12-Stunden-Tag und Pendeln

Foto von Autos im Stau
12 Stunden arbeiten und dann noch pendeln: stark erhöhtes Unfallrisiko.
Foto (C) fotofox33 / Adobe Stock
Pendelst du noch oder lebst du schon? Wie lange Arbeitswege und nun noch längere Arbeitszeiten durch den 12-Stunden-Tag die Freizeit immer mehr zurückdrängen.
Und täglich grüßt das Murmeltier. Im Schritttempo bewegen sich zig Autos voran und teilen alle dasselbe Schicksal: Stau. Rundherum ist alles dunkel – vor allem in den Wintermonaten. Lediglich das grelle Leuchtgewitter roter Rücklichter schneidet in die Finsternis der Autobahn. Was sich für andere wie mitten in der Nacht anfühlt, ist für PendlerInnen bereits der Beginn ihres Arbeitstages.

Durch das neue Arbeitszeitgesetz wird die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 auf 12 Stunden angehoben. Patrick Posch, Soziologe bei Research & Data Competence (Wien), weist darauf hin, dass länger arbeiten zwangsläufig auch darauf hinausläuft, dass noch weniger Zeit für Familien- und Privatleben bleibt. Vor allem für PendlerInnen. Doch was ändert sich konkret?

Die Ausgangssituation von PendlerInnen nach dem „alten“ Arbeitszeitgesetz

Thomas Hader ist Referent für PendlerInnenmobilität in der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien. Aufgrund seiner Erfahrung weiß er: „Mehr als 40 Stunden Arbeit pro Woche und dann noch täglich 40 Kilometer im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, das ist Realität für über 220.000 PendlerInnen in Österreich. Fast 60.000 von ihnen legen täglich sogar 100 Kilometer oder mehr zurück.“

Nicht nur die Kosten steigen mit längeren Arbeitswegen. „Es ist vor allem die Zeit, die auf der Strecke bleibt“, resümiert Hader. Dazu berichtet die AK Oberösterreich: „Mehr Zeit am Arbeitsweg bedeutet, dass der Arbeitstag insgesamt länger wird und für andere Lebensbereiche weniger Zeit übrig bleibt.“ Laut Arbeitsklima Index der AK Oberösterreich „erhöht sich unter Berücksichtigung der Wegzeiten der Pendler/-innen die durchschnittlich gearbeitete Wochenarbeitszeit in Österreich im Schnitt von 38 auf 41 Stunden und unter nur Vollzeitbeschäftigten von 42 auf 45,5 Stunden. Wiener Beschäftigte verbringen viel Zeit am Weg in die Arbeit und nach Hause, im Schnitt wöchentlich fast fünf Stunden.“

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Thomas Hader macht außerdem auf eine andere Problematik aufmerksam: „Lange Arbeitswege beeinträchtigen auch die Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen.“ In einer Sonderauswertung des Arbeitsklima Index berichtet die AK, dass „Beschäftigte, mit einem Zeitaufwand von 20 Minuten oder länger, stärker durch Zeitdruck, seelisch belastender und aufreibender Arbeit und schlechte Gesundheitsbedingungen belastet zu sein scheinen“. Darüber hinaus weisen auch andere Studien auf die „negativen Auswirkungen auf Paarbeziehungen durch erhöhte Trennungsraten von PendlerInnen hin“, so Hader.

PendlerInnen-Situation nach dem „neuen“ Arbeitszeitgesetz

Der aufgrund der langen Arbeitswege ohnehin schon gedehnte Arbeitstag kann nach dem neuen Arbeitszeitgesetz nun noch weiter ausgeweitet werden. Was also bereits nach den alten Regelungen als belastend empfunden wurde, spitzt sich mit einer Ausweitung der Höchstarbeitszeit noch weiter zu. Die gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Ressourcen von pendelnden ArbeitnehmerInnen werden dadurch noch mehr strapaziert.

Bei langen Arbeitswegen wird nun vor allem aufgrund der Ausweitung der Höchstarbeitszeit durch das neue Gesetz „Fragen zur Sicherheit, Gesundheit und einer ausgewogenen Work-Life-Balance aufgeworfen“, warnt Posch. Durch seinen Schwerpunkt in den Bereichen Mobilitäts- und Umweltforschung sowie Familien- und Arbeitssoziologie kennt er die Problematiken, die sich durch das tägliche Pendeln ergeben – speziell auch für jene Personen, die ihren täglichen Arbeitsweg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Denn wer künftig noch später in der Nacht nach Hause fährt oder noch früher morgens zur Arbeit aufbricht, könnte dadurch in die Situation kommen, dass abends kein Bus oder Zug mehr fährt bzw. dieser in den frühen Morgenstunden ebenfalls noch nicht verfügbar ist.

Hinzu kommen auch andere Aspekte: „Tatsache ist, dass etwa 40 Prozent aller Erwerbstätigen Betreuungspflichten für Kinder haben und/oder Angehörige pflegen“, so Hader. Für berufstätige Eltern wird der 12-Stunden-Tag dadurch zur Zerreißprobe. Für Hader stehen sie vor der Herausforderung, dass „mit zunehmendem Zeitaufwand für die Arbeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie abnimmt“.

Nach der neunten Stunde steigt das Unfallrisiko exponentiell an und verdreifacht sich beinahe nach der zwölften Arbeitsstunde. 

Sarah Tesar, Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien

Neben der Belastung des Privatlebens fällt auch das erhöhte Unfallrisiko ins Gewicht. Miriam Rehm, Referentin für Makroökonomie und Verteilung in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien, weist darauf hin, dass das „Unfallrisiko laut internationalen Studien bei einem 12-Stunden-Tag gegenüber einem 8-Stunden-Tag bereits um knapp 40 % höher ist“. Sarah Tesar, Betriebswirtin und Ökonomin in der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien, ergänzt diese Statistik: „Nach der neunten Stunde steigt das Unfallrisiko exponentiell an und verdreifacht sich beinahe nach der zwölften Arbeitsstunde.“

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Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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