Hitzefrei statt hitzetot

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
Laut jüngsten Studien wird der Klimawandel die Städte der Welt künftig besonders hart treffen. Darauf muss sich auch die Arbeitswelt einrichten.
Während der Hitzewelle im Juni kam ein 53-jähriger Slowake ins LKH Wiener Neustadt. Der Vater von fünf Kindern war bei der Arbeit auf einer Baustelle im Burgenland umgekippt. Kollegen verständigten rasch die Rettung. Ein Heli brachte den Mann nach Niederösterreich, wo er eine Woche mit dem Tod rang und schließlich starb.

Das HitzeMOMO (Mortalitätsmonitoring) der AGES verknüpft Sterbefälle mit Hitzewellen.

In diesem Jahrzehnt vergeht kaum ein Sommer, in dem es nicht auch in Österreich zu Hitzetoten kommt. Seit 2018 werden diese auch rückwirkend erfasst. Dafür verknüpft das HitzeMOMO (Mortalitätsmonitoring) der AGES Sterbefälle mit Hitzewellen. 2015 gab es einen vorläufigen Höchststand mit 1.122 Fällen. Die Zahlen sind nicht immer so hoch. So gab es 2016 gar keine Hitzetoten. 2017 kam es wiederum zu 586 Fällen, 2018 gar zu 766. Tendenziell ist immer mit Krankheits- und Todesgefahr durch Hitzewellen zu rechnen. Dieser Juni etwa war der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen in Österreich. Sechs der zehn heißesten je gemessenen Sommer sind seit 2000 verstrichen. Und die Sommer wie auch die Winter werden noch wärmer.

Schwitzen wie in Skopje

Grund hierfür ist der menschengemachte Klimawandel. Seit Jahren machen Studien Schlagzeilen, die Österreich – von den alpinen Gletschern bis ins Wiener Becken – als besonders betroffen hervorheben. Das renommierte Crowther Lab der ETH Zürich konkretisierte dies Anfang Juli mit Daten von 520 Metropolen aus aller Welt. Das plakative Fazit seiner Studie lautet: Steigt die Durchschnittstemperatur bis 2050 global um 1,4 Grad, trifft es Großstädte der Nordhalbkugel besonders hart. Sogar im besten angenommenen Fall wandert diese Region klimatisch zumindest 1.000 Kilometer südwärts. Die Bundeshauptstadt erlebt dann im Sommer Höchsttemperaturen, die 7,6 Grad über dem heutigen Wert liegen. Das heißt, Wien schwitzt morgen so sehr wie heute Skopje. Die Balkanmetropole wiederum wird so heiß wie Austin, Texas. Stockholm wiederum wird Wien oder Budapest entsprechen. Tropische Städte werden gar Verhältnisse erleben, wie sie heute noch unvorstellbar sind. Trockenperioden und damit Dürren werden weltweit zunehmen, ebenso wie die Dauer und Intensität von Regenzeiten.

Steigt die Durchschnittstemperatur bis 2050 global um 1,4 Grad, trifft es Großstädte der Nordhalbkugel besonders hart.

Der Vergleich der aufgeführten Städte kommt nicht von ungefähr. Das Team der ETH wollte damit den Klimawandel greifbar machen. Oft scheitere eine umweltfreundliche Politik nicht an lautstarker Klimaleugnung, sondern an einer schlechten Vermittlung von Wissen. So will das Crowther Lab heutige Städte dazu animieren, sich bei ihren künftigen Pendants Inspiration für den Hitzeschutz zu holen. Auch Österreichs „Skopje“ muss sich zumindest anpassen, um die Bevölkerung der Stadt vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Das betrifft nicht nur demografische Risikogruppen wie chronisch Kranke, Kinder und Alte. Es betrifft die gesamte Arbeitswelt.

19 bis 25 Grad sind ideal

Das HitzeMOMO unterscheidet nicht Arbeits- und Privatfälle, aber Beschäftigte spüren es schon: In einer Online-Umfrage der AK Wien wünschten sich 95,6 Prozent der Befragten „hitzefitte“ Arbeitsplätze. Laut der Plattform „Gesunde Arbeit“ von AK und ÖGB ist längst klar, dass eine optimale Arbeitstemperatur bei 19 bis 25 Grad Celsius liegt – sowohl im Freien als auch in Büros. In Innenräumen ist diese Temperaturbreite Vorschrift. Ab 30 Grad nehmen Reaktionsgeschwindigkeit und Koordinationsfähigkeit um ein Viertel, ab 35 Grad schon um die Hälfte ab. Höhere Temperaturen senken die Produktivität also deutlich. 2018 berichtete die AUVA, dass die Sommerhitze vermehrt Fehler und Unfälle am Arbeitsplatz nach sich zieht. Hitze schadet der Gesundheit: von Schwindel über Hitzschlag bis zum Tod. Das zeigt nicht nur der tragische Fall vom Juni.

Hitze schadet der Gesundheit: von Schwindel über Hitzschlag bis zum Tod.

