Gutes Auskommen

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
In Österreich sind die Löhne durch ein dichtes Netz an Kollektivverträgen abgesichert. Davon profitieren auch die untersten Einkommen. Zudem peilen Gewerkschaften einen höheren Mindestlohn an.
Wie gut Menschen ihre alltäglichen Bedürfnisse abdecken können, ja, ob sich vielleicht sogar ein Urlaub ausgeht, hängt von der Höhe und Regelmäßigkeit ihres Einkommens ab. Und letztlich von der Branche sowie vom Geschlecht und von der Herkunft der Beschäftigten. Der Wohlstand ist in Österreich seit der Nachkriegszeit enorm gestiegen.

Was dabei oftmals vergessen wird: Auch Nicht-Mitglieder profitieren von gewerkschaftlichem Engagement.

Dass alle etwas von den verbesserten Wirtschaftskennzahlen haben, war und ist ein wichtiges Ziel der Gewerkschaften. Was dabei oftmals vergessen wird: Auch Nicht-Mitglieder profitieren von gewerkschaftlichem Engagement, etwa wenn die unteren Lohngruppen stärker angehoben werden als die höheren. Gewerkschaftliche Mindestlohnpolitik zielt darauf ab, eine Lohnuntergrenze über möglichst alle Branchen und Beschäftigungsverhältnisse festzulegen.

Einfluss auf Mindestentgelte

In Österreich gilt für rund 98 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten ein Kollektivvertrag. Im europäischen Vergleich ist das eine außerordentlich hohe tarifvertragliche Deckungsrate.

In Österreich gilt für rund 98 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten ein Kollektivvertrag. Im europäischen Vergleich ist das eine außerordentlich hohe tarifvertragliche Deckungsrate. Diese ermöglicht den Gewerkschaften, direkt Einfluss auf die Mindestentgelte bei fast allen Beschäftigtengruppen zu nehmen – abhängig freilich von der wirtschaftlichen Entwicklung und vom Arbeitsmarkt sowie von der Frage, ob ein Fachkräftemangel herrscht.

Im Interview erläutert Vera Glassner von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien: „Der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad in Österreich ist ein wichtiger Hebel. Von der gewerkschaftlichen Tarifpolitik profitieren am ehesten die unteren Einkommensgruppen.“ So konnten auch die vormaligen Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten ausgeglichen werden. Traditioneller Taktgeber ist der Kollektivvertrag (KV) der Metaller, die Verhandlungen darüber bilden den jährlichen Beginn der Herbstlohnrunden. An den Industrie­löhnen des Metaller-KVs orientieren sich auch große Niedriglohnbranchen wie der Handel.

Die Niedriglohnbeschäftigung ist in Österreich oft Frauensache.

Die Niedriglohnbeschäftigung ist in Österreich oft Frauensache. Die Teilzeitquote der Österreicherinnen lag 2017 bei 48 Prozent, das ist der zweithöchste Wert in der EU.

Wenngleich die kollektivvertragliche Mindestlohnpolitik wirkt, ist bemerkenswert: Die Niedriglohnbeschäftigung ist in Österreich oft Frauensache. Die Teilzeitquote der Österreicherinnen lag 2017 bei 48 Prozent, das ist der zweithöchste Wert in der EU. „Obwohl Teilzeitarbeit keine finanziellen Benachteiligungen im Vergleich zur Vollzeitarbeit bringen darf, haben Teilzeitbeschäftigte geringere Bruttostundenlöhne als Vollzeitbeschäftigte“, halten Vera Glassner und Sepp Zuckerstätter von der AK Wien fest. „Ein ökonomischer Grund dafür sind indirekte Diskriminierungseffekte: beispielsweise sind Leitungsfunktionen in Teilzeitarbeit oft nicht möglich.“

Deshalb sind neben der kollektivvertraglichen Entgeltpolitik auch andere Maßnahmen notwendig, um die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede („Gender Pay Gap“) zu reduzieren. „Da Frauen eine geringere Dauer der Unternehmenszugehörigkeit aufweisen und dadurch länger in den unteren Lohngruppen verharren als Männer, sind Maßnahmen wie die Anrechnung von Vordienst- und Karenzzeiten in Kollektivverträgen von großer Bedeutung“, so die AK-ExpertInnen. Die Anrechnung von Karenzzeiten wurde zuletzt im Handel erfolgreich umgesetzt. Hier war es besonders wichtig, dass die Forderung nach einem Mindestlohn von 1.500 Euro umgesetzt wurde. Das führe auch zu Kaufkraftzuwächsen und wirke stabilisierend, betont Vera Glassner.

Instabile Beschäftigung

Etwa ein Drittel der unselbstständig Erwerbstätigen (34 Prozent) sind nicht über ein (Kalender-)Jahr hinweg durchgängig beschäftigt und gelten daher als instabil beschäftigt.

Bemerkenswert ist auch die ausgeprägte Segmentierung des Arbeitsmarktes in Österreich. Sie ist eine Erklärung für die relativ schwache Lohnentwicklung in den vergangenen 15 Jahren. Konkret heißt das: Etwa ein Drittel der unselbstständig Erwerbstätigen (34 Prozent) sind nicht über ein (Kalender-)Jahr hinweg durchgängig beschäftigt und gelten daher als instabil beschäftigt. Das betrifft etwa die Baubranche oder den Tourismus und besonders Frauen sowie jüngere Beschäftigte und solche mit Migrationshintergrund. Ihre Situation hat sich seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2009 verschärft, wie eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) bestätigt.

