Standpunkt: Für alle, nicht die wenigen

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Schneller, höher, stärker: Kaum ein Produkt verkörpert dieses Prinzip momentan besser als das Auto. Heutzutage wirkt der alte 911er-Porsche wie ein Matchboxauto im Vergleich zu den immer riesiger werdenden SUVs. Dieser scheint zum neuen Kleinwagen zu werden, auf den man früher jahrelang gespart hat. Groß und stark muss es heute sein. Entsprechend müssen auch jene Kraftfahrzeuge größer werden, mit denen man zeigt, dass man „wer ist“ – und in der Formulierung „wer sein“ steckt drinnen, dass es einem gut geht.

Es muss immer mehr, immer schneller, aber auch immer besser gearbeitet werden.

Schneller, höher, stärker: Nicht nur beim Konsum scheint dieses Motto, das eigentlich von den Olympischen Spielen stammt, momentan den Ton anzugeben. Auch die Arbeitswelt beschreibt es leider sehr gut: Es muss immer mehr, immer schneller, aber auch immer besser gearbeitet werden.

Dass die Werbung so agiert, ist völlig logisch, denn um eine Nachfrage zu generieren, müssen zunächst Mängel ausgemacht werden, die man mit entsprechenden Angeboten füllen kann – auf dass die Umsätze passen. Damit sie steigen, muss die Angebotspalette freilich ständig ausgebaut werden.

Werbung versucht kollektive Ziele zu formulieren: Nur wer diese oder jene Produkte besitzt, führt ein gutes Leben.

Kurzum, Werbung versucht kollektive Ziele zu formulieren: Nur wer diese oder jene Produkte besitzt, führt ein gutes Leben. Nur ein gutes? Nein, der Anspruch geht weit darüber hinaus: Es geht um das eine, richtige Leben. Dieser in der Werbung völlig logische Grundsatz ist mittlerweile auch in die politische Debatte übergeschwappt. So wird auch verständlich, weshalb etwa über Klimaschutz so emotional diskutiert wird.

Allerdings liegt dem ein sehr eindimensionales Menschenbild zugrunde. Denn was Menschen unter „einem guten Leben“ verstehen, das ist sehr individuell. Die einen leben gerne in der Stadt, die anderen gerne am Land. Für manche bedeutet ein gutes Leben, dass sie nach Jahren der Obdachlosigkeit wieder in die eigenen vier Wände einziehen können. Oder aber es ist der Job, den sie nach Jahren der verzweifelten Suche endlich antreten können. Für manche Beschäftigten ist das Plus am Konto wichtig, um sich bestimmte Dinge leisten zu können, für andere ist es das Mehr an Freizeit – und oftmals ändern sich die Ansprüche je nach Lebensphase.

Rahmenbedingungen schaffen

Aufgabe von Politik ist es nicht, eine Bewertung vorzunehmen und nur jenes Modell zu fördern, das sie jeweils für „das beste“ hält. Es geht darum, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen ein gutes Leben führen können – was auch immer sie selbst darunter konkret verstehen. Ihre Prioritäten sind klar, an vorderster Stelle rangiert die Gesundheit. Dieses Thema ist zugleich ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, was Gewerkschaften unter einem guten Leben für alle verstehen: Gesundheit soll eben nicht nur ein Privileg der wenigen Wohlhabenden sein, sondern alle sollen im Fall von Krankheit in den Genuss einer guten Behandlung kommen. Damit Menschen gar nicht erst krank werden, kann Politik an vielen Schrauben drehen: Sie kann Rahmenbedingungen für gute Arbeit schaffen, damit diese nicht krank macht. Sie kann den Wohnungsmarkt regulieren, damit gutes Wohnen kein Privileg der wenigen ist. Ein gutes öffentliches Bildungssystem wiederum sollte gute Chancen für alle Kinder gewährleisten.

Es geht darum, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen ein gutes Leben führen können.

All das braucht eine solide Finanzierung. Dafür wiederum ist eine Änderung des Steuersystems nötig, denn Vermögende leisten momentan nur einen marginalen Beitrag, während Arbeit massiv belastet wird. Dazu gehört auch, dass wir über eine faire Verteilung der Wohlstandsgewinne diskutieren, sprich faire Löhne. Letztlich geht es auch darum, das vorherrschende Verständnis von Wohlstand infrage zu stellen.

Dazu braucht es einen Gestaltungswillen – und es geht darum, sich dabei nicht nur stur nach den Anforderungen und Wünschen von Unternehmen zu richten, sondern auch die Wünsche und Bedürfnisse der Beschäftigten zu berücksichtigen. Denn es geht eben nicht nur darum, ein gutes Leben von wenigen zu ermöglichen, sondern eines für alle!

Von
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/19.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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