Nun wissen auch AK und die Gewerkschaft Bau-Holz, dass im Sommer Außenthermometer 25 Grad schnell übersteigen. Sie fordern deshalb seit Jahren stärkere Schutzmaßnahmen am Bau. Der ÖGB konnte eine entsprechende Gesetzesänderung 2013 erkämpfen. Seither muss die Arbeit ab 35 Grad im Freien eingestellt werden. Seit dem 1. Mai gilt sogar eine KV-Grenze von 32,5 Grad. Da diese Grenzen aber immer wieder missachtet werden, gehören stärkere Kontrollen durch das Arbeitsinspektorat her, fordert die AK. „Klagen im Nachhinein sind schwierig, weil da der Nachweis natürlich erbracht werden muss“, meint Harald Bruckner von der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Es sei sicherer, bei anhaltender Überschreitung der Höchstgrenzen das Arbeitsinspektorat anzurufen und eine Prüfung zu veranlassen. Ein anderes Problem sei, dass die Messstelle nicht immer beim Arbeitsplatz selbst sei: „Es gibt Büros, da hat es 30 Grad, Produktionshallen mit 40 und Baugruben mit über 50 Grad. Das ist aus medizinischer Sicht unmenschlich, überhaupt nicht mehr vertretbar“, hält Bruckner fest.

AK und die Gewerkschaft Bau-Holz fordern seit Jahren stärkere Schutzmaßnahmen vor Hitze am Bau.

Die angeführten Grenzen hält Bruckner durch den Klimawandel für überholt. „Früher hat man sich gefreut, wenn das Thermometer über 30, 32 Grad geklettert ist. Heute ist das die Regel“, begründet er seine Kritik. Die geltende Grenze sei zwar ein erster richtiger Schritt. Allerdings hält der Experte 30 Grad mittlerweile für angemessener. Außerdem gelten die Grenzen eben nur für den Bau. Viele andere Branchen, die im Freien tätig sind, haben überhaupt keine Regeln in diesem Bereich. Als Beispiel nennt Bruckner GärtnerInnen.

Er verweist auch auf die steigende UV-Belastung. Sie ist direkt für den Anstieg des weißen Hautkrebses verantwortlich. „Ärzte warnen seit Jahren davor“, erinnert Bruckner. „Da haben wir massive Regelungslücken, obwohl die AUVA hier seit Jahren massive Kampagnen fährt“, erklärt er. In Deutschland etwa sei der weiße Hautkrebs als Berufskrankheit anerkannt, hierzulande nicht. In Österreich werde das Thema „massiv negiert“.

Schatten und Pausen

ArbeitnehmervertreterInnen fordern Schutzmaßnahmen aller Art, um den Job erträglich zu gestalten. Dazu gehören etwa Jalousien und klimatisierte Ersatzarbeitsplätze. Laut Harald Bruckner sollte man der Firma die Verantwortung überlassen, wie genau die Abkühlung im Einzelnen gestaltet werde. Wobei Klimaanlagen im großen Stil kontraproduktiv seien, sagt der Experte: „Die verbrauchen viel Strom und erzeugen im Freien – beim Rausblasen – wieder viel Hitze. Es ist natürlich in manchen Bereichen gar nicht anders möglich.“ Laut Experten beträfe das zehn Prozent aller Arbeitsplätze, etwa in der Produktion.

ArbeitnehmervertreterInnen fordern Schutzmaßnahmen aller Art, um den Job erträglich zu gestalten.

Hitzeintensive Berufe, wie etwa Gießer, sollten abgekühlte Erholungsräume für mehr bezahlte Pausen erhalten. Für draußen empfehlen AK und ÖGB fixe und mobile Beschattungen. Außerdem sollen zusätzliche Schutzkleidung und Getränke vom Unternehmen gestellt werden. In letzter Konsequenz gehört die Arbeit in mildere Tageszeiten verschoben. Bislang können ArbeiterInnen und Angestellte aber – im Gegensatz zu Schulkindern – nicht heimgeschickt werden, wenn Hitze produktives Arbeiten verunmöglicht. Möglicherweise wäre das ein sinnvoller Denkanstoß, ehe Beschäftigte ihre Zeit schlicht ausschwitzen – Verzeihung: absitzen.

Alle genannten Maßnahmen mögen zusätzliche Investitionen nach sich ziehen. Doch die könnten auf längere Sicht die Folgekosten von Fehlern und Unfällen bei Hitzewellen – kurzum: des Klimawandels – deutlich unterbieten. Dienstgeber wollen produktive Schichten ohne allzu lange wetterbedingte Unterbrechungen. Und Dienstgeber wollen sicher arbeitsrechtliche Klagen vermeiden, die auf die Vernachlässigung von Schutzmaßnahmen folgen. All das ist aber nur möglich, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen auch durchgeführt und eingehalten werden. Hitzeferien sind Hitzetoten jederzeit vorzuziehen. „Natürlich bezahlt“, hält AK-Experte Bruckner abschließend fest.

Dieser Beitrag erschien zuerst in einer kürzeren Fassung unter:
www.arbeit-wirtschaft.at

Von
Zoran Sergievski
Freie Journalist

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/19.

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Über den/die Autor:in

Zoran Sergievski

Zoran Sergievski, geboren 1988 in Hessen, freier Journalist und Lektor. Studierte Publizistik in Wien. Schreibt seit 2007 für diverse Websites, Zeitschriften und fürs Radio, am liebsten über Medien, Rechtsextreme und Soziales. Lebt mit Kleinfamilie in Wien.

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