Die Chronik der Ereignisse: Die Einführung des 12-Stunden-Tags

Menschen versammeln sich, um ihrer Stimme gegen den 12-Stunden-Tag Gehör zu verschaffen
Zahlreiche Stimmen gegen den 12-Stunden-Tag verschaffen sich Gehör.
Foto (C) MichaelMazohl
Mit 1. September 2018 wurden die Pläne der Regierung zur Arbeitszeitflexibilisierung umgesetzt und damit der 12-Stunden-Tag in Österreich eingeführt. Wir blicken zurück auf die Ereignisse und was bisher geschah.
Mit der Einführung des 12-Stunden-Tages ist vor allem eines passiert: ArbeitgeberInnen können flexibler über ihre MitarbeiterInnen verfügen und die Beschäftigten bezahlen mit ihrer Gesundheit, ihrem Geld und ihrer Freizeit.

Gibt es in Zukunft so etwas wie eine Work-Life-Balance? Gibt es die Chance, mit Familie und Freunden etwas zu unternehmen? Für soziales Engagement in der Gesellschaft? Oder fahren wir eine Arbeitszeitpolitik, die uns zurück ins 19. Jahrhundert führt? 

Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

Aus Vergangengeit wird Zukunft. Wir steuern mit dem neuen Arbeitszeitgesetz genau jene Zeit an, die wir lange vorbei geglaubt hatten. Um es mit den Worten der Gewerkschafterin der PRO-GE und Rechtsschutzsekretärin Susanne Haslinger zu sagen: „Mit Vollgas hundert Jahre zurück“. Denn genau so lange ist es her, seitdem der 8-Stunden-Tag in Österreich eingeführt wurde. 1889 bereits für den Bergbau Seegraben und 1918 dann für die FabrikantInnen gesetzlich verankert. „Vor fast genau hundert Jahren wurde der 12-Stunden-Tag abgeschafft. Diese Errungenschaft wurde heute, hundert Jahre später, von der Regierung rückgängig gemacht“, bekrittelt Haslinger am 15. Juni 2018, einen Tag nach der Einbringung des Initiativantrags im Nationalrat seitens der Regierungsparteien.

Foto von der KV-VerhandlerInnen-Konferenz
„Miteinander weiterkämpfen“ war das Motto der ersten österreichweiten KV-VerhandlerInnen-Konferenz. Foto (C) Sebastian Philip

12-Stunden-Tag: Was bisher geschah …

14.06.2018: Initiativantrag

Ohne Begutachtung, ohne Verhandlungen und ohne Einbeziehung der Sozialpartner wird der Initiativantrag überfallsartig im Nationalrat eingebracht – und das genau am letzten Tag des ÖGB-Bundeskongresses. Die darin enthaltenen, neuen Bestimmungen zur Ausdehnung der Arbeitszeit auf 12 Stunden täglich bzw. 60 Stunden wöchentlich gefährden genau das, was die betroffenen Gesetze eigentlich schützen sollten: die Gesundheit der Beschäftigten und die ausreichende Freizeit für Familie, Freunde und Hobbies. Susanne Haslinger meint dazu: „Das ist keine Flexibilisierung der Arbeitszeit, das ist keine Modernisierung. Im Gegenteil: Aus einem ArbeitnehmerInnen-Schutzgesetz wird ein Gesetz zur Ermöglichung nahezu grenzenloser Ausbeutung.“

29.06.2018: Abänderungsantrag

Christoph Klein, Direktor der Bundesarbeitskammer und Honorarprofessor an der Universität Salzburg, fasst die Bemühungen der Regierungsparteien noch am selben Tag der Einbringung des Abänderungsantrages folgendermaßen zusammen: „Auch der Abänderungsantrag ändert nichts daran: Der 12-Stunden-Tag, die 60-Stunden Woche werden von der raren Ausnahme zum Normalfall.“ Man hatte sich Entschärfung erhofft, doch viel geändert hat sich nicht.

Die Frage der Freiwilligkeit:
Die durch den Abänderungsantrag vorgesehene Möglichkeit, Überstunden über die 10. Tagesstunde hinaus ohne Begründung abzulehnen, wird von Klein als „relative Freiwilligkeit“ bezeichnet. Er argumentiert: „Wenn ArbeitnehmerInnen nun nicht mehr automatisch durch die 10 Stunden-Grenze und die 50 Stunden-Grenze geschützt werden, sondern gegenüber Vorgesetzten und KollegInnen auf ihrem Ablehnungsrecht beharren müssen, räumt der entstehende Druck schnell mit der Freiwilligkeit auf.“ Auch das Benachteiligungsverbot ist ihm zufolge lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein: „Der/Die ArbeitnehmerIn muss im Streitfall vor Gericht beweisen, dass z. B. eine Beförderung wegen der vor einem halben Jahr abgelehnten Überstunden unterblieben ist, dass die Aufnahme auf die Kündigungsliste im Stellenabbau wegen ein bisschen zu viel Freiwilligkeit erfolgt ist usw. Wer riskiert den Arbeitsplatz, wer lässt sich schon gerne auf ein Gerichtsverfahren ein, wem gelingt der Nachweis der Benachteiligung?“

Kein Ausgleich des 12-Stunden-Tages durch eine 4-Tage-Woche:
Was auch trotz Abänderungsantrag fehlt, ist der „Anspruch auf eine 4-Tage-Woche als Ausgleich für angeordnete 12-Stunden-Tage“, so Klein. Zwar besteht die Möglichkeit, sich für Zeitausgleich statt Geld als Abgeltungsform zu entscheiden, aber ob dieser zusammenhängend in Form von ganzen Tagen genommen werden kann und zu welchem konkreten Zeitpunkt er stattfindet, das bleibt fraglich. Christoph Klein sieht dies kritisch: „Hier sind die ArbeitnehmerInnen weiter von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig.“

