Ort informieren und Feedback einholen. Andererseits können auch in besonders brenzligen Situationen sehr kleine Teams auf Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeber:innen-Seite versuchen, doch noch zu einer Lösung zu finden.
Kampfmaßnahmen
Klar ist: Kampfmaßnahmen können von den Verhandler:innen nur zur Durchsetzung von Interessen eingebracht werden, wenn diese dann in den Betrieben auch mitgetragen werden. Im Handel wird man also eher auf Betriebsversammlungen oder Straßendemonstrationen setzen, bei den Metallern scheut man sich auch nicht, zu streiken.
Die Unternehmer machen keinen Schritt auf uns zu. Wir fordern 10,6% mehr für die Beschäftigten im Metallbereich. Die Unternehmer-Vertreter bleiben bei nicht annehmbaren 4,1% (!). Wir erhöhen jetzt den Druck: Vom @oegb_at holen wir die #Streikfreigabe ein. #Metaller #KV #ProGe pic.twitter.com/1BShb8oF6g
— Gewerkschaft GPA (@GewerkschaftGPA) October 24, 2022
Der KV-Abschluss
Was beiden Branchen gemein ist, ist das mediale Interesse an den KV-Abschlüssen. Der Metaller:innen-Abschluss gilt als Marke für die darauffolgenden KV-Verhandlungen in anderen Branchen. Im Handel wird wiederum für mehr als 400.000 Menschen verhandelt, wie Brantner erläutert. Von diesem KV-Ergebnis sind viele Arbeitnehmer:innen betroffen. Und so gehört eine breite Berichterstattung zum Auftakt der Verhandlungen ebenso dazu wie die – manchmal nächtliche – mediale Verkündung des Verhandlungsergebnisses. Was die KV-Verhandler:innen dabei manchmal verzagt: Ein KV-Abschluss ist mehr als die Zahl der prozentualen Erhöhung. Oft interessiert aber nur die, sowohl medial als auch viele Arbeitnehmer:innen. Beim Sicherheitspersonal lässt sich klar sehen, dass es mehr Verbesserungen braucht als nur etwas mehr Geld.