Dabei braucht es dringend ein Bündel an Maßnahmen, um die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu verbessern. Dazu zählen vor allem das Aufbrechen von traditionellen Rollenbildern, das Schließen der Einkommensschere sowie wesentliche Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frauenpolitik hat bei den Schwerpunkten der Regierung für die EU-Ratspräsidentschaft leider keinen Platz. Es wird ausschließlich mit inhaltsleeren Stehsätzen und allgemeinen Ankündigungen auf die Gleichstellungspolitik eingegangen.
Neoliberaler Kampfbegriff
Ausgesprochen problematisch sind auch die Pläne der Bundesregierung, sich gegen „Gold Plating“ einzusetzen. Vorsicht ist hier geboten, denn mit diesem Wort wird ganz und gar nichts Wertvolles verfolgt, schon gar nicht für ArbeitnehmerInnen. Vielmehr ist es ein neoliberaler Kampfbegriff, der in der Regel von UnternehmensvertreterInnen gebraucht wird, um wichtige und schwer erkämpfte arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen zu beseitigen. Unter diesem Deckmantel sollen unter anderem die Einkommensberichte abgeschafft werden. Damit würde ein wichtiges Instrument zum Schließen der Lohnschere zwischen Frauen und Männern wegfallen.
Das Mindeste ist nicht genug
Die aktuelle Diskussion zur Arbeitszeit ist ebenfalls ein anschauliches Beispiel dafür, welche Gefahren hinter dem Schlagwort „Gold Plating“ stecken. Laut EU-Arbeitszeitrichtlinie besteht keine tägliche Höchstarbeitszeit, sondern eine Mindestruhezeit von elf Stunden. Viele BefürworterInnen längerer Arbeitszeiten meinen, diese Richtlinie wäre ein ausreichender Schutz. „Mindeststandards“ sind aber nur das, was das Wort auch sagt: das Mindeste. Und seit wann ist das für Österreich auf einmal genug? Um Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, braucht es unter anderem Planbarkeit bei der Arbeitszeit, ein Recht auf notwendige Erholungszeiten und ausreichende Gesundheitsschutzbestimmungen.
Bei diversen Gesetzesinitiativen der Regierung bekommt man den Eindruck, dass sie die bestehenden europarechtlichen Bestimmungen entweder nicht gut genug kennt oder diese vorausplanend verletzt. Das betrifft beispielsweise die Anpassung der Familienbeihilfe für im EU-Ausland lebende Kinder von Menschen, die in Österreich beschäftigt sind. ExpertInnen zufolge ist das mit dem Europarecht nicht vereinbar. Offensichtlich geht es dieser Regierung weniger darum, seriöse Politik zu machen, sondern vielmehr um populistische Vorschläge, die schlussendlich ohnehin nicht umgesetzt werden können. Dadurch nimmt die Regierung zusätzlich in Kauf, dass in der Bevölkerung die Europaskepsis verstärkt wird.
Wir brauchen eine bessere EU!
Es zeigt sich also klar und deutlich: Die Regierung betrachtet die EU abwechselnd als Sündenbock oder als nationalstaatlich dominierte „Freihandelszone Deluxe“, in der hohe Arbeits- und Sozialstandards keine Rolle spielen. Eine Vision davon, wie die EU zu einem besseren Leben für alle Menschen beitragen kann, wird bei den Regierungsplänen schmerzlich vermisst.
Das europäische Projekt steht am Scheideweg. Die Brexit-Verhandlungen stocken, nationalistische und neoliberale Kräfte haben starken Auftrieb. Die Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 werden richtungsweisend sein. Wir brauchen eine soziale, solidarische Union, in der die sozialen Grundrechte gleichen Stellenwert haben wie die vier Wirtschaftsfreiheiten. Und es bedarf einer Europapolitik, die die Menschen für die Idee Europa einnimmt. Nur dann hat die EU als Friedensprojekt auf lange Sicht eine wünschenswerte Zukunft. Dafür werden sich ÖGB und Gewerkschaften weiterhin einsetzen!
Korinna Schumann
ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/18.
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