Kein Zustimmungsrecht der Betriebsräte:
Christoph Klein gibt außerdem zu bedenken, dass Betriebsräte „um ihr Zustimmungsrecht zu Überstunden bis zum 12-Stunden-Tag bzw. zur 60-Stunden-Woche gebracht“ werden. „Und damit um die Möglichkeit, eine bessere Abgeltung, geblockten Zeitausgleich und Ähnliches für die ArbeitnehmerInnen herauszuverhandeln.“

30.06.2018: „Nein zum 12-Stunden-Tag“ – die Demo

Rund 100.000 Personen konnte der ÖGB zur Demo gegen den 12-Stunden-Tag in Wien mobilisieren, die mit einer Rede des ÖGB-Präsidenten Wolfgang Katzian am Heldenplatz endete. Trotz Ferienbeginn wurde die Regierung mit enormem Widerstand konfrontiert, die hohe TeilnehmerInnenzahl spiegelte den allgemeinen Unmut der Bevölkerung über die zu diesem Zeitpunkt noch geplante Gesetzesänderung wider.

Foto von der Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag
Mehr als 100.000 Personen verkündeten ihren Unmut bei der Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag. Foto (C) Michael Mazohl

14.08.2018: Ausgabe des Bundesgesetzblatts BGBl. I Nr. 53/2018 mit den Änderungen von Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz

Mit der Ausgabe des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 53/2018 sind die Änderungen der betroffenen Gesetze verlautbart und damit auch verbindlich. Jetzt steht es endgültig fest: Die Ausdehnung der höchstzulässigen Arbeitszeit wird von 10 auf 12 Stunden täglich bzw. von 50 auf 60 Stunden wöchentlich angehoben. Welche Änderungen darüber hinaus vorgenommen wurden, lesen Sie in unserem Artikel „12-Stunden-Tag: Wen die neue Gesetzeslage wie trifft“.

01.09.2018: Inkrafttreten der neuen Arbeitszeit-Bestimmungen

Mit 1. September 2018 sind die neuen Bestimmungen des Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetzes in Kraft getreten.

Foto vom Protest gegen den 12-Stunden-Tag.
12 Stunden lang wurde dort protestiert, wo die BestellerInnen des 12-Stunden-Tag-Gesetzes sitzen: vor dem Haus der Industrie. Foto (C) Bildarchiv des ÖGB

12.10.2018: Gegen 12 Stunden für ein gutes Leben – der Protest

Der ÖGB, zahlreiche VertreterInnen aller Gewerkschaften, BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen aus allen Branchen sowie auch Betroffene des neuen Arbeitszeitgesetzes haben sich am 12. Oktober 2018 vor dem Haus der Industrie versammelt, um gegen den 12-Stunden-Tag zu protestieren. Was es braucht, sind Verhandlungstermine über den Ausgleich des 12-Stunden-Tages für die ArbeitnehmerInnen. Und die können nicht warten.

12-Stunden-Tag: Wie es weiter geht …

Jetzt bleibt abzuwarten, wie der 12-Stunden-Tag in der Praxis gelebt werden wird. Wie oft die 11. und 12. Stunde tatsächlich angeordnet werden und vor allem: wie es mit der Freiwilligkeit in den unterschiedlichen Betrieben gehandhabt wird.
Fest steht jedoch, dass die KV-Verhandlungen in diesem Jahr wichtiger sind denn je. „Denn das neue Arbeitszeitrecht bringt vor allem Vorteile für Arbeitgeber. Der Interessensausgleich für ArbeitnehmerInnen muss daher durch gut verhandelte Kollektivverträge stattfinden“, betont Peter Schleinbach, Bundessekretär für Branchen- und Kollektivvertragspolitik der PRO-GE. Das zeigt auch das Motto der KV-VerhandlerInnen-Konferenz vom 18. September 2018: „Wir legen den Preis für das Arbeitszeitgesetz gemeinsam fest“, so Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes.

18.11.2018: Erster Abschluss der Herbstlohnrunde der Metallindustrie

Foto von den Kollektivvertragsverhandlungen in der metalltechnischen Industrie
Sieben Verhandlungsrunden, aber der gewerkschaftliche Einsatz hat sich für die ArbeitnehmerInnen in der metalltechnischen Industrie gelohnt. Foto (C) Bildarchiv der PRO-GE

Sieben Verhandlungsrunden, aber der Einsatz hat sich gelohnt! Neben dem jährlichen Verhandlungspunkt der Lohnerhöhung stand dieses Jahr vor allem ein zusätzliches zentrales Thema auf der Agenda der Fachgewerkschaften PRO-GE und GPA-djp: die negativen Auswirkungungen des neuen Arbeitszeitgesetzes für die Beschäftigten abzufedern. Und dabei konnten die beiden Gewerkschaften für die metalltechnische Industrie bereits erste Erfolge erzielen: einen Überstundenzuschlag von 100 % für die 11. und 12.  Arbeitsstunde, einen Zuschlag von 150 % bei ausnahmsweiser Wochenendarbeit und natürlich eine Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindest- sowie Ist-Löhne. Doch damit ist noch kein Ende in Sicht, denn die nächsten Verhandlungen mit den anderen Fachverbänden des Metallbereiches stehen bereits vor der Tür – und auch da wird ein fairer Interessensausgleich für die Beschäftigten angestrebt.

 

Weiterführende Artikel auf dem AWBlog

12-Stunden-Tag – Mit Vollgas hundert Jahre zurück… Auch der Abänderungsantrag ändert nichts daran: Der 12-Stunden-Tag, die 60-Stunden-Woche werden von der raren Ausnahme zum Normalfall

Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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