Um unerwünschte Folgen instabiler Beschäftigung zu mindern, schlägt sogar das WIFO Regelungen in der Lohnpolitik vor, die die Einbeziehung prekärer Arbeitsmarktsegmente verbessern, und eine bessere soziale Absicherung „für Gruppen, die besonders hohe Flexibilitätslasten tragen“.

Ein gerechteres Steuersystem muss auch Vermögen und Erbschaften stärker einbeziehen.

Wer erbt oder über ein Vermögen verfügt, trägt im Verhältnis zu den ArbeitnehmerInnen deutlich weniger zum Steueraufkommen bei.

Bleibt die Frage: Wie fair ist das Steuersystem? Arbeit sei bisher immer noch zu hoch und Vermögen zu niedrig besteuert, bestätigt Dominik Bernhofer auf Anfrage den bisherigen Befund vieler SteuerexpertInnen. Der Ökonom leitet die Abteilung Steuerrecht in der AK Wien und hält es für nicht ausreichend, nur die Abgabenquote und insbesondere die Unternehmenssteuern zu senken, wie zuletzt unter der gescheiterten ÖVP-FPÖ-Regierung geplant. Ein gerechteres Steuersystem muss auch Vermögen und Erbschaften stärker einbeziehen, als dies momentan der Fall ist, fordern AK und ÖGB. Denn wer erbt oder über ein Vermögen verfügt, trägt im Verhältnis zu den ArbeitnehmerInnen deutlich weniger zum Steueraufkommen bei. Mit dieser Forderung stehen die beiden ArbeitnehmerInnenvertretungen nicht allein da. Auch die EU-Kommission hat längst eine Verlagerung des österreichischen Steuersystems auf Immobilien- und Vermögenssteuern bei gleichzeitiger Entlastung der ArbeitnehmerInnen vorgeschlagen.

Internationale SteuerexpertInnen fordern zudem weltweit mehr Ökosteuerelemente. „Es geht darum, die ökologischen Lenkungseffekte zu maximieren und die sozialen Verwerfungen zu minimieren“, betont Bernhofer. Er ist skeptisch gegenüber Überschriften wie „ökosoziale Steuerreform“, die manchmal propagiert werden. „Notwendig sind zielgerichtete Maßnahmen wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie zusätzliche Anreize für PendlerInnen, diesen auch zu nutzen“, unterstützt der AK-Experte die Diskussion zur Einführung eines Öko-Bonus im Rahmen der Pendlerpauschale. Grundsätzlich positiv und notwendig findet er die Diskussion über eine Senkung der Lohnsteuer.

Negative Effekte abfedern

Dass ein Mindestlohn von 1.700 Euro zu mehr Prekariat führen und Jobs kosten würde, wie von rechtskonservativer Seite als Gegenargument vorgebracht wird – diese Gefahr sehen die ÖkonomInnen der ArbeitnehmerInnenvertretungen nicht. Das Gegenteil sei der Fall: Negative Arbeitsmarkteffekte könnten so abgefedert und die Lohnschere geschlossen werden.

In einer Studie zum deutschen Mindestlohn schreibt etwa die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung: „Die Entwicklung der Mindestlöhne bildet eine wichtige Stütze für die allgemeine Lohn­entwicklung in Europa, die angesichts verbesserter Wachstums- und Beschäftigungsaussichten bislang eher moderat verlaufen ist und die vorhandenen Verteilungsspielräume oft nicht ausgeschöpft hat.“

Besserer Mindestlohn

Die deutschen MindestlohnempfängerInnen mussten bereits einen Reallohnverlust hinnehmen.

Deutschland kann hier nicht als Beispiel dienen, denn der dort 2015 eingeführte Mindestlohn lässt insofern zu wünschen übrig, als er bisher wenig Einfluss auf die Armutsvermeidung hatte. Er darf laut dem Mindestlohngesetz nur alle zwei Jahre an die Teuerungsrate angepasst werden. Dementsprechend mussten die deutschen MindestlohnempfängerInnen bereits einen Reallohnverlust hinnehmen. Dennoch ist der gesetzliche Mindestlohn sinnvoll, weil im Unterschied zu Österreich in Deutschland die Tarifbindung gering ist.

Die österreichischen Gewerkschaften lehnen einen per Gesetz verordneten Mindestlohn naturgemäß ab.

Die österreichischen Gewerkschaften lehnen einen per Gesetz verordneten Mindestlohn naturgemäß ab. „Dieser wäre immer von den politischen Mehrheiten in Parlament und Regierung abhängig und somit Spielball in der tagespolitischen Auseinandersetzung. In der Praxis könnte eine branchenübergreifende gesetzliche Regelung dazu führen, dass die Arbeitgeber nicht mehr bereit wären, für höhere Verwendungsgruppen höhere Mindestlöhne per Kollektivvertrag festzusetzen. Das nahezu flächendeckende Kollektivvertragssystem erfasst alle Lohngruppen und nicht nur die untersten Mindestlöhne. Außerdem würde ein gesetzlicher Mindestlohn den Sozialpartnern die Lohnpolitik entziehen“, hielt der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) beim letzten Bundeskongress im Juni 2018 fest.

Von
Heike Hausensteiner
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/19.

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Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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